London. Großbritanniens gescheiterte Ex-Premierministerin Truss drängt zurück auf die öffentliche Bühne. Und biedert sich Rechtsextremen an.
Als Liz Truss im Oktober 2022 nach nur 49 Tagen im Amt vom Posten der britischen Premierministerin zurücktrat, war der Schaden enorm: Der Finanzsektor des Landes war nur knapp an einer erneuten Finanzkrise vorbeigeschrammt. Das britische Pfund war auf ein historisches Tief gegenüber dem Dollar gesunken. Die Zinsen waren binnen kurzer Zeit dermaßen in die Höhe geschossen, dass sich Hypotheken immens verteuerten. Millionen britischer Wohnungs- und , die Immobilienkredite mit kurzen Laufzeiten aufgenommen hatten, leiden bis heute unter den Folgen.
Ein Foto, aufgenommen während ihrer letzen Tage im Amt, zementierte den Gesamteindruck des Scheitern: Darauf zu sehen war Truss, wie sie in Tränen aufgelöst auf dem Rücksitz ihres Dienstwagens kauerte. Kaum jemand glaubte daran, dass sich Truss’ politische Laufbahn je wieder von dem Fiasko erholen könnte. Umso erstaunlicher ist der Elan, mit der sich die Politikerin derzeit wieder an das Licht der Öffentlichkeit drängt. Vor wenigen Tagen veröffentlichte Truss ihre Memoiren. Das Buch trägt den vielsagenden Titel: „Ten Years To Save The West“ – zehn Jahre, um den Westen zu retten.
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Ex-Premierministerin Truss veröffentlicht Buch über ihre Amtszeit
Darin verteidigt Truss nicht nur ihre desaströse Zeit im Amt. Sie beschreibt sich als Opfer einer „woken“ Elite, die sich gegen sie verschworen und sie zu Fall gebracht habe. Und sie preist ihre rechtslibertären wirtschaftspolitischen Ideen als Lösungsrezept für westliche Demokratien an.
Zur Erinnerung: Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hatten im Herbst 2022 mit der überraschenden Vorstellung eines 45 Milliarden Pfund teueren Pakets aus Steuersenkungen für Besserverdiener und Energiesubventionen (Truss hat einmal für Shell gearbeitet) Chaos an den britischen Finanzmärkten ausgelöst und damit beinahe das private Rentenversicherungssystem des Landes zum Einsturz gebracht. Das internationale Ansehen des Landes, das wegen des jahrelangen Brexit-Gerangels ohnehin schon strapaziert war, beschädigten die beiden damit noch mehr. Als klar war, dass die konservativen Abgeordneten Truss stürzen würden, trat sie notgedrungen von ihrem Posten zurück.
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Truss verrät in ihrem Buch, dass ihr Königin Elisabeth II. bei ihrem Antrittsbesuch – die Monarchin verstarb zwei Tage später –, geraten habe, sich „zu zügeln“. „Vielleicht hätte ich auf sie hören sollen“, sinniert die ehemalige Premierministerin über den Ratschlag. Viel weiter reicht ihre Selbstkritik jedoch nicht. Stattdessen versteht Truss ihr Buch als Warnung an Gleichgesinnte, sich vor ihren mächtigen Gegnern in Acht zu nehmen.
Truss‘ Rhetorik erinnert an rechtsextreme „Alt-right“ in den USA
Ein „skrupelloses“ Establishment aus Medien, Bankern und Politikern habe sich gegen sie verschworen, schreibt Truss. Das Schatzamt und die Bank of England hätten ihr bewusst verschwiegen, dass sie mit ihren Plänen eine Krise auslösen würde. Der Internationale Währungsfonds, „die globale Linke“ und Joe Biden seien alle Teil der Verschwörung.
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Diese Rhetorik erinnert nicht ohne Grund an die „Alt-right“ (alternative Rechte, Anm. d. Red.) in den USA. In genau diesen Kreisen bewegt sich Truss schon seit einiger Zeit: Im Februar trat Truss auf der umstrittenen „Conservative Political Action Conference“ (CPAC) auf, die dem Trump-Umfeld nahe steht. „Konservative operieren nun in einem feindlichen Umfeld und wir brauchen eine größere Bazooka, um liefern zu können“, wetterte Truss in ihrer 15-minütigen Rede. „Wir müssen das System selbst herausfordern und bereit sein, das als Konservative anzugehen.“
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In einem anschließenden Interview mit den rechten Publizisten und ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon versuchte Truss, sich noch stärker als so etwas wie die britische Version von Donald Trump zu inszenieren. Sie wedelte mit einer Ausgabe der Financial Times und erklärte: „Das sind die Freunde des ‚Deep State‘ und sie arbeiten zusammen mit den Bürokraten, von denen wir in Großbritannien viel mehr haben als in den USA, damit die Dinge so bleiben, wie sie sind.“ Die Menschen in Großbritannien seien „darüber nicht glücklich, sie wollen Veränderung“, glaubte sie zu wissen.
Tabuthema Wahlempfehlung: Truss plädierte öffentlich für die Wiederwahl von Trump
Angesprochen auf die friedlichen Proteste in London gegen den Krieg in Gaza, setzte Truss die Demonstranten mit Terroristen gleich. Die meisten Briten „wollen kein Land, das islamischem Terrorismus ausgesetzt wird“. Sie wollten auch kein Land, das Hamas unterstütze oder das „ein antisemitisches Land“ sei. Die Menschen in Großbritannien wünschten sich ein Land, in dem „ihre Ansichten in den politischen Maßnahmen widergespiegelt“ würden. „Deshalb müssen wir diese extremen Linken angehen“, fügte Truss hinzu.
Man müsse auch mehr gegen „Umweltextremisten“ unternehmen, die das öffentliche Leben behinderten, erklärte Truss dann. „Mit Terroristen kann man keine Kompromisse machen. Man muss sie bekämpfen!“ Ihre Antwort war mit so vielen rechtslastigen Kampfbegriffen gespickt, dass sie auch von Donald Trump selbst hätten stammen können. Als Bannon in einer seiner Fragen einen vorbestraften britischen Rechtsextremen, der sich „Tommy Robinson“ nennt, als „Helden“ bezeichnete, widersprach ihm Truss nicht.
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Dass sich eine ehemalige britische Regierungschefin dermaßen an amerikanische Rechtsextreme anbiederte, wurde in Großbritannien erwartungsgemäß mit Entsetzen registriert. Vor wenigen Tagen sprach sich Truss auch noch öffentlich für die Wiederwahl Donald Trumps aus. Eine solche Wahlempfehlung wäre für eine ehemalige britische Regierungschefin eigentlich tabu.
Wie wahrscheinlich ist Truss politisches Comeback?
Dabei beschränkt sich Truss mit ihrem Aktivismus nicht nur auf das Ausland. Ebenfalls im Februar nahm Truss in London an der Gründungsveranstaltung einer neuen konservativen Gruppe teil. Ihr Name: Popular Conservatism, kurz „PopCon“. Die politischen Ziele des neuen Vehikels, das wie maßgeschneidert für Truss wirkt: Steuersenkungen, ein verkleinerter Staat und die Förderung libertärer Ideen. Der Direktor der Gruppe ist Mark Littlewood, der ehemalige Chef des rechtslibertären Thinktanks „Institute of Economic Affairs“ (IEA) und ein enger Verbündeter von Truss.
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In der britischen Öffentlichkeit und in den britischen Medien erntet Truss mit ihren Auftritten bestenfalls Spott und Kritik. Bei den Reaktionen auf ihr Buch sieht es nicht viel anders aus. Die humoristische Freitagabend-Panelshow „Have I Got News For You“ in der BBC widmete Truss ein ganzes Segment.
Plant Liz Truss ein politisches Comeback? Schließlich rückt Rishi Sunaks konservative Partei schon seit einiger Zeit immer weiter nach rechts, seit Umfragen darauf hindeuten, dass die oppositionelle Labour-Partei bei den kommenden Parlamentswahlen auf einen Erdrutschsieg zusteuert. Gut möglich, dass sich Truss mit ihrer kulturkämpferischen Rhetorik als mögliche erneute Parteichefin und Kandidatin für den Posten des Premiers positionieren möchte.
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Auf allzu viel öffentliche Unterstützung kann sie dabei jedoch nicht hoffen. Laut dem Umfrageinstitut YouGov haben aktuell 66 Prozent der Menschen in Großbritannien ein negatives Bild von ihr, nur 16 Prozent äußern sich positiv. Tim Bale, Politprofessor an der Queen Mary University of London und seit Jahren ein führender Experte für die konservative Partei, sagte dem Guardian bereits im vergangenen Oktober, dass er nicht an eine Rückkehr der Politikerin an die Parteispitze glaube. Innerhalb der Partei habe sie dennoch weiterhin Unterstützer: „Sie repräsentiert immer noch diesen Teil der Tory-Partei, der glaubt, dass Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen das Nonplusultra sind.“