Berlin. Volt könnte sein Ergebnis bei der Europawahl deutlich verbessern. Was will die Partei und warum provoziert sie mit „Sei kein Arschloch“?
- Volt gehört zu den kleinen Parteien – sitzt aber bereits im Europäischen Parlament
- Bei der Europawahl 2024 könnte sie ihr Ergebnis deutlich verbessern
- Was will die Partei, die mit „Sei kein Arschloch“ provoziert?
Dass Damian Boeselager aus einer adligen Familie stammt, ahnt man nicht, wenn man mit ihm durch Berlin läuft. Der 36-Jährige trägt Jeans, weiße Sneaker und einen Strickpullover. Auf der Straße kommt seine lockere und offene Art gut an. Immer wieder fährt er sich mit der Hand durch die Frisur – er scheint die Aufmerksamkeit zu genießen, die ihm die Menschen entgegenbringen.
Der Mitgründer und Spitzenkandidat der Partei Volt hat große Visionen, möchte Europa umdenken. Boeselager will mehr Europa und nicht weniger, träumt von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Bei der Europawahl vor fünf Jahren reichte es dennoch nur für einen einzigen Sitz im Europäischen Parlament. Wenn am kommenden Wochenende wieder gewählt wird, soll es anders laufen.
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Geprägt hat Boeselager, der mit vollem Namen Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager heißt, die Geschichte seines Großvaters, der zu den Widerstandskämpfern gehörte, die das Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 planten. Doch auch wenn man das vermuten könnte, der ausschlaggebende Grund für das politische Engagement des gebürtigen Frankfurters ist nicht seine Familiengeschichte.
Die entscheidenden Momente seien für ihn der Brexit und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten gewesen, erzählt Boeselager während eines Spaziergangs durch Berlin-Mitte. Dass ein so schwieriger Mensch wie Trump zum mächtigsten Mann der Welt werden konnte, habe ihn umgetrieben.
Volt plädiert für mehr statt weniger Europa
Als Reaktion darauf gründete Boeselager 2017 gemeinsam mit Andrea Venzon aus Italien und Colombe Cahen-Salvador aus Frankreich Volt. Eine paneuropäische Partei, deren Kernziel es ist, die EU weiterzudenken und demokratischer zu machen. Was Boeselager damit meint? „Wir – die Bürger – sollten künftig die europäische Regierung wählen, weil sich nur so die Herausforderungen unserer Zeit lösen lassen“, sagt er. Mittlerweile hat die Partei nach eigenen Angaben mehr als 30.000 Mitglieder in 31 Ländern.
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Der Parteiname sei dabei Programm: „Neue Energie für Europa“ bedeute er, erklärt Boeselager. Ebenfalls praktisch: „Volt“ verstehe man europaweit. Alle großen Fragen der aktuellen Zeit müsse man auf ganz Europa bezogen betrachten, findet er. Angefangen bei der Wettbewerbsfähigkeit bis hin zu Handelsabkommen, Regionalförderung oder der Landwirtschaftstransformation.
Damian Boeselager: EU ist „das Beste, das wir uns nach dem Krieg ausdenken konnten“
Dazu brauche es aus seiner Sicht die Vereinigten Staaten von Europa. Immer wieder kommt Boeselager darauf zu sprechen, wie wichtig es sei, „Europa zu reformieren und für seine Bürger transparenter zu gestalten“. Im Moment werde viel zu viel im „stillen Kämmerlein“ zwischen den Regierungschefs ausgehandelt. Das hinterlasse bei den Menschen ein Gefühl der Klüngelei und Machtlosigkeit und treibe sie in die Hände der Rechtspopulisten. Die hätten aber nur eines im Sinn – die EU abzuschaffen. Dabei sei die „das Beste, das wir uns nach dem Krieg ausdenken konnten“, so der junge Politiker.
Volt setzt auf lauten Wahlkampf. „Sei kein Arschloch – Deine Stimme gegen Rechtsextremismus“ oder „Für mehr Eis – Deine Stimme für echte Klimapolitik gegen die Erderwärmung“ ist auf den lilafarbenen Wahlplakaten zu lesen. In Leipzig, Erfurt oder Wiesbaden sei er von vielen Leuten darauf angesprochen worden, erzählt Boeselager. „Wir haben Volt schon gewählt“ und „Europa soll nicht auseinanderbrechen“, hätten sie ihm gesagt.
In 14 Ländern tritt Volt in diesem Jahr bei der Europawahl an – auch der Titel des gemeinsamen Wahlprogramms ist auf den Plakaten zu lesen: „Trau dich, Europa“. Darin fordert die Partei unter anderem eine neue EU-Verfassung, die Abschaffung des nationalen Veto-Rechts oder eine europäische Armee. Außerdem will Volt etwa durch eine grundsätzliche Reform der Steuerpolitik mehr soziale Gerechtigkeit schaffen und die Klimaneutralität schnell und fair erreichen – etwa durch ein europaweites Energienetz oder die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen.
Europawahl: 2019 holte Volt ein Mandat, dieses Mal soll es anders laufen
Der Spaziergang ist zu Ende, Boeselager hat sich in einem Café hingesetzt und bestellt einen Kaffee, schwarz. 23 Politikerinnen und Politiker aus mindestens sieben Ländern wünscht sich der Parteichef für Volt ins Europäische Parlament, denn dann „können wir eine eigene Fraktion bilden“. Beim letzten Mal hat das nicht geklappt. In acht Ländern war die Partei bei der Europawahl 2019 angetreten, am Ende kam sie europaweit auf rund 450.000 Stimmen. In Deutschland konnte sie mit 0,7 Prozent der Stimmen das einzige Mandat holen – für Boeselager. Er schloss sich nach seiner Wahl der Grünen/EFA-Fraktion an und saß für sie in mehreren Ausschüssen.
Dass es dieses Mal schon mit einer eigenen Fraktion klappt, da ist sich Boeselager aber noch nicht sicher. Dabei laufe Europa die Zeit weg, sagt er. Das merke man, wenn man den Blick gen Osten an die Grenzen der EU richte: „Ich war kürzlich erst in der Ukraine und habe dort die 50 Milliarden Euro Ukrainehilfe verhandelt.“ Der Vetospieler Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, habe dabei seinen Einspruch geltend gemacht, was am Ende 10 Milliarden Euro gekostet habe. „Das geht nicht“, befindet Boeselager.
Er wünscht sich, dass mehr junge Menschen den Schritt wagen und Politik machen. Er sagt: „Putin und Trump machen uns wach dafür, wie fragil Demokratien sind.“ Und weiter: „Das Gefährlichste in der Geschichte der Menschheit sind Egomanen, Männer, die nicht kontrolliert werden – die meinen, sie seien das Zentrum der Welt.“
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