Berlin. Unrühmliche Karriere eines harmlosen Partysongs: „L‘amour toujours“ ist zur Neonazi-Hymne geworden. Was ein Dorffest damit zu tun hat.
„Wo fing das an, was ist passiert, was hat dich bloß so ruiniert?“ – vielleicht fängt man mit Zeilen aus einem anderen Song an, um zu ergründen, wie aus einem beinahe textlosen Dance-Kracher „L‘amour toujours“ eine Hymne für Rechtsextremisten werden konnte. Die Zeilen stammen von der unverdächtigen Hamburger Indie-Band „Die Sterne“, veröffentlicht auf dem Album „Posen“ im Jahr 1996. Drei Jahre später erschien Gigi D‘Agostinos Album „L‘amour toujours“, auf dem die gleichnamige Single enthalten ist, die spätestens seit einer Party in der noblen „Pony“-Bar auf Sylt zum Stein des Anstoßes geworden ist.
Was hat diesen harmlosen Song so ruiniert, dass er zum Erkennungszeichen von Rechtsextremisten werden konnte? Und wo fing das an? Die vorläufige Antwort: nicht erst an einem lauen Pfingstabend in Kampen auf Sylt. Dass Rechtsextremisten das Lied missbrauchen und dazu Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ brüllen, ist ein schon älteres Phänomen. Die Spurensuche führt wie so oft in die Untiefen der sozialen Medien, auf die Plattformen TikTok und YouTube. Wer dort nach „L‘amour toujours“ sucht, stößt schnell auf Nazi-Sprech und rassistische Kommentare, mal offen, mal verklausuliert und verborgen hinter Ziffernfolgen wie „444“ – ein rechtsextremer Code für „Deutschland den Deutschen“. Für das offizielle Video zum Song auf YouTube wurden keine Kommentare zugelassen – zum Glück, muss man sagen. Andernfalls kämen die Administratoren wohl mit dem Löschen rassistischer Äußerungen nicht hinterher.
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Video mit rassistischen Parolen verbreitet sich rasant in sozialen Netzwerken
In den sozialen Medien kursieren Videos mit Umdichtungen des Songs wohl schon ziemlich lange. Doch erst ein Dorffest der Gemeinde Bergholz in Landkreis Vorpommern-Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) im Oktober des vergangenen Jahres hat den Stein so richtig ins Rollen gebracht. Das Video mit grölenden und rechtsextreme Parolen rufenden Männern verbreitete sich rasant in den sozialen Netzwerken, wurde immer wieder geteilt und neu gepostet. Mittlerweile ist der Song samt textlicher „Neugestaltung“ ein Erkennungscode in der rechten Szene geworden. Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, der maßgeblich am Potsdamer Geheimtreffen der neurechten Szene mitwirkte, verwendete ihn als eine Art Hintergrundrauschen in einem seiner Videos.
Auch auf Schützenfesten in Niedersachsen und auf einem Spitzeninternat in Schleswig-Holstein soll es rassistische Gesänge zu „L‘amour toujours“ gegeben haben. Minderjährige Schülerinnen und Schüler des Internats Louisenlund (Jahresschulgeld 50.000 Euro) sollen bei einer Feier am Donnerstag zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits rassistische Parolen gesungen haben. Daraufhin hätten die Lehrkräfte die Feier abgebrochen und Schülerinnen und Schüler ins Bett geschickt, teilte das schleswig-holsteinische Bildungsministerium am Montag mit. Die Schülerinnen und Schüler hätten in einem Anflug großer „Dummheit“ das auf Sylt entstandene Video nachahmen wollen.
Immer mehr Veranstalter verbieten den Song
Bereits in den vergangenen Monaten gab es immer wieder ähnliche Vorfälle, bei denen zu dem Lied Neonazi-Parolen gerufen wurden. Am Freitagabend grölten zwei Besucher eines Festes in Erlangen rassistische Parolen zu der Musik. Bei einem Pfingstfest in der Oberpfalz sollen Besucher ebenfalls „Ausländer raus“ gerufen haben, als das Lied gespielt wurde. Ausländerfeindliche Sprechchöre zu dem Lied gab es auch beim Hamburger Schlagermove am Samstag.
Als Reaktion auf derartige Entgleisungen verbannen immer mehr Veranstalter den Song. „Wir wollen es verbieten, und ich werde es verbieten“, sagte Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner der Deutschen Presse-Agentur am Montag. „Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz.“ Das Lied an sich sei zwar nicht rechtsradikal, aber es habe eine „ganz klare rechtsradikale Konnotation“ bekommen. Auch in der Stuttgarter Fanzone zur Fußball-Europameisterschaft und auf dem Cannstatter Volksfest im Herbst soll das Lied nicht gespielt werden.
tok mit dpa