Berlin. Rechtsradikale kapern den Party-Ohrwurm, erste Verbote folgen auf dem Fuß. Nur: Sie nehmen den Deutschen zur EM eine einmalige Chance.
Immer mehr Deutsche bekennen sich derzeit zu ihrem Bedürfnis nach einem ausländerfreien Land. Kein Tag vergeht, ohne dass nicht ein neuer Fall von rechtsradikalen „L‘amour toujours“-Gesängen bekannt wird. Der Sender ProSieben hat sogar einen eigenen Newsticker für derartige „Zwischenfälle“.
Die Reaktionen sind so nachvollziehbar, wie sie vorhersehbar sind: Der Empörung über das rassistische Gejaule folgen Verbote in Großraum-Diskos, auf Volksfesten, bei EM-Feiern. Wiesn, Wasen, Fanmeile, dieses Jahr werden die größten Feiern des Landes ohne die eingängige Italo-Dance-Hymne auskommen müssen.
Zu groß scheint die Gefahr, dass trotz aller Verdammung von rechtsradikalem Gedankengut, trotz aller Bekenntnisse zu einer bunten deutschen Gesellschaft nicht doch der ein oder die andere Bierseelige großdeutschen Träumereien verfällt. „Ausländer raus“, das passt nicht zusammen mit einer Welt, die bei Freunden zu Gast sein soll. Also verbieten. Der Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) sagt: „Wird nicht gespielt“. In Stuttgart will man laut städtischer Veranstaltungsgesellschaft „Sylter Verhältnisse nicht haben“ und in Berlin erst recht nicht. Das ist verständlich – und ziemlich feige.
Verbot schafft das Problem nicht aus der Welt
Es ist ja so: Das Verbot des mit dem Sylter Video in Verruf geratenen Songs von Gigi D‘Agostino „L‘amour toujours“ schafft dessen rechtsextreme Umdichtung und das dahinter stehende Gedankengut nicht aus der Welt, sondern macht es unsichtbar. Wer „Deutschland den Deutschen“ mitgegrölt hätte, feiert dann eben wieder im Stillen mit, steht mit seiner rassistischen Grundhaltung unbehelligt auf den Bierbänken in München oder jubelt auf dem Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor. Mitten unter uns.
Statt an die Wurzel zu gehen, verschließen die Veranstalter mit dem Verbot ihre Augen vor der Realität: Rassismus lebt in Deutschland mitten unter uns. Das weiß jeder, der gewillt ist, Menschen mit einer nicht-weißen Hautfarbe oder einem nicht-deutsch klingenden Nachnamen zuzuhören.
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Mit dem Verbot nehmen die Veranstalter den Deutschen eine Chance: Sie könnten klare Kante zeigen. Und das an Orten, die begehrt sind, die von vielen Menschen aufgesucht werden. An diesen Orten könnten die Weltoffenen den Rassisten klarmachen: Ihr seid hier nicht willkommen. Euer Rassismus hat hier keinen Platz, wir wollen lieber mit Ali feiern als mit dem gröhlenden Achim.
Es könnte ein Signal sein, das die Einen willkommen heißt und die Rassisten ernsthaft und konsequent aussperrt – und sie im Idealfall zum Nachdenken anregt. Niemand möchte schließlich ausgeschlossen werden, das liegt in der Natur des Menschen. Für so ein Signal braucht es Mut: Bei den Veranstaltern, die ihren Gästen vertrauen müssen, dass sie Rassisten entgegentreten, und bei den Gästen, die gegebenenfalls den Banknachbarn, Onkel oder die Kollegin auf ihr rassistisches Gegröle ansprechen müssen.
Mit dem Verbot aber passiert genau das Gegenteil: Man duckt sich weg, gewährt die Möglichkeit zum Wegducken, und das aus Angst, vor Rassistinnen und den Bildern, die sie mit ihren Gesängen produzieren können. Man überlässt ihnen das Feld und gibt – quasi kampflos – einen Song auf, der von Liebe handelt.