Berlin. Im Libanon explodieren Pager und Walkie-Talkies. Die Geräte sollen aus der Ferne gezündet worden sein. Experten sagen, wie das möglich ist.

Pager und Walkie-Talkies als ferngesteuerte Waffen. Was zunächst nach veralteter Science-Fiction klingt, ist im Libanon seit dieser Woche real. Zwei Tage infolge explodierten zahlreiche Geräte. 32 Menschen starben, über 3150 wurden verletzt, viele von ihnen stehen in Verbindung mit der libanesischen Hisbollah-Miliz.

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Experten für Mobilfunknetze und Cybersicherheit gehen von gezielter Manipulation aus – und schließen ein technisches Versagen aus. Mithilfe einer Überlastung der Geräte könnte eine Reaktion ausgelöst werden, die versteckte Sprengsätze detonieren lässt. Doch diese Theorie ist sehr unwahrscheinlich, da sind sich die Experten einig.

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Pager-Explosion im Libanon: War es eine Geheimdienstoperation?

Bereits am Dienstag berichtete die New York Times von einer Operation des israelischen Geheimdienstes. Der US-Zeitung zufolge soll der Mossad kleine Mengen „explosives Material“ (25 bis 50 Gramm) in den Pagern versteckt und dieses mithilfe einer Nachricht gleichzeitig detoniert haben. Gesicherte Informationen zu der Beteiligung Israels gibt es allerdings nicht. Israel selbst hält sich bedeckt.

Bei den Explosionen im Libanon kamen mehr als 30 Personen ums Leben.
Bei den Explosionen im Libanon kamen mehr als 30 Personen ums Leben. © DPA Images | Mohammad Zaatari

Dennoch verdichten sich die Hinweise, dass den Explosionen eine Geheimdienstoperation zugrunde liegt: Dafür seien 5000 Pager noch vor dem Import in den Libanon präpariert worden – ein sogenannter Angriff auf die Lieferkette oder auch „Supply-Chain-Angriff“. Für eine solche Explosion sei zusätzlicher Sprengstoff nötig, sagen Experten, die Geräte allein hätten die Wirkung nicht verursachen können. Am Tag darauf explodierten erneut Funk-Geräte, diesmal: Walkie-Talkies.

Libanon: Nach Pagern explodieren nun auch Funkgeräte der Hisbollah

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    Pager boten der Hisbollah eigentlich einen Vorteil

    Pager sind, anders als Smartphones, nicht zu orten. Die Hisbollah verwendet sie bereits seit mehreren Jahren, um nicht Ziel israelischer Angriffe zu werden. „Auch das Militär nutzt spezielle Funkfrequenzen, weil sie mit ihnen ein isoliertes System haben, das sicher ist“, erklärt Dr. Damian Dudek, Geschäftsführer der Informationstechnischen Gesellschaft im Verband der Elektrotechnik (VDE).

    „Pager können sich nicht als aktive Sender mit dem Netz in Verbindung setzen und deshalb keine Positionsabgaben durchgeben“, bestätigt Professor Andreas Noack vom Institut für sichere mobile Kommunikation (ISMK). Das Funknetz Pocsag-Protokoll, über das die Pager Nachrichten erhielten, sei ein „uralter Standard“. Auch in Deutschland gebe es diese Kommunikationsart zum Teil noch, das entsprechende „One-Way-Netz“ werde beispielsweise von Feuerwehren genutzt.

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    Wie konnten die Pager im Libanon explodieren?

    Laut Dudek muss jedes Mobilkommunikationsendgerät eine Energiequelle in Form eines Akkus besitzen. Im Grunde ist dieses „wie ein Benzintank letztendlich eine chemische Form zur Speicherung, elektronischer Energie.“ Ein direkter Kurzschluss führe eher zu einem Erhitzen des Akkus als zu einer Explosion. Durch Signale in Form einer Nachricht könnten Elektronik und Akku durch eine thermische Kettenreaktion belastet werden.

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    „Wenn die sehr hohe Energiedichte in einem Akku sich plötzlich entlädt, dann kann dieser anfangen zu brennen und es wird thermische Energie freigesetzt“, sagt Dudek. In der Folge käme es aber nicht zu einer Explosion. „Das heißt, es bedarf auf jeden Fall einer technischen Manipulation an dem Gerät.“ Bei den heutigen Sicherheitsstandards sei es sehr unwahrscheinlich, dass Geräte, selbst unter hoher Belastungen, anfangen zu brennen. Diese These stützt Noack vom ISMK: „Dass die Geräte detoniert sind, funktioniert aus technischer Sicht nicht ohne einzugreifen, ohne sie zu manipulieren.“

    Genauso wie mit den Pagern und Walkie-Talkies könne jedes Mobilfunkgerät manipuliert werden. Bei modernen Smartphones sei allerdings deutlich weniger Platz, um Sprengsatz und Zünder anzubringen, so Dudek. Eine generelle Gefahr ohne die Manipulation bestehe nicht, fügt Noack hinzu. „Laptops oder Telefone sind genauso für die Manipulation geeignet“, betont Waidner, der das Frauenhofer Institut SIT und das nationale Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit (Athene) leitet. Und weiter: „Stellen Sie sich vor, Sie können eine beliebige Zahl hinschicken und eine unter Milliarden ist der Code, um die Sprengung auszulösen. Das ist kein Cyberangriff, das ist keine Raketenwissenschaft.“

    Funkgeräte im Libanon explodierten, nachdem sie alle eine Nachricht erhielten.
    Funkgeräte im Libanon explodierten, nachdem sie alle eine Nachricht erhielten. © DPA Images | -

    Programmierte Codes können eine Art Fernzünder bilden

    „Das Schlimmste, was jemand machen kann“, beginnt der VDE-Chef Dudek, „ist ein Telefon zu überlasten, indem er ganz viele Prozesse darauf laufen lässt. Im Prinzip müssen alle verbauten Zellen in dem Akku gleichzeitig kurzgeschlossen werden, um zu überlasten, das ist sehr unwahrscheinlich.“

    Laut Noack vom ISMK ist diese Form der Fernzündung zu unpräzise, um den Sprengstoff gleichzeitig zu entzünden. Deswegen geht der Experte davon aus, dass neben Sprengstoff ein Zünder eingebaut wurde. Anders als vielfach berichtet, könne dabei eine SMS die Sprengung nicht ausgelöst haben: „Auslöser für einen Zündmechanismus dürfte eine speziell für diesen Zweck verfasste Nachricht sein. Im Gegensatz zu einer SMS im klassischen Mobilfunknetz melden sich Pager nicht mit einer Bestätigung beim Netz zurück.“ Eine Gefahr für Cyberangriffe, die Geräte auch in Deutschland explodieren lasse, besteht laut Waidner vom Frauenhofer Institut SIT nicht.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl