Düsseldorf. Anne Brorhilker war die gefährlichste Cum-Ex-Jägerin. Wie sie gegen die Finanzlobby kämpft und was sie Justizminister Limbach vorwirft.
Anne Brorhilker (50) war die erfolgreichste Cum-Ex-Ermittlerin in Deutschland. Im April verließ sie die Staatsanwaltschaft Köln und wurde Geschäftsführerin der „Bürgerbewegung Finanzwende“, einer Nichtregierungsorganisation, die sich als „Gegengewicht zur Finanzlobby “ versteht. Mit Matthias Korfmann spricht die Juristin über den schwierigen Kampf gegen Wirtschaftskriminalität, den Stand der Cum-Ex-Ermittlungen und die Versäumnisse der Politik
Frau Brorhilker, Sie haben der Versuchung widerstanden, in die freie Wirtschaft zu wechseln und stattdessen bei einer Nichtregierungsorganisation angefangen. Ist Ihnen Geldverdienen nicht so wichtig?
Anne Brorhilker: Ich setze andere Prioritäten. Die Arbeit bei „Finanzwende“ entspricht meinen Werten und knüpft an meine Arbeit in der Staatsanwaltschaft Köln an.
Sie wollen sich jetzt mit dem Delikt „CumCum“ beschäftigen. Was ist das?
Anne Brorhilker: Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte sind enge Verwandte. Beides sind Aktien-Kreisgeschäfte, die darauf abzielen, sich Steuern erstatten zu lassen, auf die man keinen Anspruch hat. Bei Cum-Cum geht es um die Steuervermeidung, Cum-Ex ist ein sich zeitlich anschließender Schritt, bei dem die schon zuvor zur Steuererstattung genutzten Aktien erneut eingesetzt werden, manchmal sogar mehrfach. Das ist dann quasi ein direkter Griff in die Steuerkasse.
Laut konservativen Schätzungen von Prof. Christoph Spengel von der Uni Mannheim sind dem Staat rund 30 Milliarden Euro durch Cum-Cum-Geschäfte entgangen, Cum-Ex schätzt er auf zehn Milliarden Euro.
Diese Maschen haben lange gut funktioniert. Hatten die Behörden keine Ahnung, was da passiert oder hatten sie kein Interesse am Kampf gegen Steuerräuber?
Anne Brorhilker: Ich fürchte, beides trifft zu. Die Finanzbranche, die viel Geld für Lobbyismus ausgibt, verniedlicht das Delikt und stellt die Geschäfte gegenüber den Behörden als viel komplizierter dar, als sie sind. Es wird auch übertrieben mit Katastrophen-Szenarien gedroht, Ich vermute daher, dass die Behörden die Größe des Schadens unterschätzt haben. Es dürfte aber auch eine zu große Nähe zwischen der Politik und der Finanzlobby eine Rolle spielen.
Ist Deutschland ein Paradies für Steuerbetrüger?
Anne Brorhilker: Steuerraub gibt es überall. Auch in anderen Ländern lassen sich Beamte von goldenen Visitenkarten beeindrucken. Dennoch erkenne ich in anderen EU-Staaten einen größeren politischen Willen als in Deutschland, sich mit Steuerraub zu beschäftigen. Frankreich hat zum Beispiel eine Spezial-Staatsanwaltschaft gegründet, und dort wurden auch flächendeckend Banken durchsucht auf der Suche nach Cum-Cum-Betrug. In den Niederlanden und in Finnland verfolgen die Behörden ebenfalls seit Jahren Cum-Cum-Betrügereien, auch strafrechtlich. Dänemark hat mit Dubai extra eine Auslieferung ausgehandelt, um einem Steuer-Betrüger den Prozess machen zu können.
So funktioniert Cum-Ex-Betrug
Durch den Cum-Ex-Betrug mit illegalen Aktiendeals, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Dabei wurden Papiere mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Am Ende erstattete der Fiskus Banken, Aktienhändlern und Beratern unwissentlich Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren.
Ist NRW ein Paradies für Steuerbetrüger?
Anne Brorhilker: Unter Justizminister Peter Biesenbach (CDU) war es jedenfalls keines. Er hat zusätzliche Stellen geschaffen für die Staatsanwaltschaft Köln und ganz bewusst etwas gegen Cum-Ex-Betrug unternommen. Schade, dass diese Linie nicht weitergeführt wurde..
Sie meinen Biesenbachs Nachfolger, Benjamin Limbach (Grüne)?
Anne Brorhilker: Die Idee, die Hauptabteilung H aufzuspalten, ist völlig kontraproduktiv und gegen jegliche Vernunft. Wenn man in der Sache etwas erreichen will, muss man Kräfte bündeln und nicht zersplittern. Aus genau diesem Grund werden bei Schwerpunktthemen ja auch zentrale Ermittlungsstellen geschaffen. Peter Biesenbach hat gesehen, dass es sinnvoll war, unsere Ermittlungen zu stärken. Er hat auch die Gründung der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) bei der Kölner Staatsanwaltschaft angestoßen und hatte für die Cum/Ex-Ermittlungen ähnliche Ideen..Unter Minister Limbach laufen die Dinge leider wieder in die andere Richtung. Über die Motive kann man nur spekulieren.
Woran machen Sie das fest?
Anne Brorhilker: Limbach hat sich anders als Biesenbach, nicht für Cybercrime oder Cum-Ex stark gemacht, sondern eine Zentralstelle für Umweltkriminalität gegründet. Bisher wurde nicht öffentlich bekannt, dass es viele große internationale Umweltstrafermittlungsverfahren gibt, dafür sind aber die zahlreichen extrem umfangreichen Cum-Ex-Ermittlungsverfahren bekannt. Ich würde mir an dieser Stelle in der Landesregierung mehr Realismus wünschen. Egal, welcher Partei jemand angehört: Er sollte sich in erster Linie um die drängenden Probleme kümmern. Vor allem, wenn es dabei – wie bei Cum-Ex-Ermittlungsverfahren um Milliardenschäden und zu erwartende hohe Freiheitsstrafen geht.
Sie sind aus der Staatsanwaltschaft Köln ausgestiegen, obwohl Sie einen Ruf wie Donnerhall hatten. Was war das? Flucht? Resignation? Ärger?
Anne Brorhilker: Zu Interna darf ich aus rechtlichen Gründen nichts sagen. Was ich sagen kann ist, dass ich gesehen habe, wie schwierig es ist, im Bereich von Wirtschaftskriminalität die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Dafür benötigt man auch politische Rückendeckung. Wenn man die nicht hat, wird es noch schwieriger, denn der Staat ist schwach aufgestellt im Kampf gegen Steuerbetrug, während die Ressourcen bei der Finanzlobby sehr groß sind. Ich kann nur hoffen, dass man die funktionierenden Strukturen in Köln, die in Deutschland im Bereich Wirtschaftskriminalität einzigartig sind, nicht schwächt. Bei der Finanzwende kann ich öffentlich machen, wie Steuerbetrug funktioniert, und ich kann politische Forderungen stellen. Es darf nicht sein, dass der Staat mit zweierlei Maß misst.
Wo misst der Staat mit zweierlei Maß?
Anne Brorhilker: Im Kampf gegen Clan-Kriminalität und Drogen geht der Staat konsequent vor, bei Wirtschaftskriminalität verhält er sich zögerlich. Das schadet unserer Demokratie. Ich bin davon überzeugt, dass das Misstrauen vieler Menschen in den Staat und seine Institutionen zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie den Eindruck haben, die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Würde man gegen Wirtschaftskriminalität genauso engagiert vorgehen wie in anderen Kriminalitätsbereichen, könnte das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder wachsen.
Warum haben Teile der Politik immer schon hart und emotional gegen Sozialbetrug, zum Beispiel beim Bürgergeld, gewettert und nicht annähernd so hart gegen Steuerbetrüger? Ist es leichter, sich über die Kleinen zu empören?
Anne Brorhilker: Offenbar können sich viele Menschen besser vorstellen, was es bedeutet, wenn Sozialhilfeempfänger ein Konto verschweigen, als wenn Banken milliardenschweren Steuerbetrug begehen. Vielleicht ist das zu weit weg von der eigenen Lebenswirklichkeit, die Zahlen sind zu groß und die Institution „Bank“ ist zu abstrakt. Dabei greift der Steuerbetrüger oft viel tiefer in das Portemonnaie ehrlicher Steuerzahler als der Sozialhilfeempfänger.
Faktor Nummer zwei ist die zu große Nähe zwischen Politik und Finanzlobby. Eine der Cum Ex-Schlüsselfiguren in Deutschland war Hanno Berger, der über sehr gute Netzwerke in die Politik und beispielsweise auch zur FDP verfügte., Wenn ein Finanzminister nun Einnahmen erzielen will, indem er bei Bürgergeld-Empfängern kürzt und die viel größere Einnahme-Möglichkeit durch Zurückholen der Cum/Ex- und Cum/Cum-Steuermilliarden nicht nutzt, scheint die Lobby ganze Arbeit geleistet zu haben.
Wie groß ist – monetär -- der Unterschied zwischen Sozial- und Steuerbetrug?
Anne Brorhilker: Dazu gibt es keine belastbare Statistik. Nach allem, was dazu veröffentlicht wurde, dürfen wir aber davon ausgehen, dass der Schaden durch Steuerbetrug ganz andere Dimensionen hat, als der Schaden durch Sozialbetrug.
Es gibt bei Cum-Ex etwa 1.700 Beschuldigte und bisher gerade mal elf abgeschlossene Verfahren. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Köln kommt in den Cum-Ex-Ermittlungen offenbar nicht schnell genug voran, oder?
Anne Brorhilker: Das ist falsch. Zunächst ist wichtig, dass die Staatsanwaltschaft Köln nicht schon von Beginn an, also ab 2013 gegen 1700 Beschuldigte ermittelt hat, sondern zunächst nur einen einzigen Fall bearbeitet hat. 2016 wurde in NRW eine Daten-CD angekauft, und damit nahmen die Ermittlungen Fahrt auf. Auch die Aussagen von Insidern führten dazu, dass ab 2017 der Kreis der Beschuldigten immer größer wurde. Erst 2021/22 hatten wir genügend Personal erhalten, um effektiv zu ermitteln und Banken zielgerichtet zu durchsuchen, und dabei wurden viele Beweismittel gefunden. Staatsanwälte sind übrigens verpflichtet, jedem Hinweis nachzugehen. Das erklärt die Dimension dieser Ermittlungen.
Befürchten Sie, dass viele Verfahren eingestellt werden oder mit krummen Deals enden?
Anne Brorhilker: Das darf nicht passieren, denn genau das wünschen sich die Steuerbetrüger. Die hoffen, dass uns die Puste und die politische Unterstützung ausgeht. Wenn man die rund 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Hauptabteilung H in Köln weiter zielgerichtet arbeiten lässt, sie nicht mit anderen Aufgaben vollpackt oder gar Stellen abbaut, werden sie erfolgreich sein. Diese Stellen hat Peter Biesenbach damals übrigens exklusiv für die Cum-Ex-Ermittlungen geschaffen.
Was müsste geschehen, um die Cum-Ex-Ermittlungen nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken?
Anne Brorhilker: Die Hauptabteilung H könnte, wie die Ermittlungsbehörden für Cybercrime und für Umweltkriminalität, zu einer Zentralstelle gemacht werden. Das hätte den Vorteil, dass die Kölner Ermittler dauerhaft von Spezialisten der Polizei und der Steuerfahndung unterstützt werden könnten und die langwierigen Ermittlungen effektiver vorantreiben könnten.
Ließen sich die Arbeitsbedingungen der Ermittler verbessern?
Anne Brorhilker: Bestimmt. Bei Cum-Ex dauert die Einarbeitungszeit etwa ein bis zwei Jahre. Für diese äußerst anspruchsvollen Ermittlungen braucht man eben Spezialisten. Wenn man aber ständig Personal austauscht, fangen die Leute immer wieder bei null an. Ziel muss sein, dieses Personal über längere Zeit in den Ermittlungen zu halten. Es darf ihnen nicht, wie es heute vielfach der Fall ist, zum Nachteil gereichen, wenn sie den Ermittlungen treu bleiben. Im Moment erhalten Beamte oft gute Noten, wenn sie die Stelle oft wechseln. Bei Cum-Ex müssten das Verweilen und der Erwerb von Spezialkompetenz belohnt werden. Eigentlich müssten wir das Problem sogar bundesweit lösen.
Wie?
Anne Brorhilker: Es gibt auf Bundesebene Institutionen, die hier aktiv werden könnten: die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), das Bundeszentralamt für Steuern, die Bundesbetriebsprüfung, das Bundeskriminalamt und die Generalbundesanwaltschaft. Die haben heute teilweise noch keine Kompetenzen für internationale organisierte Steuerhinterziehung, sie sollten sie aber bekommen. Organisierte Steuerkriminalität mit derart horrenden Schäden für uns alle sollte der Staat ernst nehmen und sich dem entschlossen entgegenstellen.
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