Berlin. In der Ampel-Koalition rumort es. Nun reagiert der Kanzler und erklärt, welche Schwerpunkte er im Jahr der Bundestagswahl setzen will.

In der Bundesregierung ist die Unruhe wieder einmal groß. Das Geraune um einen Koalitionsbruch hält sich beharrlich. Die Ursache ist die Unsicherheit über den Etat des Bundes im kommenden Jahr. Die Verhandlungen zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ziehen sich wie ein Kaugummi. Unklar ist, wie sie einen zweistelligen Milliardenbetrag einsparen wollen.

Mittlerweile ist immerhin sicher, dass der Haushaltsentwurf doch nicht in einer Woche im Kabinett beschlossen werden wird. In dieser Situation trat Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag ans Rednerpult. Angekündigt ist eine Regierungserklärung zu dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in dieser sowie zum Nato-Gipfel in der übernächsten Woche. Scholz nutzte seinen Auftritt jedoch, um zunächst auf die Lage zu Hause einzugehen.

Europawahl mit starkem AfD-Ergebnis für Scholz ein „Einschnitt“

Scholz zählte die zahlreichen Krisen der vergangenen Wochen, Monate und Jahre auf: Corona, Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Energiekrise und Inflation hätten die Bürgerinnen und Bürger belastet. „Ständige Krisenerfahrungen haben Vertrauen erschüttert, das kann man gar nicht anders sagen“, räumte der Bundeskanzler ein. Das Ergebnis der Europawahl, bei dem seine SPD so schwach und die AfD so stark abschnitt, habe dies bestätigt. Von einem „Einschnitt“ sprach Scholz – auch unter Verweis darauf, dass die AfD vielerorts stärkste Kraft geworden ist. „Dem müssen wir uns stellen.“

Er wolle „Zuversicht“ und „politische Perspektiven“ in unsicheren Zeiten schaffen, so der Kanzler im Bundestag. Wie das gelingen soll, ist in seiner Ampel-Koalition allerdings höchst umstritten. Die SPD-Fraktion warnt in bemerkenswerter Geschlossenheit aller Flügel ihren Kanzler vor einem Sparhaushalt und fordert ein Aussetzen der Schuldenbremse, was aber mit der FDP von Finanzminister Lindner nicht zu machen ist. Und Fraktionschef Rolf Mützenich verlangt von Scholz schon bald zumindest eine politische Einigung darüber, wie der Haushalt aussehen soll. Ein Aufstand in den eigenen Reihen gegen den SPD-Kanzler scheint nicht ausgeschlossen, wenn er den Forderungen der FDP zu weit entgegenkommt.

Der Kanzler nennt seine Prioritäten für das Jahr der Bundestagwahl

In seiner Regierungserklärung signalisierte Scholz, dass er die Unruhe wahrgenommen hat. „Wir werden den Haushaltsentwurf im Juli vorlegen“, versicherte er, ohne Einzelheiten zu nennen. Die Gespräche seien sehr kollegial, sachorientiert und vertraulich – und so soll es nach dem Willen von Scholz auch bis zum Abschluss der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen bleiben. Der SPD-Politiker gab aber zumindest einen kleinen Einblick, welche Prioritäten er im kommenden Jahr, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, setzen will.

„Was wir tun müssen, ist, die Sicherheit stärken – die Sicherheit im Inneren und Äußeren“, sagte Scholz und fügte hinzu: „Mehr Sicherheit, mehr Zusammenhalt, mehr Wachstum, das sind die Prioritäten für unser Land.“ Beim Thema Migration verwies Scholz darauf, dass „viele weitreichende Entscheidungen“ ihre Wirkung zeigten: Die Zahl der Asylbewerber sei gesunken, während die Zahl der Abschiebungen zugenommen habe.

Scholz sagt Schwarzarbeitern im Bürgergeld den Kampf an

Forderungen nach Kürzungen im Sozialbereich wies Scholz zurück. Es ist eine der größten Sorgen in der SPD, dass FDP-Chef Lindner hier die Axt ansetzt – und der Kanzler ihm nicht in den Arm fällt. „Es darf keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente“, sagte der Kanzler im Bundestag. Wichtig ist aber: Lindner geht es vor allem darum, eine Ausweitung des Sozialstaats zu stoppen.

Gegen den Missbrauch staatlicher Leistungen will der Sozialdemokrat Scholz allerdings entschieden vorgehen. „Das kann nicht akzeptiert werden, dass einige zum Beispiel Bürgergeld kriegen und gleichzeitig schwarz arbeiten“, sagte Scholz. Das sei unmoralisch, unsolidarisch und unanständig. „Wir werden den gesetzlichen Rahmen schaffen, dass das nicht weiter passiert.“

FDP-Chef Christian Lindner Lindner will eine Ausweitung des Sozialstaats stoppen. 
FDP-Chef Christian Lindner Lindner will eine Ausweitung des Sozialstaats stoppen.  © DPA Images | Michael Kappeler

Der Wirtschaft verspricht Scholz einen „Wachstumsturbo“

Der Kanzler versprach zudem einen „Wachstumsturbo“ für das Land. „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Infrastruktur wächst und unsere Wirtschaft modernisiert wird, wir müssen dafür sorgen, dass wir eine neue, moderne Energieversorgung haben.“ Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, will der Kanzler bessere Bedingungen schaffen – etwa für Menschen, die auch im Rentenalter weiterarbeiten wollten. Als weitere Schritte zur Unterstützung der deutschen Unternehmen nannte Scholz Vereinfachungen im Steuerrecht, Bürokratieabbau und verbesserte Abschreibungsregeln.

Der Kanzler hatte Klagen aus der deutschen Wirtschaft über Wettbewerbsnachteile im internationalen Konkurrenzkampf lange heruntergespielt. Die Stimmung zwischen Scholz und den großen Wirtschaftsverbänden ist frostig. Es wird erwartet, dass der Regierungschef, Lindner und Habeck im Zuge der Haushaltsberatungen auch ein Bündel von Beschlüssen auf den Weg bringen, um deutsche Unternehmen zu unterstützen.

Trotz Wahl-Schlappe: Weil sieht Scholz als unangefochtene «Nummer eins»

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    Merz zur Ampel-Koalition: „keine Idee, kein Plan, kein Konzept“

    Ob der die eigene Koalition mit den Ankündigungen überzeugt, muss sich zeigen. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) machte deutlich, was er von der Regierungserklärung hielt: Die Ampel-Koalition habe „keine Idee, keinen Plan, kein Konzept mehr für Deutschland“, der „reine Machterhalt“ schweiße das Bündnis zusammen, sagte der Chef der Unionsfraktion. Scholz warf er vor: „Von keinem anderen Land in Europa geht gegenwärtig so viel Unsicherheit und so viel Unklarheit aus wie von Deutschland.“