Teheran/Berlin. Nach seinem Wahlsieg sprach sich Massud Peseschkian für eine Annäherung an den Westen aus. Doch der entscheidende Akteur ist ein anderer.

Nach seinem Sieg im zweiten Durchgang der iranischen Präsidentschaftswahl gab sich der Reformer Massud Peseschkian versöhnlich. „Wir werden allen die Hand der Freundschaft reichen“, sagte er am Samstag. „Lasst uns alle am Aufstieg des Landes arbeiten.“

Es war zum einen ein Signal an den Wahlverlierer Said Dschalili, ein Hardliner, und die ihn stützenden konservativen Fraktionen. Zum anderen ist der neue Präsident aber auch offen für eine Annäherung an den Westen, vor allem an die USA. „Sollen wir ewig mit Amerika verfeindet bleiben oder wollen wir unsere Probleme mit dem Land lösen?“, fragte er im Wahlkampf.

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Die große Frage ist, ob diese Bereitschaft in eine Wiederaufnahme der auf Eis gelegten Atomverhandlungen mündet. Für die Konjunktur des Landes wäre dies enorm wichtig. Seit dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Nuklearabkommen und der Verhängung neuer Sanktionen steckt das öl- und gasreiche Land in einer massiven Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Inflationsrate betrug 2023 durchschnittlich 41,5 Prozent. Insbesondere die Preise für Nahrungsmittel, Wohnen, Gesundheit und Transport stiegen steil an, während die Löhne niedrig blieben. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung leben nach offiziellen Angaben in Armut.

Irans neuer Präsident hat dem Obersten Führer seine Loyalität geschworen

Ein Neustart der Atomgespräche wäre die einzige politische Option, um eine Aufhebung der Strafmaßnahmen zu erreichen und die iranische Konjunktur wieder auf Trab zu bringen. Doch Peseschkian sind in dieser Frage die Hände gebunden. Selbst wenn er es wollte: Sein Gestaltungsspielraum ist gering.

„Mit dem Parlament, dem Wächterrat und dem Schlichtungsrat, die alle von konservativen Gruppierungen beherrscht werden, hätte Peseschkian die entmutigende Aufgabe, überhaupt eine Initiative durchzubekommen – selbst in der Außenpolitik“, sagte Luciano Zaccara von der Qatar University in Doha unserer Redaktion. Zudem werden alle wichtigen politischen Entscheidungen vom Obersten Führer Ali Chamenei abgesegnet. Und Peseschkian hat dem 85-jährigen Langzeit-Herrscher seine Loyalität geschworen.

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Chamenei wird sich nur auf ernsthafte Nuklearverhandlungen einlassen, wenn er vom Westen ein Quid pro quo bekommt: Reduzierung des eigenen Atomprogramms unter der Bedingung, dass die Sanktionen fallen oder zumindest deutlich verringert werden.

Immerhin gibt es einen Präzedenzfall: Unter den gemäßigten Präsidenten Mohammed Chatami und Hassan Rohani gab der Oberste Führer grünes Licht für Gespräche mit dem Westen, die in den Atomdeal von 2015 mündeten. Chameneis Kalkül ging auf: Der Iran verpflichtete sich, nur eine geringe Menge des Kernwaffenbaustoffs Uran vorzuhalten. Der erlaubte Anreicherungsgrad von 3,67 Prozent lag weit unter den für den Bau einer Atombombe benötigten 90 Prozent. Dafür wurden die Sanktionen gekippt, und die Wirtschaft startete wieder durch. Für die Mullahs war dies ein Garant, dass das Mullah-Regime stabil blieb.

Die große Unbekannte in diesem Spiel sind die US-Präsidentschaftswahlen Anfang November. Die Spitzen der iranischen Politik sind derzeit völlig auf Trump fixiert. Da sie dessen Linie des „maximalen Drucks“ aus seiner ersten Amtsperiode fürchten, wird Teheran den offensiven Kurs der Urananreicherung beschleunigen. Je weiter das Nuklearprogramm voranschreitet und sich dem potenziellen Besitz einer Atombombe nähert, desto größer der politische Hebel, lautet die Devise.

Peseschkian, das freundliche Gesicht des Systems?

Dennoch ist es nicht unmöglich, dass die iranische Regierung auch mit einer Trump-Administration verhandeln würde. Gespräche würden dann nicht direkt, sondern indirekt über Oman oder Katar geführt. Auch die Emissäre von US-Präsident Joe Biden hatten in der Vergangenheit über Oman und Katar bereits Kontakt zum Iran.

Auch in anderen zentralen Fragen der Außenpolitik ist der neue Präsident von Chamenei abhängig. Seine Gefolgschaft hat er bereits avisiert. So lobte Peseschkian den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel als Stolz der iranischen Nation. Und er reiht sich ein in die strategischen Ziele des Obersten Führers: Das „zionistische Regime“ müsse von der Landkarte verschwinden, fordert dieser. Chamenei setzt auf kontrollierte Eskalation, aber unterhalb der Schwelle eines großen Krieges. Die amerikanischen Truppen in Nahost sollen durch eine Taktik der permanenten Nadelstiche vertrieben werden.

Irans Unterstützung für die radikalislamische Hamas wird sich auch unter Peseschkian nicht ändern. Ausrüstung und Finanzierung der schiitischen Verbündeten wie der Hisbollah im Libanon werden weitergehen und von den Revolutionsgarden vehement befeuert. „Aber das Blutbad im Gazastreifen und das von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sowie dessen Verteidigungsminister Joav Gallant vorgegebene Ziel, die Hisbollah als strategische Bedrohung zu zerstören, macht die Lage viel unberechenbarer“, sagte Rouzbeh Parsi vom Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Stockholm unserer Redaktion. „Das iranische Nuklearprogramm wird sogar einen noch höheren strategischen Wert bekommen, wenn die Hisbollah im Libanon durch israelische Attacken oder einen richtigen Krieg geschwächt wird.“

Parsi spricht von „unverrückbaren strategischen Positionen“ des Irans, bei denen es um das „Überleben des Systems“ geht. Peseschkian, so scheint es, ist lediglich das freundliche Gesicht dieses Systems. Der Westen sollte sich keine Illusionen machen.