Berlin. TikTok kann mehr als nur Unterhaltungsclips. Immer mehr Akteure wollen ihre Zuschauer auch bilden. Doch ihre Arbeit hat Schattenseiten.

Die Social-Media-Plattform TikTok wird gerne als Beispiel für die Dinge herangezogen, die im Internet falsch laufen. Im besten Fall findet man dort seichte Unterhaltung, im schlechtesten gefährliche Desinformation, klagen Kritiker. Tatsächlich feiern dort immer wieder Rechtspopulisten große Erfolge. AfD-Mann Maximilian Krah zum Beispiel. Der Ex-Europawahl-Spitzenkandidat ging unter anderem mit einem Clip viral, in dem er jungen Männern versprach, sie würden eine Freundin finden, wenn sie nur rechts wählen würden.

TikTok: Auch der Bundeskanzler ist auf der Plattform

Doch inzwischen haben sich auch Politiker anderer Parteien auf die Plattform des chinesischen Unternehmens ByteDance getraut. TikTok steht laut aktuellem Reuters Digital News Report über alle Altersklassen hinweg auf Platz fünf der beliebtesten sozialen Netze, vor Elon Musks X (ehemals Twitter). Noch liegen YouTube und die Platzhirsche des Meta-Konzerns Instagram, Facebook und WhatsApp vor TikTok, aber seine Bedeutung steigt. Insbesondere junge Menschen nutzen die App, auf der seit einigen Monaten auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) oder Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Einblicke in ihren Arbeitsalltag geben. Inhaltlich wird es jedoch kaum, Scholz stellt seine Aktentasche vor, Habeck überreicht Meisterbriefe.

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Auch die großen deutschen Medienhäuser und der öffentlich-rechtliche Rundfunk nutzen die Plattform immer häufiger. Die Tagesschau gilt unter Medienwissenschaftlern als Positivbeispiel, weil sie die junge Zielgruppe mit seriösen Nachrichten besonders gut erreicht. Doch die Plattform erschwert immer wieder den freien Austausch – etwa wenn Kommentare, die bestimmte Begriffe enthalten, heimlich von TikTok gesperrt werden. Auch deshalb spielt sich auf der Plattform immer noch hauptsächlich Unterhaltung ab, meist von Privatpersonen.

Doch immer mehr private Content Creator streben danach, die Plattform auch mit inhaltlich ansprechenden Kurzvideos zu füllen. Eine davon ist Theresia Crone. Die 22-Jährige arbeitet nach ihrem Studium in französischem und deutschem Recht als Speakerin, freie Autorin und Aktivistin. „Viele, die wie ich aus der Klimabewegung kommen, haben in den letzten Jahren immer mehr Hass und Bedrohungen abbekommen“, erzählt sie. Die Polarisierung käme zu einem Großteil aus den sozialen Medien. „Ich habe mich dann entschieden, auf TikTok, wo viele junge Menschen mit rechten oder extremistischen Inhalten konfrontiert werden, auch meine Meinung zu äußern und demokratischere Standpunkte zu vertreten.“

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Dazu macht sie klassischen TikTok-Content, wie Outfit-Checks, Videos über den eigenen Tagesablauf oder kurze Clips zu viraler Musik, verbindet das aber stets mit politischen Botschaften. So nennt sie nicht die Marke ihrer Kleidung, sondern verweist stattdessen auf aktuelle Ereignisse. Zwar würde der TikTok-Algorithmus populistische und zugespitzte Aussagen bevorzugen, es gäbe aber auch andere Möglichkeiten. „Indem man zum Beispiel humorvolle Videos macht oder indem man Personen, die sympathisch sind, in den Mittelpunkt stellt, kann man auch auf TikTok Politik gut erklären“, glaubt Crone.

Politische Aufklärung: Auf TikTok kann man auch über den Holocaust sprechen

Susanne Siegert hat sich ein besonders komplexes Thema vorgenommen. Die 32-Jährige bespricht den Holocaust auf TikTok – und erreicht damit Hunderttausende. Zuerst sprach sie auf Instagram über das KZ-Außenlager Mühldorfer Hart, in dessen Nähe sie aufwuchs. Vor zwei Jahren startete sie auch mit TikTok, das Thema ihres ersten Videos: „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Nach wenigen Tagen hatte es mehrere hunderttausend Aufrufe.

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Von möglichen Wortfiltern der App lässt sie sich nicht aufhalten. „Ich spreche Worte wie ‚vergasen‘ oder ‚ermorden‘ in meinen Videos aus, und trotzdem werden sie millionenfach ausgespielt“, berichtet Siegert. Inzwischen hat sie Hunderte kurze Clips veröffentlicht, die einzelne Aspekte des Holocaust thematisieren. Seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 sei der Ton in ihren Kommentarspalten allerdings deutlich schärfer geworden, so Siegert. Auch sie beobachtet seitdem eine massive Zunahme von Antisemitismus im Internet. Kommentare, in denen der Holocaust geleugnet oder relativiert wird, löscht sie selbst und blockiert die Nutzer.

Auch Theresia Crone berichtet von Hassbotschaften: „Würde ich alle strafrechtlich relevanten Kommentare zur Anzeige bringen, würde mich das pro Woche 10 bis 15 Stunden kosten“, erzählt die 22-Jährige.

Hier zeigt sich ein Problem der Online-Aufklärer. Die Creator berichten nicht nur von Hasskommentaren, sondern auch von gezielten Versuchen, ihre Videos sperren zu lassen. Crone nennt TikTok „bipolar“, weil die Plattform großartig für politische Kommunikation sei, aber auch voller Hass. Creator müssen das als Privatpersonen meist allein stemmen.

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Siegert sieht daher auch Parteien abseits der AfD in der Pflicht, auf TikTok nachzuziehen. „Die Versuche, die es da bisher gibt, sind eher peinlich. Es braucht keine Rollenspiele oder Tänze, sondern eine zielgruppengerechte Ansprache auf Augenhöhe“, analysiert sie. „Viele politische Themen sind für junge Menschen wichtig und die kann man auch auf TikTok gut kommunizieren“, sagt die 32-Jährige.