Brüssel. Brandanschläge, Cyberattacken, Flugsabotage: Russland gefährdet mit hybriden Angriffen die Sicherheit Europas. Die Bedrohung wächst.
Entgleiste Güterzüge, Brandanschläge, Flugbehinderungen und Cyberattacken: Russland hat seine Sabotageangriffe auf Ziele in Europa, auch in Deutschland, offenbar verstärkt. Immer öfter kommt es zu Zwischenfällen, zum Teil mit großen Schäden. Jetzt schlägt die Nato Alarm: „Das sind keine Einzelfälle, wir beobachten ein Muster: Das Ergebnis einer verstärkten Aktivität des russischen Geheimdienstes im gesamten Bündnis“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Stoltenberg sprach am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister in Brüssel über die wachsende Bedrohung. Er sehe eine „Feindseligkeitskampagne“ Russlands gegen Nato-Staaten mit „Sabotage, Gewalttaten, Cyberangriffen und Desinformation“, so der Generalsekretär. Die Nato-Staaten fahren ihre Schutzmaßnahmen hoch, europäische Geheimdienste rechnen mit einer weiteren Zunahme der Angriffe – auch als Reaktion auf die Erlaubnis für die Ukraine, mit westlichen Waffen Ziele in Russland anzugreifen.
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Im Visier ist besonders auch Deutschland: Hier waren vor einigen Wochen zwei deutsch-russische Bürger verhaftet worden, die im Auftrag des russischen Militärgeheimdienstes GRU Anschläge auf amerikanische Militäreinrichtungen geplant haben sollen. Für eine Cyberattacke auf die SPD-Zentrale hat die Bundesregierung vor kurzem eine GRU-Einheit verantwortlich gemacht. Der jetzt aufgedeckte, noch nicht aufgeklärte Cyberangriff auf die CDU könnte ebenfalls auf das Konto der Moskauer Agenten gehen.
London, Warschau, Prag: Es mehren sich Vorfälle mit Spur nach Russland
In Tschechien wurde vor wenigen Tagen ein Mann unter Terrorverdacht festgenommen, der ein Busdepot in Prag in Brand setzen wollte. Der Anschlag sei sehr wahrscheinlich von Russland organisiert und finanziert worden und offensichtlich Teil einer hybriden Sabotagekampagne, sagte Ministerpräsident Petr Fiala nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. Tschechien registriert schon länger eine Serie von gefährlichen Hacker-Angriffen auf Signalsysteme und Netze der Eisenbahn. „Wir müssen den hybriden Krieg Russland gegen uns stoppen“, sagt Fiala.
Beim jüngsten Vorfall sieht auch er einen Zusammenhang zu einem Brandanschlag auf ein Einkaufszentrum in Warschau und auf eine Ikea-Filiale in Litauen, hinter denen nach Angaben von Sicherheitsbehörden ebenfalls der russische Geheimdienst steckt. In Polen wurde ein Mann festgenommen, der im Kreml-Auftrag den Flughafen Rzeszow, ein wichtiges Drehkreuz der Militärhilfe für die Ukraine, ausspionierte. In London sind mehrere Männer mit Verbindungen zur Wagner-Gruppe wegen eines Brandanschlags auf ein ukrainisches Logistikunternehmen angeklagt, ein russischer Diplomat wurde unter Spionageverdacht ausgewiesen.
Im Nato-Hauptquartier ist von einer „beispiellosen Eskalation schwerer Fälle“ die Rede, es handele sich offensichtlich um eine orchestrierte Kampagne. „Das ist ziemlich Besorgnis erregend“, sagt ein ranghoher Nato-Beamter unter Zusicherung von Anonymität. „Wir sehen eine steigende Zahl von Angriffen in zunehmender Vielfalt und kürzeren Abständen. Es ist eine wachsende Bedrohung für viele Staaten in Europa.“ Die hybriden Attacken blieben zwar unter der Schwelle eines bewaffneten Angriffs, der den Bündnisfall der Allianz auslösen würde, aber es gebe Risiken vor allem für die kritische Infrastruktur, für Öl- und Gaspipelines oder Datenkabel.
Geheimdienste sicher: Sabotageeinheit des GRU steigert die Angriffsintensität
Die Nato hat ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, diese Leitungen noch stärker zu überwachen und intensiv Geheimdienstinformationen auszutauschen. Dass die Sabotageeinheit des GRU die Angriffsintensität steigern könnte, steht für westliche Geheimdienste außer Zweifel: Die russischen Agenten sollen in früheren Jahren schon Munitions- und Waffendepots in Bulgarien und Tschechien in die Luft gejagt haben und für mehrere Mordanschläge auch in Deutschland verantwortlich sein.
Große Besorgnis herrscht aktuell vor allem in baltischen und skandinavischen Ländern: In Schweden entgleiste vor einigen Monaten auf der strategisch wichtigen Eisenbahnlinie Malmbanan ein Güterzug; kaum war die Strecke repariert, entgleiste dort wenige Tage später erneut ein Güterzug. Die Sicherheitsbehörden vermuten Sabotage. Die finnische Fluggesellschaft Finnair musste vorübergehend Flüge in die estnische Stadt Tartu einstellen, weil dort mehrmals beim Landeanflug GPS-Signale ausgefallen waren und die Maschinen nach Finnland umdrehen mussten.
Gefährliche GPS-Störungen werden in der Ostseeregion seit längerem registriert, im Flug- und im Schiffsverkehr, ganz offenkundig steckt Russland dahinter. In Estland wurden zehn Männer festgenommen, die das Auto des Innenministers demolierten. Inzwischen ist der estnische Inlandsgeheimdienst sicher, dass es sich bei den Tätern um russische Agenten handelt. Zur Serie gezielter Provokationen zählen Sicherheitsexperten auch Vorfälle um den Grenzverlauf zwischen Russland und der EU in der Ostseeregion.
Baerbock: „Stellen uns gemeinsam komplexen hybriden Bedrohungen entgegen“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beriet am Freitag in Finnland mit ihren Kollegen aus Ostseeanrainer-Staaten über die Gefahr: „Wenn komplexe hybride Bedrohungen – von GPS-Störungen über Sabotage an Unterwasserkabeln bis zu Desinformationskampagnen in sozialen Medien – an der Tagesordnung sind, stellen wir uns dem gemeinsam entgegen“, sagte Baerbock. Russland werde scheitern mit seinem Versuch, mit den Nadelstichen zu spalten.
Auch Nato-Chef Stoltenberg versichert: „Die Aktionen Russlands werden uns nicht davon abhalten, die Ukraine zu unterstützen“. Ziel der Hybrid-Angriffe ist es nach Nato-Einschätzung vor allem, Angst und Unsicherheit zu schüren, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu schwächen, den Zusammenhalt zu untergraben – und so die Bereitschaft zur Ukraine-Hilfe zu verringern. Russland könne bislang ohne großes Risiko agieren, heißt es von Geheimdienstexperten.
Die Kampagne werde vom Militärgeheimdienst GRU geleitet, doch mit der Ausführung seien zum Teil auch außenstehende Gruppen beauftragt, sodass die Urheberschaft schwerer nachzuweisen sei. Die Aufklärung brauche zudem viel Zeit. Die Verteidigungsminister vereinbarten in Brüssel einen engeren Informationsaustausch und besseren Schutz wichtiger Infrastruktur. Und: „Wir zeigen Putin, dass wir wissen, was passiert“, erläutert ein hoher Nato-Beamter. Diskutiert werden zudem Erschwernisse für russische Geheimagenten im Bündnisgebiet.
Weil es gängige Praxis ist, dass sich unter akkreditiertem Botschaftspersonal auch Geheimdienstangehörige befinden, drängen vor allem östliche EU-Staaten schon seit Wochen, die Reisefreiheit für russische Diplomaten zu beschneiden: Sie und ihre Familien sollen Freizügigkeit nur in dem Staat genießen, in dem sie akkreditiert sind, nicht mehr in der gesamten EU – was den Operationsraum von Agenten sehr verkleinern würde. Noch gibt es Widerstand unter den EU-Staaten, doch heißt es im Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel auch: „Wir müssen irgendwann reagieren und Entschlossenheit zeigen“.
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