London. Nigel Farage will den Konservativen bei der Wahl schwer schaden. Doch er hat eigene Probleme. Dazu gehört nicht nur ein grinsender Putin.
London Samstagnachmittag in Walton-on-the-Naze, einem Küstenort nordöstlich von London. Nigel Farage steht im Gemeindezentrum auf der Bühne und spricht vor überwiegend älterem Publikum. Der Rechtspopulist tritt bei den Parlamentswahlen in wenigen Tagen als Kandidat seiner „Reform“-Partei im nahen Wahlkreis Clacton an. Er will damit vor allem den Tories schaden. Das Enfant terrible der britischen Politik ist als „Mister Brexit“ bekannt geworden und erst seit einigen Wochen wieder auf der Bühne.
Farage lamentiert, der Jugend würden „nur die schlechten Dinge beigebracht, die wir in unserer Geschichte gemacht haben“. Ein Umstand, den er missbilligt: „Ich sage: Genug! Wir sollten stolz darauf sein, wer wir sind!“ In diesem Moment fährt über ihm ein Transparent herunter. Darauf steht: „I (Herz-Emoji) Nigel“ (Ich liebe Nigel). Dann darüber erscheint ein grinsender Wladimir Putin. Der Kremlherrscher hält einen Daumen nach oben. Kurze Verwirrung. Dann entdeckt Farage das Plakat. „Jemand muss gefeuert werden. Sind wir uns da einig?“, fragte er in die Runde. Großer Applaus. Zwei Männer versuchen, das Transparent herunterzureißen. Ohne Erfolg.
Verantwortlich für den öffentlichkeitswirksamen Coup ist die Kampagnengruppe Led By Donkeys. Die Gruppe möchte damit darauf hinweisen, dass Farage – wie viele andere Politiker vom rechten Rand in ganz Europa – in der Vergangenheit seine Bewunderung für den russischen Machthaber ausgedrückt hat. Vor wenigen Tagen sorgte Farage mit seiner Äußerung für Aufsehen, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj solle sich um einen Frieden mit Russland bemühen. Wenige Tage zuvor hatte Farage erklärt, der Westen habe den russischen Einmarsch in die Ukraine „provoziert“.
Rassistische Äußerungen: Farage muss sich von Kandidaten distanzieren
Für seine Äußerungen erhielt Farage viel Gegenwind von den rechtslastigen Zeitungen des Landes, die ihn ansonsten unterstützen. Die unerwartet harsche Kritik dürfte damit zusammenhängen, dass „Reform“ seit Farages Kandidatur in Umfragen deutlich an Einfluss gewonnen hat. Farage könnte damit dazu beitragen, dass Rishi Sunaks ohnehin schon schwer angeschlagene konservative Partei bei den Wahlen eine noch heftigere Niederlage einfährt als erwartet.
Aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts, bei dem in jedem Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt und in dem es keine Ausgleichsmandate gibt, dürfte „Reform“ selbst nur eine Handvoll Sitze gewinnen. Farages Partei könnte den Tories aber in Dutzenden Wahlkreisen, die bislang konservative Mehrheiten hatten, ausreichend Stimmen vom rechten Rand abzwacken, dass sich ein anderer Kandidat durchsetzt.
Doch die Probleme für Farage häufen sich. So musste sich die „Reform“-Partei, die in Wirklichkeit eine registrierte Firma ist, deren Besitzer wiederum Farage ist, von mehreren Kandidaten wegen rassistischer Äußerungen distanzieren.
Farage attackiert BBC
Vor wenigen Tagen sorgte eine Undercover-Recherche des Senders Channel 4 für Aufsehen: In heimlich gefilmten Aufnahmen ist ein „Reform“-Parteiaktivist zu sehen, wie er extrem rassistische, homophobe und islamfeindliche Äußerungen von sich gibt. Die Polizei erklärte, dass sie wegen der Äußerungen ermittelt.
Farage distanzierte sich zunächst, ging dann aber in die Offensive. Der gefilmte Aktivist könne ein bezahlter Schauspieler sein, suggerierte er. Seine Partei legte bei der Wahlkommission Beschwerde ein und in einem Schreiben nahe, Channel 4 habe den Beitrag „offensichtlich mit dem Ziel gemacht, ‚Reform UK‘ während einer Wahlperiode zu schaden“. Das könne man „nur als Wahlbeeinflussung“ bezeichnen. Die Partei legte auch eine Polizei-Beschwerde gegen den Sender ein. Damit nicht genug: Der bekennende Trump-Unterstützer Farage suggerierte am Samstag in bester Trump-Manier, dass es auch die öffentlich-rechtliche BBC auf ihn abgesehen habe. Während einer Live-Sendung am Freitagabend, bei der Zuschauer den Vorsitzenden politischer Parteien Fragen stellen konnten, hatte einer der Zuschauer Farage als Rassisten bezeichnet. Ein weiterer fragte ihn, wieso seine Partei Extremisten anziehe.
Farages bisweilen überbordendes Ego hat diese Angriffe offenbar nicht verkraftet. Am Samstag schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X, er werde vorerst in keiner BBC-Show mehr auftreten. „Ich lehne ab, bis die BBC sich für ihr unehrliches (...) Publikum entschuldigt.“ Er fuhr fort: „Unser staatlicher Rundfunk hat sich während dieser Wahl wie ein politischer Akteur verhalten. ‚Reform‘ wird energisch dafür kämpfen, die Rundfunkgebühr abzuschaffen.“ Dabei wurde die BBC in den vergangenen Wochen häufig dafür kritisiert, weil sie Farage und seiner Partei erstaunlich viel Sendezeit eingeräumt hatte.