Berlin. Ron Prosor sieht in Israel „großen Rückhalt“ für einen Krieg mit der Hisbollah im Libanon: „Wenn wir es tun, müssen wir es jetzt tun“.

Die Kriegsgefahr zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon wächst. Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, gibt der Diplomatie noch eine Chance, doch er glaubt nicht an ein Einlenken der Hisbollah. In Israel, so sagte er, wüssten die meisten Menschen, „dass wir für unsere Sicherheit mitunter einen hohen Preis zahlen müssen.“

Herr Botschafter, die Bundesregierung rät dringend von Reisen in den Libanon ab. Ist es auch aus Ihrer Sicht nicht ratsam, derzeit in das Land zu reisen?

Botschafter Ron Prosor: Es ist wichtig, dass unsere Leser wissen, dass die Hisbollah Israel seit dem 8. Oktober täglich beschießt. Allein am Donnerstag wurden rund 200 Raketen auf Israel abgeschossen. Kein demokratischer Staat kann so etwas hinnehmen. Die Terroristen der Hisbollah haben den Libanon als Geisel genommen und die Bevölkerung unter ihre Gewalt gebracht. Wenn das so weiter geht, ist es tatsächlich nicht klug, das Land zu besuchen.

Erstmals in der Geschichte Israels mussten Gemeinden an der israelischen Nordgrenze evakuiert werden. Wie viele Menschen wurden in Sicherheit gebracht? Wo leben sie?

80.000 Menschen sind jetzt Flüchtlinge in ihrem eigenen Land. Seit acht Monaten können diese Familien nicht in ihrem zu Hause leben, sondern müssen stattdessen in Hotels in Zentralisrael ausharren. Am 1. September beginnt das neue Schuljahr. Wenn es bis dahin keine Ruhe an der Nordgrenze gibt, können die Kinder nicht in ihre Schulen und die Menschen nach Hause zurückkehren.

Die Intensität der Auseinandersetzungen an der Grenze zum Libanon hat zugenommen. Wie wahrscheinlich ist der Einsatz israelischer Bodentruppen im Libanon?

Die UN-Resolution 1701 besagt eindeutig, dass sich die Milizen der Hisbollah nicht südlich des Litani-Flusses aufhalten dürfen – von genau dort schießt sie aber mit Raketen auf Israel. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Die Hisbollah zieht sich hinter den Fluss zurück. Wir versuchen, das durch Diplomatie zu erreichen. Gelingt das aber nicht, müssen wir unsere Bevölkerung schützen. Die „Qual der Wahl“ haben wir nicht: Unsere Bevölkerung muss in Sicherheit nach Hause zurückkehren können. Darum geht es. Es scheint aber so, als würde es jeden Tag mehr eskalieren. Seit dem 8. Oktober hat uns die Hisbollah an jedem Tag beschossen.

Aus Ihrer Sicht ist der Einsatz von Bodentruppen also geradezu unausweichlich?

Nein, das habe ich nicht gesagt. Das ist vermeidbar, wenn man die Hisbollah mit diplomatischen Mitteln davon überzeugt, sich hinter den Fluss zurückzuziehen. Der Einsatz von Bodentruppen ist ein weiteres Mittel neben der Diplomatie. Die Hisbollah hat ein Arsenal von 120.000 Raketen, das übertrifft die Feuerkraft mancher Nato-Staaten. Damit gefährden sie tagtäglich die Sicherheit unserer Bevölkerung, aber auch die Sicherheit der Libanesen. Wenn eine Rakete auf eine Schule oder einen Kindergarten fällt, wird es sehr gefährlich.

Gibt es Anzeichen dafür, dass die Hisbollah bereit ist, sich hinter den Fluss zurückzuziehen?

Nein. Ein US-amerikanischer Vermittler versucht aktuell, eine Lösung zu finden, aber es sieht nicht gut aus. Hinter dieser Eskalation steckt Teheran: Der Iran will, dass dieser Krieg weitergeht. Der Iran hat die Hisbollah jahrelang finanziert, aufgerüstet, und Terror gegen Israel und pragmatische arabische Staaten unterstützt. Israel und Saudi-Arabien waren schon kurz davor, Frieden miteinander zu schließen. Der Iran hat das torpediert, weil Frieden nicht in seinem Interesse ist. Und jetzt hat Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah mit Zypern zum ersten Mal einen EU-Staat bedroht.

Unternimmt die israelische Regierung genug, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern? Manche Analysten sagen, Netanyahu brauche einen dauerhaften Krieg für sein politisches Überleben.

Diese Analyse stimmt nicht. In diesem Krieg kämpfen unsere Kinder und riskieren dabei ihr Leben. Israel versucht alles, sie gesund nach Hause zu bringen. Der Iran hat Israel erst kürzlich direkt mit Raketen angegriffen. Dabei hatten zahlreiche Analysten gesagt, dass sie das nie tun würden – sie wären vernünftig und verantwortungsbewusst. Es hieß, der Iran habe kein Interesse an einer Eskalation. Ähnlich wurde im Hinblick auf das iranische Atomprogramm argumentiert. Diese Analysen wurden durch die Realität überholt. Wir sehen, dass die Mullahs überhaupt keine Hemmungen haben, Israel anzugreifen, wenn sie glauben, dass sie damit durchkommen. In der Ukraine arbeitet Teheran mit Russland zusammen: Iranische Drohnen attackieren Ziele in der Ukraine – das hätten viele vor einiger Zeit noch nicht für möglich gehalten. Der Iran ist brandgefährlich.

Israelische Soldaten feuern nahe der Grenze zum Libanon eine Haubitze ab.
Israelische Soldaten feuern nahe der Grenze zum Libanon eine Haubitze ab. © DPA Images | Ilia Yefimovich

Was sagen die Verbündeten Israels, allen voran die USA, zu einem möglichen großen Libanon-Krieg?

Jeder, der vernünftig denkt, versucht alles, um einen Krieg zu vermeiden. Aber wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es nicht gelingt, den Konflikt mit dem Iran einzudämmen. Die Idee der „Eindämmung“ funktioniert nicht. Diejenigen, die die militante Ideologie der Mullahs verharmlost haben, haben uns einem Krieg nähergebracht.

Sie sind selbst ehemaliger Artillerieoffizier. Im letzten Libanon-Krieg haben sich die israelischen Streitkräfte militärisch sehr schwergetan. Ist man jetzt besser vorbereitet?

Wir lernen aus unseren Fehlern und wir sind sehr gut vorbereitet. Wir werden unsere Bevölkerung schützen – so, wie wir es in der Vergangenheit auch schon geschafft haben. Wir können nicht mit den permanenten Angriffen der Hisbollah weiterleben. Es ist für uns kaum zu fassen, wie lange es trotz allen Terrors in Europa gedauert hat, bis die Hisbollah als Terrororganisation gelistet wurde. Auch Europa muss aufwachen und sehen, dass man gemeinsam gegen diese Terrororganisation kämpfen muss. Der Iran hat auch im Krieg in der Ukraine seine Finger im Spiel. Wir müssen diesen Verbrechern gemeinsam das Handwerk legen und dabei zusammenhalten.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl

Wie gefährlich ist das Raketenarsenal der Hisbollah für die israelischen Städte?

Das ist sehr gefährlich. Wir wissen, dass unsere Städte bedroht sind. Weil sie so viele Raketen haben, ist klar, dass dieser Krieg sehr problematisch wird, das gilt aber für beide Seiten. Wir haben es aber jahrelang gesagt und wir wiederholen es: Niemand, kein demokratischer Staat, kann akzeptieren, wenn fast 100.000 Menschen zu Flüchtlingen in ihrem eigenen Land werden und Städte täglich Ziele von Angriffen sind.

Wenn die Gefahr für die israelischen Städte so enorm ist, wie groß wäre dann der Rückhalt in der israelischen Bevölkerung für einen weiteren Krieg?

Der Rückhalt ist sehr, sehr stark. Die Mehrheit der Israelis weiß, dass wir für unsere Sicherheit mitunter einen hohen Preis zahlen müssen. Andernfalls werden wir keine Ruhe in der Zukunft haben. Wenn wir es tun, müssen wir es jetzt tun. Die Bevölkerung steht dahinter. Wir müssen diesen Krieg gewinnen und die Infrastrukturen von Hamas und Hisbollah beseitigen, damit wir wieder in Frieden leben können. Ich glaube, auch auf der libanesischen Seite gibt es viele, die sich das wünschen. Wir müssen alles tun, um sie und uns von der Bedrohung der Hisbollah zu befreien.

 Was würde ein Libanon-Krieg für den Krieg in Gaza bedeuten? Ist ein Zweifronten-Krieg für die israelischen Streitkräfte darstellbar oder würde es sie überfordern?

Die Kapazität der Streitkräfte sind gefordert, aber nicht überfordert. Wir sind im Norden bereit. Wir haben die richtigen Streitkräfte an den richtigen Stellen, um Israel gegen die Hisbollah zu verteidigen. Wir sind in der Lage, der Hisbollah einen Schaden zuzufügen, bei dem sie nachdenken muss, ob es ihr das wert ist. Leider wird auch die Bevölkerung im Libanon einen Preis bezahlen müssen, weil die Hisbollah keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Die Terrororganisation nutzt zivile Einrichtungen als Waffenlager, manchmal sogar im Einverständnis der Bewohner. Es muss aber allen klar sein: Wer Raketen in Schlafzimmer lagert, muss sich nicht wundern, wenn er mit einem großen Knall aufwacht – oder vielleicht auch nie wieder aufwacht.

Was wird der Iran unternehmen, wenn es zum Einsatz israelischer Bodentruppen im Libanon kommt? Wird sich Teheran militärisch an die Seite der Hisbollah stellen?

Wir haben alle gelernt, dass man sie beim Wort nehmen muss. Wenn sie sagen, dass sie die Hisbollah unterstützen und Israel beschießen werden, dann muss man das ernst nehmen. Abschreckung ist wichtig. Wir müssen zusammen alles tun, um sie davon abzubringen, uns anzugreifen. Die müssen es sich drei- oder viermal überlegen, ob sie weitermachen. Es ist gut, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene jetzt Sanktionen gegen die Revolutionsgarden vorantreibt. Das ist unheimlich wichtig, weil die Botschaft klar ist: Mit den Mullahs und den Ayatollahs gibt es nichts mehr zu verhandeln.