Berlin. Ob Stadtfest oder Betriebsfeier: Nach dem Vorfall von Sylt wird der Sommer anders – mit Folgen sowohl für Gastgeber als auch Gäste.

Jeder Sommer hat seinen Hit. Ein Lied, das auf allen Stadtfesten und in jedem Festzelt läuft. Mit dem Song „L‘amour toujours“ des italienischen DJ Gigi D‘Agostino hat Deutschland diesmal eine Art Anti-Sommerhit: Jeder spricht darüber – aber viele Partyveranstalter haben vor allem Angst davor. Angst, dass irgendein Partygast wieder „Ausländer raus“ dazu grölt. Wie zu Pfingsten auf Sylt. Und wie bei vielen anderen Festen im ganzen Land.

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Schützenfest, Sommerfest, Dorffest: An jedem Wochenende wird irgendwo gefeiert – meistens mit Musik, fast immer mit viel Alkohol. Vor zwei Jahren war es der Ballermann-Song „Layla“, der überall lief und für ordentlich Ärger sorgte. Nach einer hitzigen Debatte über Sexismus im Partyschlager flog das Lied aus den Playlists vieler Volksfeste. Diesmal ist die Lage entschieden anders: Wer zum Sound des DJ-Hits volksverhetzende Parolen grölt, singt nicht bloß ein paar umstrittene Liedzeilen, er begeht eine Straftat. Wird dieser Sommer deswegen jetzt anders als die anderen?

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Ja, sagt die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sie rechnet in den kommenden Monaten mit einer starken Zunahme solcher Ermittlungsfälle: „Wir werden in diesem Sommer deutlich mehr Anzeigen wegen rechtsextremer, volksverhetzender Vorfälle erleben“, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke dieser Redaktion. Der Vorfall in Sylt werde Gastgeber und Gäste auf Volksfesten und in Partyzelten sensibilisieren. Das sei gut so. „Auf diese Weise wird das Dunkelfeld der verfassungsfeindlichen Auftritte für die Ermittler deutlich heller.“

Nazi-Parolen auf Partys: Polizei ermittelt in weiteren Fällen

Seit dem Vorfall von Sylt schauen viele Veranstalter besorgt die Playlists ihrer DJs durch. Die Vorsicht ist berechtigt: Der Fall der grölenden „Pony“-Bar-Besucher auf Sylt war noch keine Woche alt, als es am Freitagabend erneut zu einem rassistischen Vorfall kam – diesmal bei einem Volksfest in Erlangen: Laut Polizei skandierten zwei Besucher zu dem Song ausländerfeindliche Parolen. Der Staatsschutz leitete auch hier Ermittlungen ein – zudem erhielten die 21 und 26 Jahre alten Verdächtigen ein Betretungsverbot für das Volksfest. Die beteiligten Gastronomen beschlossen, „L‘amour toujours“ bei dem Fest nicht mehr zu spielen.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, sieht auch Positives in dem Vorfall auf Sylt.
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, sieht auch Positives in dem Vorfall auf Sylt. © DPA Images | Wolfgang Kumm

Kein Einzelfall: Im niedersächsischen Löningen sollten laut Polizei mehrere junge Männer auf einem Schützenfest zu demselben Lied volksverhetzende Parolen gerufen haben. Am Samstagabend löste die Polizei nach Hinweisen auf mutmaßliche verfassungsfeindliche Parolen und verbotene Lieder eine private Gartenparty in der rheinland-pfälzischen Gemeinde Kröv auf.

Der Fall von Sylt rüttele gerade das ganze Land wach, so der GdP-Chef Jochen Kopelke: „Jeder kann sehen, was mit Leuten passiert, die ausländerfeindliche oder volksverhetzende Parolen grölen. Sie werden angezeigt, die Polizei ermittelt, sie verlieren zum Teil sogar ihre Jobs, ihr Ruf ist ruiniert.“ Er fordert, dass Veranstalter und Gastgeber wachsamer sind. „Wenn volksverhetzende Zeilen gesungen werden, kann man die Polizei rufen. Leute, die den Hitlergruß zeigen, sollte man sofort anzeigen.“

Experte: Gastronomen, Gäste und Arbeitgeber sollten genau hinsehen

Gastronomen warnt Kopelke ausdrücklich davor, aus wirtschaftlichen Gründen bei Nazi-Parolen nicht genau hinzusehen: Die Gastronomie habe durch die Corona-Pandemie massiv gelitten, viele könnten sich nicht leisten, Gäste und Umsatz zu verlieren. „Das darf aber nicht dazu führen, dass sich niemand mehr dafür interessiert, wer Gast ist.“ Wenn ein Gast mit strafbaren Handlungen auffalle, müssten Betreiber ihr Hausrecht durchsetzen und Anzeige erstatten.

Im Weindorf Kröv an der Mosel löste die Polizei in der Nacht zu Sonntag eine private Party auf – nach Hinweisen auf mutmaßliche verfassungsfeindliche Parolen und verbotene Lieder.
Im Weindorf Kröv an der Mosel löste die Polizei in der Nacht zu Sonntag eine private Party auf – nach Hinweisen auf mutmaßliche verfassungsfeindliche Parolen und verbotene Lieder. © Steil-TV | Steil-TV

„Niemand sollte sich Illusionen machen“, sagt Kopelke. „Der langfristige Schaden für Gastwirte, deren Gäste unwidersprochen Nazi-Parolen grölen können, ist enorm.“ Auch Arbeitgeber sollten vor Firmenfeiern und Betriebsausflügen klarstellen, dass es bestimmte Spielregeln gibt, mahnt Kopelke: „Es ist wichtig, gerade jetzt darauf hinzuweisen, dass Parolen wie ‚Ausländer raus‘ oder der Hitlergruß kein Partyspaß sind, sondern eine Straftat.“

Straftaten anzeigen: Polizeigewerkschaft fordert mehr digitale Wachen

Auch in den Kommunen ist die Haltung klar: „Selbstverständlich gilt es, rassistische und ausländerfeindliche Parolen und rechtsextremistisches Gedankengut anzuprangern und nicht zu dulden“, sagt der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, dieser Redaktion. Die Gesellschaft müsse jetzt sehr aufmerksam sein. Aber jede Sommersause sei eine potenzielle Bühne für Rassisten, schränkt er ein. Hinschauen sei wichtig, „umgekehrt sollten wir aber auch nicht jedes Sommerfest, Schützenfest oder jede private Feier unter Generalverdacht stellen.“

Was hinter dem Vorfall von Sylt steckt: Dieses Video brüllt uns an: „Macht euch keine Illusionen!“

Kopelke fordert nach den Vorkommnissen die Länder dazu auf, die Digitalisierung der Polizei zu beschleunigen: Im Sylter Fall hätten viele Menschen online Anzeige erstattet. Sie hätten das Video im Netz gesehen und sofort reagiert. Die Staatsanwaltschaft könne in solchen Fällen dann sofort ermitteln, die Gerichte könnten schnell urteilen.

„Digitale Anzeigen von Straftaten wie Volksverhetzung sind aber leider noch nicht flächendeckend in Deutschland möglich“, kritisierte der GdP-Chef. Viele Länder seien hier noch nicht so weit wie die Polizei in Schleswig-Holstein. „Wir brauchen flächendeckend digitale Polizeiwachen, damit die Ermittlungsbehörden schnell reagieren können.“