Berlin. Die Freilassung des Tiergartenmörders war in der Justiz umstritten. Die Entscheidung geht auf die Kappe von Justizminister Marco Buschmann.
Der Gefangenenaustausch, der zur Freilassung des Tiergarten-Mörders führte, ist auch unter Juristen ein Politikum. Hinter den Kulissen ging es hoch her. Am Ende musste Justizminister Marco Buschmann (FDP) seinen Generalbundesanwalt Jens Rommel schriftlich anweisen, von der Vollstreckung der lebenslangen Haftstrafe abzusehen.
Im Krieg sind solche Aktionen etabliert. Bei Strafgefangenen ist ein Austausch die große Ausnahme. In solchen Situationen kommt es rechtspolitisch auf kreative Lösungen an.
Buschmann nahm es auf seine Kappe
Formal ist die Staatsanwaltschaft die Herrin des Verfahrens. Eine vorzeitige Beendigung oder Strafhaft war mit Rommel nicht zu machen. Das hat er Buschmann dann auch klargemacht, im Juristendeutsch: Er wurde „zu seiner Rechtsauffassung“ angehört.
Grundsätzlich erlaubt die Strafprozessordnung in Paragraf 456a, von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abzusehen, wenn der Verurteilte zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird, einem ausländischen Staat ausgeliefert oder an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt wird. Das geschieht oft in der Annahme, dass jemand in seinem Heimatstaat seine Haftstrafe weiter verbüßt.
Rommel beharrte auf die Strafe
Rommel wollte nicht von der Vollstreckung der Haft absehen. Es war offensichtlich, dass die Russen nicht die Strafe vollstrecken wollten. Kremlchef Wladimir Putin hätte den Mann begnadigt. So zu tun, als bliebe der Täter in Haft, wäre eine Farce gewesen.
Der Generalbundesanwalt mauerte wegen der Schwere der Tat: Der Russe Vadim Krasikov hatte am 23. August 2019 am helllichten Tag in Berlin einen Georgier erschossen. Motiv: Rache. Das Opfer hatte im Tschetschenien-Krieg an führender Stelle gegen die Russen gekämpft.
Buschmanns Abwägung
Das Kammergericht Berlin verurteilte Rassikov 2021 zu lebenslanger Haft. Für die Richter war es erwiesen, dass der Killer im Auftrag staatlicher russischer Stellen handelte. Dafür sprach viel: Scheinidentität, Kontakte, die Waffe, Planung, Tatablauf. Inzwischen ist klar: Er ist ein Geheimdienstmann.
Letztlich ging es um die Frage, wer die Freilassung des Mörders vertreten soll. Buschmanns Abwägung: Auf der einen Seite „das gewichtige Interesse an der Vollstreckung der Strafe“. Auf der anderen Seite die Chance, 16 Menschen in Freiheit zu bringen, „die teilweise nur deshalb in Haft saßen, weil sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben“. Buschmanns Leitprinzip: „Im Zweifel für die Freiheit.“
Der Kelch ging an Steinmeier vorbei
Möglich, aber schwerer vermittelbar, wäre eine Begnadigung. Es wäre freilich eine eindeutige Sache. Allerdings hätte man dazu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreden müssen. Er kann nach freiem Ermessen jemanden begnadigen – die Entscheidung ist hinterher auch nicht gerichtlich überprüfbar.
Nach der Gnadenordnung hätte er das Recht abtreten können, wiederum an den Justizminister. Aber konsequent wäre es nicht. Im letzten Satz von Artikel 2 der Anordnung heißt es: „Die Ermächtigungen gelten nicht für Fälle von außerordentlicher Bedeutung; in diesen behalte ich mir vor, selbst zu entscheiden.“ Am Ende ist der Kelch an vorbeigegangen.
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