Washington. Nach der Niederlage von Kamala Harris bei der US-Wahl liegt die Demokratische Partei in Agonie. Ein schneller Ausweg ist nicht in Sicht.

Die Autopsie der politischen Leiche hat noch gar nicht richtig angefangen. Da streiten sich die vielen „Pathologen“ bei den Demokraten bereits über die wahrscheinlichste Todesursache.

War es Joe Bidens langes Zögern bis zum gerontobedingten Rücktritt im Sommer, das Kamala Harris den Erfolg verunmöglicht hat? Oder war es eher die grenzenlose Loyalität der Vizepräsidentin zu ihrem unbeliebten Boss? War es die Halbherzigkeit, mit der an der Südgrenze der Zustrom Asylsuchender verwaltet wurde? Oder waren es sich seit Jahren zugunsten der Trump-Republikaner vollziehende tektonische Verschiebungen, die einen Sieg der Demokraten von Anfang an verhindert haben? 

Demokraten in der Krise: Kritik aus den eigenen Reihen

Weil die erste Garde der Partei – von Biden und Harris über die Führungsfiguren Pelosi, Schumer und Jeffries im Kongress –, wie paralysiert wirkt, schauen andere tiefer in den Abgrund der desaströsen Wählerwanderungen. Harris hat im Vergleich zu Biden 2020 gegen Trump fast acht Millionen Stimmen weniger eingefahren. Sie wurde mit einem Weiter-so assoziiert. Nicht mit einem Neuanfang.

Das treibt Marie Gluesenkamp Perez um. Die 36-Jährige führt im Nordwesten des Landes, in Washington State, eine Autowerkstatt und ist Kongressabgeordnete. Ihr ist in einem tief republikanischen Wahlbezirk etwas gelungen, was nur wenige Demokraten hinbekommen haben: Sie hat ihr Mandat im Repräsentantenhaus in Washington D.C. verteidigt und dabei weit besser abgeschnitten als Kamala Harris. 

Was Gluesenkamp Perez über ihre Partei sagt, ist heftiger als die erwartete Brandrede von Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders. Der linksliberale, parteilose Senator wirft den Demokraten vor, „die Menschen der Arbeiterklasse im Stich gelassen zu haben“. Gluesenkamp Perez wird grundsätzlicher. „Der grundlegende Fehler, den Menschen machen, ist Herablassung“, sagte sie just in einem Interview. „Viele gewählte Amtsträger stumpfen ab, wenn es darum geht, wie sie Menschen missachten.“

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Marie Gluesenkamp Perez konnte ihren Sitz im Repräsentantenhaus verteidigen. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jenny Kane

Übersetzt man das in die Sprache von Analysten in Washington, dann ist die Marke der Partei mit dem Esel im Wappen leidlich kaputtgewirtschaftet. Weil sich ihre Ansprache „an die gebildeten Eliten und Wohlhabenden in den Städten richtet, nicht an die, die ohne College-Abschluss durchs Leben gehen”. Dort hält sich ausweislich von Nachwahlumfragen das Verständnis für die Sorgen von Transgender-Menschen und anderen Minderheiten in Grenzen. Jedenfalls solange Post-Corona-Preise im Supermarkt noch immer jedes durchschnittlich befüllte Portemonnaie sprengen.

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Demokraten verlieren Kontakt zur Arbeiterklasse

Aber es wird komplizierter. Weder Bider noch Harris haben im Wahlkampf diese als „woke” verunglimpften Themen in den Vordergrund gestellt. Der Mittelschicht bei den Lebenshaltungskosten, den Krediten und an der Zapfsäule zu helfen und neue Jobs zu schaffen, war ihr wichtigstes Thema. Aber sie drangen damit kein bisschen mehr durch.  

Je öfter Harris auf die Segnungen von Bidens Post-Corona-Konjunktur-Gesetzen hinwies, die weltweit die stärkste wirtschaftliche Erholung auslösten, dabei aber die Alltagssorgen der Amerikaner nur kursorisch streifte, desto größer sei die Entfremdung geworden. „Uns wird einfach nicht mehr geglaubt“, sagt ein Abgeordneter aus Maryland. Nur so sei zu erklären, dass neben der weißen Arbeiterschaft auch große Teile der afro- wie der hispanisch-amerikanischen Community den Demokraten die Rote Karte gezeigt haben. „Das Volk rennt uns davon.” Harris‘ Wahlkampf der „Freude“ habe ignoriert, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung das Land seit Beginn der Biden-Präsidentschaft „auf dem falschen Kurs“ sah.

Trump nutzt „Woke“-Kritik gegen Demokraten

Auf der anderen Seite gelang es Donald Trump & Co. in einem der wirksamsten TV-Werbespots, die Demokraten genau in ebenjene „woke“ Ecke zu drängen. „Kamala ist für they/them”, spießten die Konservativen die politisch korrekte Gendersprache auf, „Präsident Trump ist für dich.“ Die englischen Personalpronomen they/them werden häufig für nicht binäre Menschen verwendet, die sich weder als „er“ noch als „sie“ identifizieren.

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Ein Satz, der auch bei vielen Schwarzen und Latinos verfing, die jahrzehntelang eine Bastion für die Demokraten waren. Dazu kommt: Dass Kamala Harris Trump ob seiner autokratischen Gelüste offen als Faschisten bezeichnete, „hat gewiss Wähler mobilisiert, aber nicht unsere”.

Scheitern an Trumps Rehabilitierung

Regelrecht konsterniert sind demokratische Funktionäre über die Tatsache, dass es nicht gelungen ist, unabhängige, unentschlossene Wähler davon zu überzeugen, dass Donald Trumps erste Amtszeit schlechter war, als er es penetrant darstellt. „Unter den Augen der Demokraten gelang Trump eine nahezu vollständige Rehabilitierung“, sagen Politik-Analysten der Georgetown-Universität in Washington. „Alle Versuche, ihn wegen des Sturms aufs Kapitol und daraus resultierenden Strafprozessen für endgültig disqualifiziert zu erklären, gingen an Millionen Wählern vorbei.“

Wie weiter nun? Ob und wann sich das Grummeln in der Partei zu einem öffentlichen Krach hochschaukelt, ist noch nicht absehbar. Führende Figuren, die bei der Wahl 2028 eine Rolle spielen könnten – etwa die Gouverneure von Pennsylvania, Josh Shapiro, Kalifornien, Gavin Newsom, und Michigan, Gretchen Whitmer –, halten sich noch bedeckt. Auch der intern bestens beleumundete Verkehrsminister Pete Buttigieg, dem viele eine tragende Rolle zubilligen, hat sich bisher nicht eingelassen. 

Dabei drängt die Zeit. In zwei Jahren sind Zwischenwahlen im Kongress. Bis dahin müssen die Demokraten einen Lernerfolg vorweisen. „Sonst könnten sich die Trump-Republikaner dauerhaft an der Macht etablieren.“