Moskau. Den Ukrainern gelingen weitere Erfolge auf russischem Gebiet, Tausende Menschen müssen fliehen – nun rückt eine Pipeline in den Fokus.
Wieder sind tausende Menschen auf der Flucht – sowohl in der ukrainischen Region Sumy, aber auch jenseits der Grenze, in der russischen Region Kursk. 76.000 Einwohner wurden dort bislang evakuiert. Es gilt der föderale Notstand. „In der Stadt Kursk wurde ein übergeordnetes Einsatzhauptquartier eingerichtet, um der Bevölkerung in den Grenzgebieten der Region Kursk Hilfe zu leisten“, sagte Artjom Scharow vom russischen Ministerium für Notsituationen laut dem Onlineportal ng.ru.
Der amtierende Gouverneur der Region, Alexej Smirnow, drängt indes zur Eile. Er habe die örtlichen Behörden aufgefordert, „die Evakuierungsanordnung schneller durchzuführen“, schrieb Smirnow bei Telegram. Unklar ist indes die Lage an der Gas-Messstation Sudscha, die sich unmittelbar an der russisch-ukrainischen Grenze befindet. Laut dem Telegram-Kanal „Rybar“ sollen ukrainische Truppen die Station eingenommen haben – im Netz kursieren Videos, die das bestätigen sollen.
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Sudscha ist die Übergabestation einer wichtigen Pipeline, durch die russisches Gas über die Ukraine direkt nach Europa fließt. Im Jahr 2023 wurden rund 14,65 Milliarden Kubikmeter Gas über Sudscha gepumpt, fast die Hälfte aller russischer Gaslieferungen nach Europa. Noch scheint der Gastransport nicht gefährdet zu sein, russisches Erdgas fließe weiter wie gewohnt über die Ukraine, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den ukrainischen Gasleitungsbetreiber. Auch der russische Lieferant Gazprom bestätigt das.
Erdgas aus Russland: Lieferstopp hätte gravierende Auswirkungen
Doch bei einem dauerhaften Verlust von Sudscha könnte Gazprom die Lieferungen stoppen. Auch wenn dies Fachleute derzeit für unwahrscheinlich halten: Ein möglicher Lieferstopp hätte gravierende Folgen, zitiert das Onlinemedium Meduza anonym einen Analysten aus der Handelsbranche. „Wenn der Transit russischen Gases jetzt plötzlich gestoppt wird, könnten die Preise im vierten Quartal 2024 um weitere 20 Prozent gegenüber ihrem aktuellen Niveau steigen.“ Betroffen wären vor allem Staaten, die stark von russischem Gas abhängig sind: Ungarn, die Slowakei und auch Österreich.
Relativ ungefährdet durch die Kämpfe scheint das Kernkraftwerk Kursk. Es arbeite nach Angaben des staatlichen russischen Atomenergiekonzerns Rosatom normal. Man habe aber beschlossen, die Anzahl der Arbeiter beim Bau einer neuen Anlage in der Region wegen des Ausnahmezustands zu reduzieren. Der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge sprach Rosatom-Chef Alexej Lichatschow am Telefon mit dem Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi, über die Lage dort. Zuvor hatte Grossi Befürchtungen geäußert, das Kernkraftwerk könnte durch die Kämpfe gefährdet sein.
Unterdessen gehen die Kämpfe in der Grenzregion weiter. In der Nacht zu Sonntag hätten russische Luftverteidigungskräfte 35 ukrainische Drohnen und vier Tochka-U-Raketen über russischem Territorium abgeschossen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. 14 Drohnen seien es in Kursk gewesen, 16 in Woronesch und weitere in den Regionen Belgorod, Brjansk und Orjol. In Kursk fielen Trümmer einer abgeschossenen Rakete auf ein neunstöckiges Wohnhaus. 15 Menschen seien verletzt worden.
ISW: Kreml spielt Ernst der Lage herunter, um Panik zu vermeiden
Für ihre Operation setzt die Ukraine wohl auch US-Panzer vom Typ „Bradley“ ein. Ein Foto eines zerstörten US-Panzers dieses Typs veröffentlichten russische Militärblogger. Nachzuprüfen ist das allerdings nicht – ebenso wenig wie Gerüchte, wonach Kämpfer der Söldnergruppe Wagner vom afrikanischen Mali abgezogen und nach Kursk geschickt worden seien. Begonnen hat wohl auch der russische Gegenschlag: Bei einem russischen Luftangriff auf Kiew wurden laut ukrainischen Behörden in der Nacht zu Sonntag ein Mann und sein vierjähriger Sohn getötet sowie drei Menschen verletzt. Auch weitere Regionen seien angegriffen worden, hieß es.
Nach Einschätzung westlicher Experten spielt der Kreml den Ernst der Lage in der Region herunter. Die Region sei nur zu einer Zone für Anti-Terror-Operationen und nicht zum Kriegsgebiet erklärt worden, um womöglich Panik in der russischen Gesellschaft zu verhindern, hieß es in einer vom Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington veröffentlichten Analyse. Kremlchef Wladimir Putin scheue die Ausrufung des Kriegszustandes, weil er um die Stabilität im Land fürchte.
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