Berlin. Erst stirbt ein Hisbollah-Kommandeur in Beirut, dann der Hamas-Auslandschef in Teheran. Spielt Israel im Nahostkonflikt mit dem Feuer?

Schlag – Gegenschlag – und was kommt als Nächstes? Die Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran und zuvor des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr in Beirut sind nicht nur Vergeltungsakte. Es ist eine gezielte Provokation mit der Gefahr einer unkalkulierbaren regionalen Eskalation. Israels Antwort hätte auch dosierter ausfallen können. Bei dem furchtbaren Anschlag auf ein Dorf in den Golanhöhen mit zwölf Toten hatte es sich vermutlich um eine fehlgeleitete Hisbollah-Rakete gehandelt.

Politisch klug war die Ermordung des Auslandschefs der Hamas in Teheran jedenfalls nicht – aus zwei Gründen. Ismail Hanija ist nicht direkt in den Gaza-Krieg verwickelt. Er sitzt die meiste Zeit in Doha und leitet für die Hamas die Verhandlungen um einen Waffenstillstand im Gazastreifen und die Freilassung der israelischen Geiseln. Die Aussichten für eine Lösung sind nun weit zurückgeworfen. Darüber hinaus ist Israels Attacke auf Hanijas Residenz in Teheran eine Provokation der Hamas-Schutzmacht Iran. Das Mullah-Regime wird reagieren – und damit Israel zu einer weiteren Vergeltungsaktion anstacheln.

Naher Osten: Das Risiko für Missverständnisse und Fehleinschätzungen ist hoch

Die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Krieges ist damit sehr hoch. Nicht nur der Iran und seine schiitischen Verbündeten wie die Hisbollah und die Huthi fühlen sich herausgefordert. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bereits mit einer Intervention gedroht. Obwohl keiner der Akteure Interesse an einem großen Krieg hat: Das Risiko für Missverständnisse, Fehleinschätzungen und eine nicht kontrollierbare Kaskade der Gewalt ist hoch.

Michael Backfisch ist freier Autor für internationale Politik.
Michael Backfisch ist freier Autor für internationale Politik. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der mutmaßliche Doppelschlag von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist ein Spiel mit dem Feuer. Nicht auszuschließen, dass er sich nach den jüngsten Treueschwüren aus Washington zu einer Internationalisierung des Krieges ermutigt fühlt. Der Konflikt zementiert seinen Machterhalt.

Gut drei Monate vor der US-Präsidentschaftswahl ist das diplomatische Gewicht der Vereinigten Staaten leider dramatisch geschrumpft. Amerikanische Emissäre haben sich in den letzten Tagen sehr um Deeskalation bemüht. Der Nahe Osten befindet sich an einer neuen Schwelle der Gewalt. Die Kräfte der Besonnenheit stehen auf verlorenem Posten.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl