Berlin. Im ARD-Talk werden politische Fehler während der Pandemie analysiert. Und der Gesundheitsminister streut Asche auf sein Haupt.

Ein von der Ampel geplantes aber nicht angepacktes Vorhaben ist die Aufarbeitung der staatlichen Corona-Politik durch den Bundestag – aber wie dringend notwendig die gewesen wäre, das hat die Stichwortgebung in der Talkrunde „Hart aber fair“ am Montag in der ARD gezeigt. „Was hat die Pandemie mit uns gemacht?“ war die Leitfrage von Moderator Louis Klamroth, die rasch abgewandelt wurde zur Frage, was man falsch gemacht habe in der Pandemie.

Geladen war Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitsminister seit 2021, der schon früher Fehleinschätzungen in der Pandemie öffentlich eingeräumt hatte, beispielsweise, dass man „zu hart“ mit den Kindern umgegangen und Lockerungen für sie zu spät ergriffen habe.

„Hart aber fair“: Karl Lauterbach bereut seinen Tonfall

In „Hart aber fair“ streute Lauterbach nun erneut Asche auf sein Haupt, nachdem ein Video eingespielt worden war, in dem der Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery von einer „Tyrannei“ der Ungeimpften über die geimpfte Mehrheit gesprochen hatte und er selbst, Lauterbach, davon geredet hatte, dass die Gruppe der Ungeimpften „das ganze Land in Geiselhaft“ nehme.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigt bei „Hart aber fair“ Einsicht.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigt bei „Hart aber fair“ Einsicht.

Ob er heute noch zu dieser Wortwahl stehe, wollte Klamroth wissen, und nach einem kurzem „Weiß ich nicht“, lenkte Lauterbach ein: „Ich finde, der Tonfall war nicht richtig, war nicht optimal.“

„Hart aber fair“: Gut, dass die Impfpflicht nicht kam

 Es sei damals eine hitzige Debatte im Bundestag gewesen und er habe auch die Ungeimpften vor eigenem Unheil schützen wollen: „Aber der Ton war drüber.“ Auch was die allgemeine Impfpflicht anbelangte, erkannte Lauterbach im Rückblick an, dass es richtig war, dass sie vom Bundestag – nach einer „würdigen Debatte“ – abgelehnt worden war. Dass die Omikron-Variante so „glücklich“, also harmlos, verlaufen würde, habe dazu beigetragen.

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Jede Vergangenheitsbewältigung rüttelt die Erinnerungen wach, auch die unliebsamen, aber man müsse auch schauen, was man Positives gewinnen können aus dieser „fürchterlichen Zeit“, bemerkte die Medizinethikerin Alena Buyx, die damals Mitglied der Ethik-Kommission war und von Klamroth als Mitglied im „Team Vorsicht“ vorgestellt worden ist. Heute nicht unbedingt ein Ehrentitel.

Buyx erinnerte daran, dass die jungen Leute besonders gelitten hätten in der Pandemie durch die Restriktionen – „das haben wir echt nicht gut gemacht“ – sie hätten eine „unerwiderte Solidarität“ zu den älteren Menschen an den Tag gelegt. Erinnerungstechnisch möchte Buyx ihr Augenmerk darauf legen, „welche unglaublichen gesellschaftlichen Leistungen“ damals vollbracht worden seien, in den Krankenhäusern, Kitas und Schulen, in der Nachbarschaft.

Ein zorniger Heribert Prantl

Da kam heftiger Widerspruch von Heribert Prantl, Autor der „Süddeutschen Zeitung“. Der Gesetzgeber habe keine „Höchstleistungen“ vollbracht, das Infektionsschutzgesetz lese sich wie eine Party, die von den Gästen unaufgeräumt verlassen worden sei, der Rechtstaat sei dispensiert gewesen, die Rechtssprechung – auch die aus Karlsruhe – sei ein Desaster gewesen.

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„Nicht nur die Gesundheit, auch das gesellschaftliche Leben hat während der Pandemie gelitten, wir haben jetzt eine Spaltung der Gesellschaft“, so Prantl. Man sei damals aufgefordert worden, zu den staatlichen Maßnahmen „zu applaudieren“. Dass es jetzt keine Aufarbeitung der Corona-Jahre gebe, mache ihn zornig. „In den 75 Jahren, die es das Grundgesetz gibt, ist nie so massiv in die Grundrechte eingegriffen worden wie in den drei Corona-Jahren.“

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Angeleitet vom Robert-Koch-Institut hätten die Politiker mit der Begründung des Lebensschutzes die Grundrechte beiseite geschoben, sie in ihrem Wesenskern tangiert. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen sei nicht klar genug gewesen.

Long-Covid-Patientin: Betroffenheit über krankes Mädchen

Karl Lauterbach wollte das so nicht stehen lassen, bei allen Entscheidungen seien die Eingriffe in die Grundrechte stets erörtert worden. Im Übrigen hätte Deutschland wesentlich mehr Corona-Tote und Long-Covid-Erkrankte, hätte man den vorsichtigen Kurs verlassen.

Das Schicksal der Long-Covid-Patienten – von Klamroth dargestellt am Fall einer schwerkranken 15-Jährigen – sorgte im Studio für große Betroffenheit. Das Mädchen ist seit einem Jahr bettlägerig, es sei, als ob das Kind „lebendig beerdigt“ sei, so seine Mutter, Elena Lierck, die den Hilfsverein „NichtGenesenKids“ gegründet hat. Lierck plädierte für eine nachhaltige Forschung und bessere Aufklärung von Ärzten, von denen viele zunächst meinten, Long-Covid sei „nur eingebildet“.

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Zur Sprache kamen in der Sendung die Defizite in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Versorgung, aber auch das Leiden der 100.000 Long-Covid-Patienten. Manchmal dauere es ein bis zwei Jahre, so Elena Lierck, bis die Pflegebedürftigkeit von Long-Covid-Patienten anerkannt werde.

Hirschhausen: Versagen des Gesundheitssystems

Der Arzt und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen nannte dies einen „Skandal“ und sprach von einem Versagen des Gesundheitssystems. Es komme sogar vor, dass Long-Covid-Patienten ihre Behandlung selbst zahlen müssten.

Von Hirschhausen will nach vorne blicken, er wies auf den Klimawandel, das Artensterben und „unseren Umgang mit Tieren“ hin, drei Faktoren, die das Überspringen eines Virus von Tier auf Mensch möglich machten. Man müsse sich fragen: „Wie können wir aus der Scheiße lernen, damit wir sie nicht wieder kriegen?“