Essen. Rund um die Nachhaltigkeit von Produkten gibt es viele Irrtümer und Mythen, aber auch Fake News. Fünf Beispiele, die Verbraucher kennen sollten.
Wie viel Mensch verträgt eigentlich die Erde? Nachhaltigkeitsforscher haben dafür das Maß des ökologischen Fußabdrucks erfunden. Er zeigt an, wie viel Fläche etwa eine Person, ein Unternehmen oder ein Land für seinen Lebensstil und seinen Ressourcenverbrauch in Anspruch nimmt. Angegeben wird die Größe dieser Fläche in globalen Hektar (gha). Seit vielen Jahren wissen wir: Was wir verbrauchen, übersteigt die Kapazität des Planeten bei Weitem.
Laut der Organisation Global Foodprint Network war der Fußabdruck jeder Person in Deutschland in 2019 durchschnittlich 4,7 globale Hektar groß. Würde das jeder Mensch auf diesem Planeten in Anspruch nehmen, bräuchten wir drei Erden. Deutschland liegt damit weit über einem nachhaltigen ökologischen Fußabdruck. Laut Berechnungen dürfte jeder Mensch weltweit gerade 1,6 globale Hektar in Anspruch nehmen, damit auch zukünftige Generationen noch Ressourcen nutzen können.
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Um die Folgen unseres Konsums zu verdeutlichen, haben Forscher den ökologischen Rucksack gepackt. Er bezieht sich auf einzelne Produkte und gibt in Kilogramm an, für viel Wasser, CO₂ oder den Verbrauch anderer Ressourcen ein Produkt in seinem Lebenszyklus verantwortlich ist. Nur wenige Menschen aber können die Umweltbilanz eines Produkts einschätzen, in der Regel fehlen Daten. Auch Greenwashing, Fake News und Irrtümer führen letztlich dazu, dass Verbraucher nicht nachhaltig leben. Fünf Beispiele, welche Überraschungen in Öko-Bilanzen stecken können.
Die Milchkuh: Das Futter ist in der Öko-Bilanz ein wichtiger Faktor
Welche Milch ist umweltfreundlicher – Biomilch aus Weidehaltung oder Milch aus Stallhaltung? Lange hatte Bio-Milch eine schlechtere Öko-Bilanz als konventionell erzeugte Milch. Denn egal ob Stall oder Weide: Alle Kühe rülpsen oder pupsen klimaschädliches Methan. Da aber Kühe in ökologischer Haltung weniger Milch geben, punktete die Stallhaltung.
Das Umweltbundesamt veröffentlichte 2021 eine Studie, die neben den Treibhausgasemissionen sämtliche Umweltwirkungen verglich, darunter die Futtermittelbeschaffung. Das Ergebnis: Würden die Landwirte vermehrt heimisches Futter wie zum Beispiel Ackerbohnen statt aus Übersee importiertes Soja füttern, ließen sich die Treibhausgasemissionen deutlich senken. Laut Studie gehen 18 bis 34 Prozent der Treibhausgasemissionen in der konventionellen Produktion auf das Konto des Futters. Es ist der größte Faktor in der Öko-Bilanz. Bei der Biomilch sind es nur sechs bis 20 Prozent. Deswegen liegt sie in der Öko-Bilanz vorn.
Die Avocado: 1500 Liter Wasser für ein Kilo Früchte
Als Superfood gefeiert, sind die Früchte des Avocado-Baums seit Jahren eine feste Größe in der veganen Küche. Ein Blick in die Öko-Bilanz aber zeigt die Schattenseiten. Die meisten nach Deutschland exportierten Avocados stammen aus Übersee, aus Peru, Chile oder Mexiko. Nur geringe Mengen werden in Israel oder Spanien angebaut. Das aber ruiniert die Umweltbilanz. Im Schnitt legt eine Avocado bis zum Supermarkt rund 10.000 Kilometer zurück. Beim Transport per Flugzeug oder Schiff verursacht die Frucht somit viel CO₂. Um ein Kilo Avocados zu ernten, werden zudem bis zu 1500 Liter Wasser benötigt. In den Herkunftsländern trägt dies dazu bei, die Wasserknappheit zu vergrößern.
Die Verbraucherzentralen raten daher, Avocados bewusst und nur selten zu essen. Oliven oder Walnüsse aus heimischen Wäldern würden ebenfalls die gesunden ungesättigten Fettsäuren liefern – bei einer wesentlich besseren Öko-Bilanz.
Autoreifen: Der Abrieb sorgt für Mikroplastik-Belastungen
Mindestens 330.000 Tonnen Mikroplastik gelangen Studien zufolge in Deutschland pro Jahr in die Umwelt. Chemiekonzerne, Kosmetikhersteller, Wasserverbände und Abfallentsorger wollten 2018 wissen, aus welchen Quellen die winzigen Plastikteilchen stammen. Bislang galten etwa Körperpflegeprodukte als Hauptverdächtige. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) in Oberhausen aber kam zu dem überraschenden Ergebnis: Der mit Abstand größte Verursacher von Mikroplastik ist der Abrieb von Autoreifen.
Über ein Drittel der gesamten Emissionen stammt aus dieser Quelle, so die Autoren. In die Umwelt gelangen die problematischen Partikel demnach über das Niederschlagswasser, das den Abrieb in die Kanalisation spüle. Kläranlagen können das Mikroplastik nur zu einem Bruchteil zurückhalten. So würden Gewässer und Böden belastet.
Im Schnitt verliert ein Autoreifen auf 1000 Kilometer Strecke 120 Gramm Gewicht durch Abrieb, ergaben Tests des ADAC. An langlebigeren Produkten forscht die Reifenindustrie seit geraumer Zeit. Doch Reifen, die keine Partikel-Emissionen verursachen, sind bis heute nicht in Sicht, sagte ein Michelin-Sprecher. Eine andere Lösung: In die Abflüsse an Straßenkreuzungen sollen spezielle Filter eingesetzt werden, damit die Partikel nicht ins Abwasser gelangen.
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E-Autos: Eine tadellose Öko-Bilanz erst, wenn das Batterie-Recycling kommt
Kaum eine Öko-Bilanz sorgt aktuell für mehr Debatten als die von batteriebetriebenen Autos und Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Ende des vergangenen Jahres kam eine Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zu dem Ergebnis: Die Nutzung eines Elektroautos ist erst dann klimaschonender als die eines Verbrennerautos, wenn es 65.000 Kilometer hinter sich hat. Allerdings nur dann, wenn das Fahrzeug mit Ökostrom geladen wird. Wird es hingegen mit dem üblichen Energiemix geladen, also auch mit Kohlestrom, so steigt diese Schwelle sogar auf mindestens 90.000 Kilometer, so der VDI.
Die Studie hatte die CO₂-Emissionen beim Fahren und Aufladen oder Tanken, aber auch die bei der Produktion des Autos, der Motoren und der Batterien entstehenden Emissionen verglichen. Demnach stößt ein Elektroauto in seinem Lebenszyklus 24,2 Tonnen CO₂ aus, bei einer Laufleistung von 200.000 Kilometern. Bei einem Diesel-Pkw seien es auf der gleichen Strecke 33 Tonnen CO₂ aus, bei einem Benziner 37 Tonnen.
Langfristig würden sich E-Autos bei der Öko-Bilanz durchsetzen, so der VDI. Doch erst das Recycling und eine umweltschonendere Produktion der Batterie reduziere den ökologischen Fußabdruck und mache die E-Mobilität wirklich klimafreundlich.
Die Papiertüte: Klimaschädlicher als ein Plastikbeutel
Das würde wohl die Mehrheit der Verbraucher vermuten: Einweg-Papiertüten sind eine nachhaltige Alternative zu Plastiktüten. Das stimmt so nicht, ergab eine Studie des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). Das Problem der Papiertüte: Um stabiler und auch reißfest zu sein, ist die Papier-Alternative achtmal schwerer als die aus Plastik. Neben mehr Material müssten auch lange und chemisch behandelte Fasern verwendet werden, so der Nabu. Insgesamt ist die Herstellung von Zellulose für Papiertüten äußerst energie- und wasseraufwändig: Nabu und auch andere Studien gehen davon aus, dass eine Papiertüte aus frischen Fasern im Vergleich zu einer Plastiktüte viermal so viel Wasser verbraucht und etwa 3,3-mal so viel klimaschädliches CO₂ verursacht.
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Um in der Öko-Bilanz einen Vorteil gegenüber Plastikbeuteln zu erreichen, müsste eine Papiertüte mindestens viermal benutzt werden, ergab die Studie. Altpapier sollte man lieber für Produkte nutzen, auf die man nicht so gut verzichten kann wie auf eine Einwegtüte, rät der Nabu. Und: „Man sollte aus allen Einwegtüten eine Mehrwegtüte machen, indem man sie so lange wie möglich wieder benutzt.“
Das wiederum gilt in Sachen Umweltbilanz für die meisten Produkte.
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