Berlin. Deutschlandweit zeigt sich, dass viele junge Männer ihr Kreuz bei der AfD machen. Junge Frauen wählen eher links. Woran liegt das?

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, sowie der Europawahl vor wenigen Monaten zeigen: Die AfD erreicht die Jugend. Insbesondere junge Männer lassen sich von Rechtspopulisten begeistern. Junge Frauen hingegen sind der AfD gegenüber skeptischer.

Der Soziologe Ansgar Hudde forscht an der Universität Köln unter anderem zum Wahlverhalten von Männern und Frauen. Kommendes Frühjahr erscheint sein Buch „Wo wir wie wählen – Politische Muster in Deutschlands Nachbarschaften“ beim Campus Verlag. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt er, warum die AfD bei jungen Frauen (noch) wenig Anklang findet.

Bei den Debatten um das Erstarken der AfD geht es vor allem um junge Männer, die plötzlich rechts wählen. Aber was wählen eigentlich junge Frauen?

Angar Hudde: In Brandenburg war bei den jungen Frauen die SPD auf Platz 1, bei den Männern dagegen die AfD. Allerdings kam auch bei den Frauen die AfD bereits auf dem zweiten Platz. Es gibt also Geschlechterunterschiede, es sind aber längst nicht nur die Männer, die AfD wählen. Bei der Bundestagswahl 2021 war es noch so, dass die jungen Männer vor allem FDP und die jungen Frauen vor allem die Grünen gewählt haben. Bei den Landtagswahlen haben diese Parteien aber geschlechtsunabhängig kaum eine Rolle gespielt.

Warum ist der Rechtsruck bei jungen Frauen weniger stark ausgeprägt?

Hudde: Ein Kernmotiv rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien ist eine Form der Nostalgie. In den USA ist das „Make America Great Again“, es war also mal groß. Beim Brexit war es „Take Back Control“, es gab also mal diese Kontrolle. Der AfD-Slogan von 2021 war „Deutschland, aber normal“, das ist nicht so explizit, geht aber in eine ähnliche Richtung. Gleichzeitig sehen wir, dass sich die Lage von Frauen in den letzten 30 bis 50 Jahren in vielen Bereichen verbessert hat. Es gibt noch große Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen, etwa der Gender Care Gap oder die Geschlechterverteilung bei Spitzenpolitikern, dennoch hat sich für Frauen relativ gesehen mehr verbessert als für Männer. Im Bildungsbereich haben sich die Ungleichheiten sogar umgedreht. Junge Mädchen und Frauen gehen deutlich häufiger aufs Gymnasium, machen Abitur und studieren. Der Nostalgiefaktor kommt also bei Frauen schlechter an als bei Männern.

Ansgar Hudde
Der Soziologe Ansgar Hudde weiß, warum junge Frauen sich seltener für die AfD begeistern. © Stephanie Kubens | Stephanie Kubens

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass Olaf Scholz bei jungen Frauen deutlich beliebter ist als Friedrich Merz. Sind junge Frauen generell einfach weiter links?

Hudde: Beim Wahlverhalten sehen wir in Deutschland und einer Reihe anderer Länder, dass Frauen eher links wählen. Bei der Einstellung zu einzelnen Themen ist das nicht so eindeutig. So sind besonders junge Frauen häufig für mehr staatliche Gleichstellungsmaßnahmen, wie etwa die Frauenquote. Bei anderen Fragen wie Migration oder Umverteilung sind die Unterschiede aber wesentlich geringer. Aber auch wenn die Selbsteinschätzung abgefragt wird, ordnen sich junge Frauen etwas häufiger links ein als junge Männer.

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Woran liegt das?

Hudde: Der Glaube hat Menschen früher eher an die Unionsparteien CDU und CSU gebunden und Frauen waren und sind gläubiger als Männer. In Deutschland hat die Religiosität aber bei allen Geschlechtern stark abgenommen und das schlägt bei den Frauen stärker zu Buche, weil das Ausgangsniveau höher war. Dazu kommen langfristige Trends auf dem Arbeitsmarkt. Frauen sind in Niedriglohnberufen, im soziokulturellen Bereich und im öffentlichen Dienst überrepräsentiert. Menschen aus diesen Berufsfeldern machen ihr Kreuz, unabhängig vom Geschlecht, eher bei Parteien links der Mitte.

Gab es diesen Gender Vote Gap schon immer?

Hudde: Dass Frauen eher links wählen, sehen wir in Deutschland erst seit den Bundestagswahlen 2017. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Frauen bis zum Ende der 1960er konservativer gewählt als Männer. Dann gab es lange wenig Unterschiede im Wahlverhalten und erst in den Nullerjahren sind wieder größere Unterschiede aufgetreten, die sich aber weniger am Links-Rechts-Schema orientiert haben. So wurden die Grünen in den Nullerjahren eher von Frauen gewählt, die Linke aber eher von Männern. Ähnlich war es bei der FDP, die als Männerpartei galt, während die Union bei Frauen beliebter war. Der Trend, dass Frauen sich eher nach links und Männer nach rechts orientieren, ist also noch recht neu.

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Wie ist das in anderen Ländern?

Hudde: In anderen Ländern gab es diese Entwicklung schon deutlich früher, teils seit den 1980ern. Warum das so ist, ist nicht vollständig klar. Ein Teilfaktor ist aber das relativ späte Auftreten der AfD, der es vor allem gelingt, Männer zu überzeugen, wodurch die Frauen im Vergleich weiter links stehen. Es gibt da auch Gegenbewegungen, vor allem bei jungen Frauen, die weiter nach links rutschen. Allerdings haben wir bei den Ostwahlen und auch der Europawahl gesehen, dass inzwischen auch immer mehr Frauen AfD wählen.

Wird dieser Trend sich fortsetzen?

Hudde: Das ist schwer vorherzusagen. Allerdings verläuft Geschichte selten linear und die letzten Jahre waren voller Überraschungen. Der aktuelle Rechtsruck ist ein relativ neues Phänomen und es gibt kein Naturgesetz, das sagt, dass es so weitergehen muss.