Berlin. Eine neue Studie zeigt: Weniger Luftschadstoffe verbessern bei Heranwachsenden die mentale Gesundheit – und den schulischen Erfolg.
Es gibt viele Dinge, die Eltern tun können, um ihre Kinder zu fördern und zu schützen. Unter anderem: in einem Gebiet wohnen, wo strenge Abgasnormen für Autos gelten.
Eine neue Studie von Forschenden des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit Sitz in Berlin (DIW Berlin), des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Maastricht zeigt, dass Kinder und Jugendliche in Umweltzonen nicht nur körperlich, sondern auch mental gesünder sind als Gleichaltrige, die in vergleichbaren Orten ohne Umweltzone groß werden. Und nicht nur das: Auch ihre schulischen Erfolge sind größer. Die Datenauswertung, die am Mittwoch veröffentlicht wird und unserer Redaktion vorab vorliegt, hat Folgen auch für politische Entscheidungen.
Sogenannte Umweltzonen sind Gebiete, in denen strengere Grenzwerte für den Ausstoß von Feinstaub und Stickoxiden in Auto-Abgasen gelten. Fahrzeuge, die diese Anforderungen nicht erfüllen, dürfen dort nicht fahren, verlangt ist in den meisten Fällen eine grüne Plakette für die Schadstoffklasse 4.
Winzige Feinstaubpartikel verursachen im Körper Entzündungen – auch im Gehirn
Hintergrund ist der Gesundheitsschutz: Feinstaub und Stickoxide können zu Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Laut Schätzungen der Europäischen Umweltagentur starben 2021 253.000 Menschen in der EU wegen zu hoher Feinstaubkonzentration. Und die Schadstoffe haben auch Auswirkungen auf das Gehirn – vor allem bei jungen Menschen.
Für die Untersuchung haben die Forschenden über einen längeren Zeitraum anonymisierte Daten einer großen deutschen Krankenversicherung ausgewertet – aus Umweltzonen und aus vergleichbaren Gebieten ohne entsprechende Regelung, jeweils vor und nach Einführung der Umweltzone. Strukturelle Unterschiede, etwa beim Einkommensniveau, wurden dabei herausgerechnet, sagt Studienautorin Laura Schmitz. „Die Differenz, die dann noch übrig bleibt, kann man ursächlich auf die Umweltzone zurückführen.“
In Umweltzonen sinkt die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Angststörungen
Demnach sinkt etwa in Gebieten mit weniger Feinstaub und Stickoxiden die Wahrscheinlichkeit einer Diagnose für eine Depression um 3,5 Prozent, bei Angststörungen sind es 4,2 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen einen Facharzt oder eine Fachärztin in diesem Bereich aufsuchen, liegt in Umweltzonen um 5,7 Prozent niedriger als in den Vergleichsgebieten. Die Differenzen seien nicht riesig, sagt Schmitz, aber statistisch signifikant. Die Feinstaubpartikel seien so mikroskopisch klein, dass sie sehr tief in die Lunge gelangen und über den Blutkreislauf das Gehirn erreichen würden, so Schmitz. „Im Gehirn verursachen sie dann Entzündungen und eine Unterversorgung mit Sauerstoff, und das kann in Zusammenhang gebracht werden mit schlechterer mentaler Gesundheit und kognitiver Leistung.“
Besonders ausgeprägt ist der Effekt bei Kindern und Jugendlichen, deren Gehirne sich noch entwickeln. So lag die Wahrscheinlichkeit für eine diagnostizierte Angststörung in der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen zwei Jahre nach der Einrichtung einer Umweltzone rund zehn Prozent niedriger als zuvor. Bei 30- bis 49-Jährigen war der Rückgang weniger stark, für Menschen zwischen 50 und 69 Jahren zeigten die Daten kaum eine Veränderung.
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Die Forscherinnen und Forscher haben auch den Zusammenhang zwischen Luftqualität und schulischen Leistungen untersucht. Dazu zogen sie Schuldaten aus Nordrhein-Westfalen heran, die für die Jahre 2005 bis 2018 dokumentieren, wie viele Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule aufs Gymnasium wechseln.
Vor der Einführung der Umweltzonen war der Anteil der Kinder, die die Grundschule in Richtung Gymnasium verließen, demnach niedriger als in den Vergleichsgebieten. Die Autoren führen das darauf zurück, dass es soziale und Einkommensunterschiede zwischen der Bevölkerung in den Gebieten gibt. Nach Einführung der Umweltzonen verringern sich diese Unterschiede allerdings. Die Übergangsrate auf das Gymnasium erhöhte sich in den Umweltzonen laut der Analyse um einen Prozentpunkt. Mögliche Störvariablen seien auch hier herausgerechnet worden, sagt Schmitz. Die Wissenschaftlerin und ihr Team sehen in den Ergebnissen ein Indiz, dass bessere Luftqualität die Lernfähigkeit verbessert. Wie sich die Leistungen in den Jahren darauf entwickeln, wurde aufgrund der schlechten Datenlage nicht überprüft.
In Deutschland gibt es Umweltzonen seit 2008. 38 sind derzeit aktiv, die Zahl ist allerdings rückläufig, auch weil sich die Qualität der Luft verbessert hat. Die aktuell geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide werden in Deutschland inzwischen fast überall eingehalten.
Ab 2030 werden in der EU die geltenden Grenzwerte noch einmal deutlich verschärft. Damit könnte auch hierzulande die Belastung der Luft mit Schadstoffen in der Luft noch weiter sinken. Ob dann allerdings im gleichen Maße auch psychische Erkrankungen nach unten gehen und sich schulische Leistungen entsprechend verbessern, lässt sich aus den Ergebnissen dieser Studie nicht gesichert ableiten. Hier wäre weitere Forschung nötig, sagt Schmitz.
Die Ergebnisse sollten auch in die politische Debatte über Umwelt- und Luftschutzmaßnahmen eingehen, findet die Forscherin. „Das hat Auswirkungen in vielen Bereichen“, betont sie. „Bei der Diskussion um das Verbrennerverbot zum Beispiel spielt dieser Aspekt bisher noch keine Rolle – sollte er aber.“
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