Berlin. Zunehmend legen Politiker ihr Mandat nieder, weil sie bedroht werden. Die Angriffe nehmen stetig zu – und die Sorge wächst.

Dirk Neubauer kann nicht mehr. Eigentlich wollte er weitermachen, als Landrat Mittelsachsens, so hatte er es geplant. Doch jetzt ist es genug. Am Dienstagabend veröffentlicht der 53-Jährige in den sozialen Medien ein Video. Darin spricht er über den Grund seines Rückzugs, darüber, warum er jetzt zurücktritt.

Sogar Demonstrationen vor seinem Haus

Neubauer sagt mit fester Stimme: „Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten.“ Mandatsträger wie er, so sagt Neubauer, seien „quasi zum Freiwild erklärt worden“. 22 Minuten lang erklärt er, warum es so nicht weitergehen könne. Wegen der „diffusen Bedrohungslage aus der rechten Ecke“. 

Neubauer hat sein Heimatdorf verlassen, immer wieder haben Rechtsextremen ihn belästigt, beleidigt, bedroht – und sie organisierten Demonstrationen vor seinem Haus. Die Schikanen gingen so weit, dass Neubauer sich jetzt zurückziehen will. 

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Der parteilose Landrat ist kein Einzelfall. Eine Untersuchung des Bundeskriminalamts ergab: 38 Prozent von mehr als 1.700 befragten kommunalen Beamten in Deutschland waren zwischen November 2022 und April 2023 Anfeindungen ausgesetzt. Etwa ein Viertel davon bestand aus Hasskommentaren, mit einer steigenden Tendenz. Zwei Prozent betrafen körperliche Angriffe. Und: Nur einer von zehn Vorfällen wurde gemeldet, die Dunkelziffer ist hoch. 

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Politiker sind schon immer Angriffen ausgesetzt. Doch seit ein paar Jahren nehmen die Anfechtungen zu. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte kürzlich, der gesellschaftliche Ton dürfe nicht von „Spaltern“ bestimmt werden. Es gerät etwas ins Rutschen, so scheint es. 

Rückzug von Bundestagsvizepräsidentin Magwas

Und das betrifft nicht nur Kommunalpolitiker. Kürzlich verkündete die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Yvonne Magwas von der CDU, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten wolle. Die 44-Jährige erklärte, die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, sie habe sie aber in Absprache mit ihrer Familie getroffen. 

Der Grund: „Ich habe viel an Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt. Das raubt Kraft“, so Magwas. „Wenn unser Land diesen Weg weitergeht, wird es dunkel und kalt – darüber sollten sich mehr Menschen Gedanken machen, bei allen kleinen und größeren Unzulänglichkeiten.“ Sie wünsche sich, dass die Menschen das Geschaffene wieder häufiger sähen und positiv über ihre Heimat sprächen. „Wer nicht zuversichtlich ist, kann niemanden überzeugen, niemanden für unsere Region begeistern.“

„Das sind Momente, wo rote Linien erreicht sind“

Auch der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby aus Sachsen-Anhalt zieht sich zurück. Der im Senegal geborene Bundestagsabgeordnete hat in seiner politischen Laufbahn etliches durchgemacht – einschließlich eines Brandanschlags auf sein Wahlkreisbüro. „Einige Phasen waren sehr schwierig“, sagte Diaby der dpa. Als Grund für seinen Rückzug nannte er zwar, dass es Zeit sei, „neue Wege zu gehen und jüngeren Leuten Platz zu machen“. Doch die Angriffe haben Diaby zugesetzt, wie er offen erzählt: „Mitarbeiter von mir wurden erpresst, sie sollten Geld zahlen oder bei mir kündigen. Es gab Morddrohungen. Das sind Momente, wo rote Linien erreicht sind.“ 

Bereits im Mai hatten Demonstranten das Auto der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) belagert und an der Abfahrt gehindert, während sie darin saß. Ein weiteres Beispiel ist der Übergriff auf den Dresdner Europaabgeordneten Matthias Ecke, der während des Plakatierens für die EU-Wahl brutal zusammengeschlagen wurde. Der dpa sagte der Städtetag-Verbandspräsident Markus Lewe: „Wenn Menschen sich nicht mehr trauen, für ein Amt zu kandidieren, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben müssen, zerbricht unser demokratisches Gemeinwesen.“