London. Premier Rishi Sunak hoffte bis zuletzt auf die Wende. Doch die Briten wollen den Wechsel. Am Wahltag droht den Tories eine Ohrfeige.
Bei der Parlamentswahl in Großbritannien steht Labour in einer Umfrage ein Erdrutschsieg über die Tories bevor, der sogar das Ergebnis aus dem Jahr 1997 unter Tony Blair noch übertreffen könnte. Doch warum werden die Tories verlieren, welche Rolle spielt dabei der Brexit? Und was ist eigentlich first-past-the-post? Acht Fragen und acht Antworten.
Warum finden überhaupt Neuwahlen statt?
Premierminister Rishi Sunak rief Ende Mai vorgezogene Neuwahlen für den 4. Juli aus. Er hätte sich noch bis Januar 2025 Zeit lassen können, aber in einem Anflug von Selbstbewusstsein – manche würden sagen: Selbstüberschätzung – zog er den Termin vor. Der Entscheid kam für viele völlig überraschend, denn seine Tory-Partei lag damals in Umfragen rund 20 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei. In dieser Situation Neuwahlen auszurufen, war ein größeres Risiko. Sunak hoffte wohl, dass er das Blatt im Lauf der Wahlkampagne noch würde wenden können.
Hat Premier Rishi Sunak die Wende geschafft?
Nein, überhaupt nicht. Die Wahlkampagne der Tories war voll von Patzern und die Umfragewerte haben sich kaum bewegt. Meinungsforscher sind sich einig, dass die Tories auf eine historische Niederlage zusteuern. Das Institut Survation veröffentlichte am Mittwoch die Ergebnisse einer umfassenden Umfrage: Demnach könnte Labour monumentale 484 Unterhaussitze (von insgesamt 650) gewinnen – die Tories würden auf mickrige 64 Mandate zusammensacken. Es wäre ein beispielloser Triumph Labours und eine tiefe Schmach für Sunak und seine Tories.
Warum sind die Tories im Moment so unbeliebt?
Es gibt eine Reihe von Gründen. Die Partei war 14 Jahre lang an der Macht. In dieser Zeit haben sich die Lebensumstände der meisten Briten deutlich verschlechtert. Ein paar Beispiele: Die Wartelisten im Gesundheitsdienst sind auf Rekordlänge angewachsen. Die Kinderarmut hat dramatisch zugenommen, die Zahl der Essensausgabe für mittellose Haushalte ist seit 2010 regelrecht explodiert. Der Bau von neuem Wohnraum hinkt weit hinter der Nachfrage her, das hat unter anderem dazu beigetragen, dass Eigenheime für die jüngeren Generationen immer unbezahlbarer geworden sind. Unterdessen stagnieren die Löhne der Normalverdiener – eine Analyse des Instituts Resolution Foundation hat ergeben, dass die einkommensschwächsten Briten rund 20 Prozent ärmer sind als vergleichbare Bevölkerungsgruppen in Deutschland und Frankreich.
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Welche Rolle spielt der Brexit für den Absturz?
Der EU-Austritt ist der wohl folgenreichste Fehler der Tories. Premierminister David Cameron hatte das Referendum 2016 angekündigt, um die EU-Frage ein für alle Mal vom Tisch zu räumen. Er erwartete ein deutliches Bekenntnis zu Europa. Es kam bekanntlich anders, und der Brexit dominierte die britische Politik viele ermüdende Jahre lang. Der Streit radikalisierte die Tory-Partei und sorgte dafür, dass der rechtspopulistische Flügel unter der Führung Boris Johnsons 2019 an die Macht kam.
Warum hat Johnson die Parlamentswahl 2019 noch gewonnen?
Johnson konnte zwar die Wahl gewinnen, stellte sich während der Covid-Pandemie aber als so inkompetent heraus wie seine Kritiker befürchtet hatten. Am Ende stolperte er über den „Partygate“-Skandal – die Affäre rund um ausgelassene Feste während der Lockdowns. Der Schaden für die Tories war erheblich, aber seine Nachfolgerin Liz Truss legte noch einen drauf: Sie zerstörte eigenhändig den Ruf der Tories für wirtschaftspolitische Kompetenz, als sie das Land in eine Finanzkrise steuerte. Unterdessen hat sich der Brexit als ein totales Debakel herausgestellt. Er hat weder den versprochenen Boom ausgelöst noch vergangene Größe zurückgebracht. Großbritannien ist heute ärmer und isolierter, als es vor dem Brexit war.
Warum sind entweder die Tories oder Labour an der Macht?
Der Grund ist das Mehrheitswahlsystem, es nennt sich first-past-the-post. In jedem Wahlkreis gilt: Wer die meisten Stimmen hat, gewinnt das Mandat. Wenn zum Beispiel der Tory-Kandidat in einem Wahlkreis, nennen wir ihn Pedantry-in-the-Shire, 20.000 Stimmen gewinnt, sein Labour-Konkurrent hingegen 20.100 Stimmen, dann geht der Sitz an Labour – die Stimmen der Leute, die Tory gewählt haben, zählen rein gar nichts. Das führt zu starken Verzerrungen und macht es für kleinere oder neue Parteien sehr schwierig, Sitze zu gewinnen – auch für die rechtspopulistisch-rechtsextreme Partei Reform UK von Nigel Farage.
Wer darf überhaupt abstimmen?
Abstimmen darf, wer für die Wahl registriert ist. Wahlberechtigt sind britische Staatsbürger ab 18 Jahren. Auch irische Staatsbürger sowie Bürger aus Commonwealth-Staaten mit Wohnsitz in Großbritannien dürfen abstimmen. Gefängnisinsassen sowie Mitglieder des Oberhauses, des House of Lords, dürfen nicht an der Parlamentswahl teilnehmen.
Wann steht das Ergebnis fest?
Die Wahllokale öffnen um 7 Uhr Ortszeit und schließen um 22 Uhr. Die Wähler haben eine Stimme: Auf dem Stimmzettel kreuzen sie den Namen eines Kandidaten in ihrem Wahlkreis an. Die Wahlergebnisse werden spätestens am 5. Juli bekannt gegeben.
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