Berlin. Die Rechtsaußen-Partei wird bei der Europawahl zweitstärkste Kraft. Gleichwohl gelingt es ihr nicht, ihr Wählerpotenzial auszuschöpfen.
An Selbstbewusstsein hat es ihnen noch nie gemangelt in der AfD. So gesehen waren die ersten Reaktionen auf den Ausgang der Europawahl am Sonntag wenig überraschend. „Jetzt ist das Spiel zu Ende und wir haben ein Super-Ergebnis eingefahren“, sagte Parteichef Tino Chrupalla am Sonntagabend. Die „großen Krokodilstränen“ flössen jetzt bei den anderen Parteien, nicht aber bei der AfD. Und Co-Chefin Alice Weidel sagte: „Wir sind stärkste Kraft im Osten. Es ist hoch erfolgreich gelaufen, weil die Leute insgesamt europakritischer geworden sind.“
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Die Alternative für Deutschland hat ein starkes zweistelliges Ergebnis eingefahren. Sie kam auf Platz zwei – hinter der Union, aber deutlich vor der Kanzlerpartei SPD. So stark wie jetzt war die AfD noch nie bei einer bundesweiten Wahl. Auch bei den Kommunalwahlen in acht Bundesländern dürfte sie vielerorts gute Ergebnisse eingefahren haben, insbesondere im Osten der Republik.
Europawahl: AfD kann kräftig zulegen und ihre Wählerbasis deutlich verbreitern
Ob das Ergebnis der AfD bei der Europawahl allerdings tatsächlich ein Triumph für die Partei ist oder sie sich im Stillen eingestehen muss, hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben zu sein, ist dabei nicht eindeutig zu sagen. Entscheidend ist, was man zum Maßstab nimmt.
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Bei der Europawahl vor fünf Jahren kam die Rechtsaußen-Partei auf elf Prozent der Stimmen und bei der Bundestagswahl 2021 auf etwas mehr als zehn Prozent. Gemessen daran konnte die AfD jetzt kräftig zulegen und ihre Wählerbasis deutlich verbreitern. Die AfD ist stärker als die beiden Ampel-Parteien SPD und Grüne, die ebenfalls zweistellig sind. Sie ist gekommen, um zu bleiben – ob das den Demokraten im Land gefällt oder nicht.
AfD-Chef Chrupalla: „Diese EU schadet deutschen Interessen“
Eine Partei, die die Europäische Union in ihrer heutigen Form ablehnt und schon laut über einen EU-Austritt Deutschlands nachgedacht hat, lehrt die anderen Kräfte bei der Europawahl das Fürchten. „Diese EU schadet deutschen Interessen“, meinte AfD-Chef Chrupalla unmittelbar vor der Wahl.
Nimmt man allerdings die Umfragen der vergangenen Monate zum Maßstab, dann zeigt sich, dass die Partei jetzt viele Sympathisanten doch nicht davon überzeugen konnte, das Kreuz tatsächlich bei ihr zu machen. Noch Anfang des Jahres gaben bei Meinungsumfragen deutlich mehr als 20 Prozent an, AfD wählen zu wollen – in Europa wie im Bund. Zeitweise war fast jeder vierte Wahlberechtigte in Deutschland bereit, der AfD seine Stimme zu geben.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist zur ernsthaften Konkurrenz geworden
Doch dann ging es abwärts. Zwei Faktoren waren dafür verantwortlich: Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist der AfD ein ernsthafter Konkurrent im populistischen Spektrum erwachsen. Das BSW versteht sich zwar im Gegensatz zur AfD als linke Partei. Aber es zielt zum Teil auf dieselbe Klientel von Protestwählern, insbesondere im Osten Deutschlands. Es gibt auch inhaltlich viele Schnittmengen, etwa die ausgeprägte Grund-Sympathie für Russland.
Hinzu kommt, dass sich in der AfD in den vergangenen Monaten Skandal an Skandal und Affäre an Affäre reihte. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass sich Neonazis und rechte Aktivisten konspirativ in einer Potsdamer Villa getroffen hatten, auch AfD-Kader waren dabei. Bei dem Treffen sollen unter dem Schlagwort „Remigration“ Pläne diskutiert worden sein, Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben. In der Folge kam es überall im Land zu großen Demonstrationen gegen Rechts.
Im Europa-Wahlkampf wiederum ging es bei der AfD drunter und drüber: Ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah steht wegen seiner Russland- und China-Nähe in der Kritik. Die Justiz prüft, ob es zu Geldzahlungen gekommen ist. Ein langjähriger Mitarbeiter Krahs sitzt wegen Spionageverdachts für China in Untersuchungshaft. In Brüssel rückten Fahnder an, um Büros im Europaparlament zu durchsuchen.
Europaparlament: Europas Rechtsnationalisten wollen von der AfD nichts mehr wissen
Ende Mai setzte die rechte ID-Fraktion im Europaparlament der AfD den Stuhl vor die Tür. Europas Rechtsnationalisten sind die Deutschen inzwischen zu rechts: Krah hatte zuvor in einem Interview gesagt, dass nicht alle Mitglieder der nationalsozialistischen SS kriminell gewesen seien. Das brachte insbesondere den französischen Partner Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen in Wallung.
Die Führung der AfD erteilte Spitzenkandidat Krah ein Auftrittsverbot im Europawahlkampf, zumindest in seiner Heimatstadt Dresden setzte sich der 47-Jährige aber darüber hinweg. Sein Name stand am Sonntag unverändert auf den Wahlzetteln. Das gilt auch die Nummer 2 der Europa-Liste, den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Gegen ihn ermittelt die deutsche Justiz wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit. Bystron steht im Verdacht, Schmiergeld aus Russland kassiert zu haben. Von einem möglichen Mandatsverzicht der beiden ist nichts bekannt. Bei der Wahlparty in Berlin am Sonntagabend standen die beiden nicht auf der Bühne.
Ebenfalls im Mai war der Chef des rechtsextremen Landesverbands Thüringen, Björn Höcke, wegen der Verwendung einer Nazi-Parole zur Zahlung einer Geldstrafe verteilt worden. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Oberverwaltungsgericht Münster wiederum entschied, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten darf.
Bei allen anderen Parteien hätte vermutlich jeder einzelne dieser Vorgänge dazu geführt, dass sich die Wähler in Scharen abwenden. Bei der AfD hingegen scheint das nicht der Fall zu sein. Ihr gelingt es weiterhin, im großen Umfang die Wähler zu mobilisieren. Viele von ihnen dürften das Gefühl haben, mit ihrer Stimme der Berliner Ampel-Koalition einen Denkzettel zu verpassen.