Paris. Der Linkspopulist hat den Vormarsch der Rechten gebremst – doch von Deutschland hält er fast so wenig wie von gut gemeinten Widerworten.

Jean-Luc Mélenchon ist nicht mehr der Jüngste, aber politisch immer noch der Schnellste. Nach dem Finale der Parlamentswahl, bei dem sein linkes Volksfrontlager den Sieg davontrug, trat der 72-Jährige Linksradikale am Sonntagabend als Erster vor die Kameras. Er stimmte ein Chanson des legendären kommunistischen Sängers Jean Ferrat an, verlangte, dass Präsident Emmanuel Macron „seine Niederlage anerkennen“ müsse – und brachte sich selbst als Premierminister einer künftigen Linksregierung ins Spiel.

In Frankreich ernennt eigentlich der Staatschef die Regierung. Mélenchon will seine Nominierung stattdessen erzwingen. Er will endlich Chef sein – zumindest Regierungschef, wenn schon nicht Staatschef. Beim Präsidentschaftsrennen vor zwei Jahren hatte er den Finaleinzug um ein Stimmenprozent hinter Marine Le Pen verpasst. Einmal mehr versauerte der Caudillo der französischen Politik auf dem undankbaren dritten Platz.

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Er, der autoritäre, demagogische, aber kultivierte Volkstribun, der lauteste Meckerer der Nation, der flammende Reden hält und die Massen mitreißt – er glaubt, dass er Besseres verdient hätte als die ewige Opposition. Mélenchon träumt von einer Rolle wie seine großen Vorbilder Fidel Castro oder Hugo Chavez, zu denen früher auch Wladimir Putin zählte. Der französische Linkspopulist ist schon über ein halbes Jahrhundert im Politbetrieb.

Mélenchon gründete wie Lafontaine seine eigene Partei

Schon mit 17 Jahren agierte Mélenchon in den Studentenunruhen des Mai 68. Er neigte den Trotzkisten zu, aber nicht etwa der Hauptströmung, sondern der kleinen, sektiererischen „Organisation communiste internationaliste“ (OCI). Dieser elitäre Geheimbund propagierte die reine Lehre und unterwanderte die moderate Linke. Wie Mélenchon waren auch prominente Sozialisten wie Ex-Premier Lionel Jospin oder Parteichef Jean-Christophe Cambadélis verdeckte OCI-Mitglieder mit Pseudonymen.

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Auch Mélenchon (Deckname „Santerre“) trat 1976 in die Parti Socialiste ein, ohne seiner linksextremen Vergangenheit auch nur im Ansatz abzuschwören. Er wurde Senator, Minister, doch die lauen Sozialisten konnte er nie ausstehen. 2009 trat er aus der Partei aus und gründete nach dem Vorbild des Deutschen Oskar Lafontaine eine eigene Linkspartei.

Die ersten Anläufe bei den Präsidentschaftswahlen brachten wenig. Mélenchon kriegte den Blues und immer wieder cholerische Anfälle. Als die Finanzermittler einmal an seine Tür klopften, um eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, schrie er sie wutentbrannt an: „Die Republik, das bin ich!“ – eine unfreiwillige, aber vielsagende Reminiszenz an das monarchische Diktum „L’Etat c’est moi“.

Über Kanzlerin Merkel schrieb Mélenchon 2015: „Zieh Leine!“

Bei den Präsidentschaftswahlen 2022 verpasste Mélenchon zwar die Stichwahl, doch mit 21,9 Stimmenprozent lag er zugleich weit vor der Sozialistin Anne Hidalgo, die auf katastrophale 1,7 Prozent absackte. Damit hatte Mélenchon die Sozialisten endlich so weit: Sie konnten nicht mehr Nein sagen, als er ein Bündnis der linken Parteien vorschlug. Natürlich unter seiner Führung. Auch in der neuen „Volksfront“ der französischen Linken beherrscht der bekennende Marxist die einst so stolzen Mainstream-Sozialisten.

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    Die Grünen und die Kommunisten haben sich der linken Allianz zwar angeschlossen, doch das Wahlprogramm trug Mélenchons Handschrift: ein Mindestlohn von 1600 Euro netto, das Rentenalter bei 60 Jahren (heute 64), eine Preissperre für Grundnahrungsmittel und Energiepreise, Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst. Kostenpunkt 125 Milliarden Euro. Ein ausgeglichener Haushalt interessiert ihn nicht.

    Wenn andere EU-Länder die Ausgaben bremsen, kritisiert er deren „Austeritätspolitik“. Vor allem die deutsche. In seinem Buch „Bismarcks Hering“ schrieb er 2015: „Deutschland verfolgt eine Politik der Hegemonie in Europa und setzt seine zerstörerische Austeritätspolitik durch.“ Die damalige Bundeskanzlerin forderte er auf: „Merkel, zieh Leine.“ Darauf angesprochen, sagte er, er habe nichts gegen Deutschland, er lehne nur deren Wirtschaftspolitik ab.

    Plant Mélenchon „Sowjetisierung“ von Frankreichs Wirtschaft?

    Sein eigenes Wirtschaftsprogramm ist selbst auf der Linken umstritten. Der Thinktank Sapiens nannte es „eine Art Sowjetisierung“ der französischen Wirtschaft, der Ökonom Philippe Aghion schlicht ein „Desaster“. Prominente Sozialisten versuchen ihn in den Hintergrund zu drängen. „Méluche“, wie ihn seine Fans nennen, hat ein Sympathiepotenzial und prangert französische Missstände wie etwa den verkapppten Monarchismus an.

    Aber er ist unfähig, über seinen trotzkistischen Schatten zu springen. Sein früherer, im Streit gegangener Ex-Berater Thomas Guénolé behauptet, Mélenchon denke und handle wie ein „Autokrat“, er entscheide stets allein, „wie in einer Diktatur“. Besonders laut müsste der große Schimpfer über sich selber herziehen: Mélenchons schärfster Gegner ist er selbst.