Berlin. Bei den Regierungsgesprächen nach den Ostwahlen geht es einen wichtigen Schritt voran. Dafür muss sich die SPD vom Kanzler distanzieren.
Regiert Sahra Wagenknechts Partei demnächst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg? Zumindest in Brandenburg und Thüringen gelang den verhandelnden Parteien am Montag ein entscheidender Schritt. Die SPD in Brandenburg beugte sich dafür allerdings dem Druck Wagenknechts und stimmte einer Formulierung zur Friedenspolitik zu, mit der sie sich von der außenpolitischen Linie des Bundeskanzlers distanzierte.
In Thüringen verhandelte CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt eine Formulierung, mit der er nicht von Parteichef Friedrich Merz und dessen Linie in der Ukraine-Politik abrücken musste – wie Wagenknecht es verlangt hatte.
Wagenknecht kritisiert Kompromiss in Thüringen
Entsprechend unzufrieden zeigte sich die BSW-Gründerin am Abend. Sie bezeichnete das Verhandlungsergebnis als Fehler. „Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW in Thüringen geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“, sagte sie dem „Spiegel“. „Wenn CDU und SPD den Eindruck bekommen, dass das Thüringer BSW sich elementare Positionen wegverhandeln lässt, macht das gute Koalitionsverhandlungen nicht leichter“, so Wagenknecht. „Deshalb war es ein Fehler, sich nicht an dem in Brandenburg gefundenen Kompromiss zu orientieren.“
Thüringens BSW-Landeschefin Katja Wolf hatte zuvor gesagt, das Papier sei mit Wagenknecht diskutiert worden. „Zustimmung ist rein formal nicht vorgesehen.“
In Brandenburg zeigt Wagenknechts Druck Wirkung
Den Anfang machten am Montag Brandenburgs SPD-Landeschef und amtierender Ministerpräsident Dietmar Woidke sowie BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach. Sie präsentierten ein dreiseitiges Dokument, auf dessen Grundlage sie Koalitionsverhandlungen führen wollen. Darin äußern sie sich ausführlich zum Thema Krieg und Frieden, darauf hatte die von Gegnern als Putin-freundlich kritisierte Wagenknecht-Partei bestanden.
Die Sorge der Bürger vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs und vor dem Risiko, „dass auch Deutschland in eine sich immer schneller drehende Kriegsspirale hineingezogen wird“, werde ernst genommen, heißt es nun in dem Papier. Auch auf „Bundesebene“ wolle man sich für eine diplomatische Lösung einsetzen, um dauerhaften Frieden zu erreichen. SPD und BSW halten zudem fest: „Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch.“ Nicht in Brandenburg oder Ostdeutschland, sondern auf deutschem Boden überhaupt.
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Die Stationierung von US-Raketen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Regierung in Washington vereinbart – die Formulierung ist somit eine deutliche Distanzierung von der Linie des Kanzlers. „Die SPD-Parteispitze und die Spitze der Bundesregierung ist unterrichtet“, sagte Woidke knapp zu der Frage, ob er die Bundespartei über die Positionierung informiert habe.
Pandemie-Aufarbeitung: BSW und SPD planen Corona-Amnestiegesetz
Neben dem Thema Frieden fanden die Verhandler in Brandenburg auch eine Verständigung in einem anderen heiklen Punkt: SPD und BSW wollen eine Enquetekommission einsetzen, um die Corona-Politik aufzuarbeiten. Das Gremium soll unter anderem ein Corona-Amnestiegesetz vorlegen. Dieses solle nicht Straftaten wie den Betrug mit Corona-Beihilfen umfassen, kündigte Crumbach an, aber Bußgelder für den Vorstoß gegen Infektionsmaßnahmen, etwa wenn zu viele Menschen gemeinsam auf einer Parkbank saßen.
Wagenknecht-Vertraute: Brandenburg-Papier kann Blaupause für Sachsen und Thüringen sein
Aus ihrer Sicht könne die Einigung in Brandenburg zur Friedenspolitik als Blaupause für die Verhandlungen in Sachsen und Thüringen dienen, sagte die BSW-Bundesvorsitzende Amira Mohamed Ali dieser Redaktion nach der Pressekonferenz in Potsdam: „Die Formulierungen im Sondierungspapier Brandenburg sind unserer Ansicht nach ein guter Kompromiss“, fügte die Wagenknecht-Vertraute hinzu. „Auf dieser Basis können wir uns bezüglich der Friedenspolitik auch eine Zusammenarbeit in Thüringen und Sachsen vorstellen.“
Blick nach Sachsen: Hier platzte die Einigung mitten in die schwierigen Sondierungsgespräche von CDU, BSW und SPD. Die SPD hatte die Gespräche ausgesetzt – aus Ärger über das BSW, das mit der AfD für die Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses gestimmt hatte. Bei einem Dreiertreffen seien am Montagmorgen Missverständnisse im Umgang miteinander ausgeräumt worden, hieß es in Dresden. Die Sondierung gehe nun weiter.
Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt schärfte Position erst am Wochenende
Am Nachmittag gab es schließlich auch Nachrichten aus Thüringen: CDU, SPD und BSW verständigten sich dort ebenfalls auf eine Formulierung zum Thema Krieg und Frieden. „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik“, heißt es in dem vereinbarten Text. „Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“ Die Parteien halten zudem fest, dass sie „hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine“ unterschiedlicher Auffassung seien – Wagenknecht will die Militärhilfe einstellen.
Dennoch einige sie das Ziel, „eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas“ voranzutreiben, lautet die Einigung weiter. CDU, SPD und BSW erkennen in dem geeinten Papier zudem an, „dass viele Menschen in Thüringen die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen kritisch sehen bzw. ablehnen“. Die künftige Regierung Thüringen wolle eine breit angelegte Debatte darüber fördern. Ob die Formulierungen auch die Zustimmung Wagenknechts finden würde, blieb aber zunächst offen.
Die Bundes-CDU um Parteichef Merz unterstützt nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern auch die Stationierung der US-Raketen. Mit dem gefundenen Kompromiss dürften Voigt und die gesamte Parteispitze zufrieden sein. Eine klare Distanzierung, wie sie die Brandenburger SPD gegenüber der Scholz-Linie eingegangen ist, spricht aus dem Papier nicht.
Name | Sahra Wagenknecht |
Geburtsdatum | 16. Juli 1969 |
Partei | ehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) |
Parteimitglied seit | 1989 (SED) bis 2023 (Die Linke), seit 2024 BSW |
Familienstand | verheiratet, keine Kinder |
Ehemann | Oskar Lafontaine |
Wohnort | Merzig (Saarland) |
Vorwurf: Wagenknecht mischte sich in Verhandlungen ein
Das BSW blockierte in Thüringen seit mehr als einer Woche den Einstieg in Koalitionsverhandlungen, obwohl bereits ein 19-seitiges Sondierungsergebnis auf dem Tisch lag. Die Wagenknecht-Statthalter wollten, offenbar nach dem Veto von Wagenknecht persönlich, die „Friedenspräambel“ verhandeln, bevor der Beginn von Koalitionsverhandlungen über eine „Brombeer“-Regierung erfolgt.
Nun kann es also auch in Thüringen am Verhandlungstisch weitergehen.
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