Berlin. Israels heftige Bombardements markieren eine neue Eskalationsstufe im Konflikt mit der Hisbollah. Viele Libanesen fliehen in Panik.

Die folgenschwersten Angriffe Israels im Libanon seit fast zwei Jahrzehnten schüren die Sorge vor einer unkontrollierbaren Eskalation im Nahen Osten. Rund 500 Menschen wurden nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums bei massiven Luftangriffen getötet, darunter Dutzende Kinder – zudem gebe es mehr als 1600 Verletzte. Es ist die höchste Opferzahl im Südlibanon seit dem letzten Krieg zwischen Israel und der mächtigen Hisbollah-Miliz im Jahr 2006. 

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Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben am Montag rund 1.600 Ziele im Libanon an – und führte die Attacken in der Nacht auf Dienstag fort. Die Angriffe unter dem Codenamen „Pfeile des Nordens“ zielten nach israelischer Darstellung auf Waffenlager der proiranischen Hisbollah-Miliz, die Israel seit Anfang Oktober mit rund 9.000 Raketen und Drohnen angegriffen habe. Einige dieser Lager hätten sich in privaten Wohnräumen von Zivilisten befunden, die vor den Angriffen aufgerufen worden seien, sich in Sicherheit zu bringen.

Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant Zehntausende Raketen der Hisbollah zerstört. Vor Beginn ihrer Angriffe am 8. Oktober wurde das Waffenarsenal der Hisbollah auf 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper geschätzt.

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Die Hisbollah, die im Libanon praktisch wie ein Staat im Staate agiert, reagierte ihrerseits mit heftigen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Rund 250 Geschosse seien aus dem Libanon abgefeuert und teils von der Raketenabwehr abgefangen worden, teils in offenem Gelände eingeschlagen, teilte das israelische Militär mit. Einige davon reichten nach Medienberichten deutlich tiefer in israelisches Gebiet hinein als je zuvor seit Beginn der Hisbollah-Angriffe.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl

Israels Ministerpräsident Netanjahu wendet sich ans libanesische Volk

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: „Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah“, sagte er. „Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht.“ Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, sagte Netanjahu.

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Im Süden des Libanons brach Panik unter den Menschen aus, viele flohen in Richtung Beirut oder andere Orte im Norden des Landes. Auf den Straßen kam es zu langen Staus, Schulen wurden in Notunterkünfte umgewandelt. Es herrsche „Panik und Chaos“, berichteten Augenzeugen. Nach den Bombardierungen im Süden griff Israels Luftwaffe auch Stellungen in der Bekaa-Ebene im Nordosten des Libanons an, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.

Libanon: Warnungen an Zivilbevölkerung vor Angriffen

Generalstabschef Herzi Halevi erklärte, das Militär greife die von der Hisbollah in den vergangenen 20 Jahren für ihren Kampf gegen Israel aufgebaute Infrastruktur an. Seine Armee bereite schon „die nächsten Phasen“ des Kampfes vor, sagte er, ohne Details zu nennen.

Vor der neuen Angriffswelle soll die Zivilbevölkerung im Libanon durch automatisierte Anrufe und per SMS gewarnt worden sein. Berichten zufolge wurde dazu aufgerufen, sich bis auf Weiteres von Dörfern fernzuhalten, in denen Waffen der Hisbollah gelagert seien. Das libanesische Informationsministerium bezeichnete die Aktion als „psychologische Kriegsführung“ Israels.

Ein Libanese liest eine Nachricht auf seinem Handy. In einigen Teilen werden die Menschen zur Evakuierung aufgerufen.
Ein Libanese liest eine Nachricht auf seinem Handy. In einigen Teilen werden die Menschen zur Evakuierung aufgerufen. © AFP | JOSEPH EID

Die israelische Regierung beschloss nach den Luftangriffen in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Dieser hat auch zur Folge, dass die Größe von Versammlungen eingeschränkt werden kann. In der Nacht wurde in vielen Ortschaften im Norden Israels erneut Raketenalarm ausgelöst.

Ein Sprecher des Heimatschutzes sagte der Nachrichtenseite „ynet“, die Einwohner des Landes sollten darauf vorbereitet sein, im Fall von Raketenangriffen Schutzräume aufzusuchen. Besondere Anweisungen gelten weiterhin im Bereich nördlich der Hafenstadt Haifa. Dort findet auch kein Schulunterricht statt. Die Strände sind geschlossen. Im Fall von Sirenen im Großraum Tel Aviv hätten die Menschen bei Angriffen aus dem Libanon anderthalb Minuten Zeit, Schutzräume aufzusuchen, sagte der Heimatschutz-Sprecher.

Seit der neuerlichen Eskalation zwischen Israel und dem Libanon mussten rund 150.000 Menschen ihre Wohnorte auf beiden Seiten der Grenze verlassen. Die kriegsähnliche Auseinandersetzung hat sich nach der Explosion Tausender Funkgeräte im Libanon sowie einem israelischen Angriff auf die Hisbollah-Führung nahe Beirut mit mehr als 50 Toten vorige Woche nochmals verschärft. Israels Armee weitete die Angriffe im Nachbarland abermals aus, auch dabei gab es Dutzende Tote und Verletzte.

Israel weicht Fragen zu Bodenoffensive aus

Bislang greift Israel den Libanon aus der Luft und mit Artillerie über die Grenze hinweg an. Eine Bodenoffensive im Süden des Libanons würde eine weitere gefährliche Eskalation des Konflikts bedeuten – und möglicherweise andere mit dem Iran verbündete Kräfte noch tiefer in den Krieg hineinziehen. Israels Armee weicht Fragen zu einem möglichen Truppeneinmarsch im Libanon bislang aus.

Hisbollah und Israel überziehen sich mit Angriffen

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    Terroristen der mit der Hisbollah verbündeten Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker löste den Gaza-Krieg aus, seither greift die Hisbollah den jüdischen Nachbarstaat fast täglich mit Raketen an. Israel will die Hisbollah wieder aus dem Grenzgebiet verdrängen, um die Sicherheit seiner Bürger im Norden zu gewährleisten und Vertriebenen die Rückkehr zu ermöglichen.

    Israel und die Hisbollah führten bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander. Die Miliz ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der Hamas. Diese kämpft im Gazastreifen gegen Israel, wird ebenfalls vom Iran unterstützt.