Berlin. Die BSW-Gründerin ist Underdog, Mediengestalt – und der perfekte Gegenentwurf zur angeblichen Politkaste. Das erinnert sehr an die USA.
Für Frauen sind andere Frauen bekanntlich die härtesten Kritiker: Das gilt nicht nur für private Mädelsabende, sondern auch im Bundestag. Als Sahra Wagenknecht kürzlich bei „Maischberger“ zum Ukraine-Schlagabtausch gegen Bundestagsvize Katrin Göring-Eckardt geladen war, schrieb die fraktionslose Abgeordnete Joana Cotar auf X: „Ja, Kleidung macht einen Unterschied.“ Es war gedacht als eine Spitze gegen die Grüne Göring-Eckardt, die in Turnschuhen und Bomberjacke neben Wagenknecht saß – letztere wie gewohnt im schicken Kostüm und Absatzschuhen.
Substanzieller wurde Cotar, die 2022 aus der AfD austrat, nicht. Geht auch gar nicht, denn politisch ist Wagenknecht eine Blackbox. Und niemand weiß, was sich darin verbirgt. So richtig links war sie jedenfalls selbst bei der Linken nie – und die 54-Jährige als rechts zu bezeichnen, fiele bestenfalls Rechtsextremist Gernot Mörig ein, der ihr eine Zeit lang „nette Mails“ schrieb. Doch die Brieffreundschaft endete abrupt, als Wagenknecht bei „Markus Lanz“ erfuhr, „dass das ein Rechtsradikaler ist“. Sie selbst sieht sich als linkskonservativ.
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Was genau das heißen soll und wohin Wagenknecht mit ihrer Partei steuert, ist jedoch auch Monate nach der Gründung vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) kaum berechenbarer geworden. Was aber stabil bleibt, sind die Kostüme der Parteigründerin. Nicht wenigen ihrer Anhänger schenkt das ein Gefühl von Sicherheit. Und manchen reicht das für eine Wahlentscheidung womöglich völlig aus. Der Politologe und Professor für Internationale Politik an der Universität Köln, Thomas Jäger, sieht darin eine deutliche Parallele zu einer anderen Figur des Weltgeschehens: Donald Trump.
Wagenknecht und Trump: Einzelkämpfer ohne Agenda
Auch der Ex-Präsident lässt sich auf keine klare politische Agenda festlegen. Stattdessen tut er das, was seine Anhänger von ihm erwarten. Er beschimpft alles und jeden, auch frühere Verbündete – und wehrt sich schon gegen den geringsten Anschein, er selbst könnte Teil einer etablierten politischen Klasse sein. So macht es auch Wagenknecht. Beide verkaufen sich als Einzel- und Vorkämpfer – und betrachten ihre Parteien eher als notwendiges Anhängsel.
Es gibt nur einen Unterschied: Während Trump die „Grand Old Party“ erfolgreich gekapert und unterworfen hat, gründete Wagenknecht einfach eine neue. Insbesondere bei enttäuschten Wählerinnen und Wählern kommt das an. Doch das Politik-Unternehmertum, wie Jäger es nennt, hat einen entscheidenden Nachteil: Wahlkämpfe sind teuer, in den USA noch mehr als hierzulande – und für eine Ein-Personen-Partei ist das erste Verkaufsargument das eigene Gesicht.
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Trump hat sich deshalb Freunde in der Wirtschaft gemacht – einer davon ist der milliardenschwere Hedgefonds-Manager John Paulson, der Anfang April bei einer Gala in seiner Villa in Palm Beach 50 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden für den Präsidentschaftskandidaten einsammelte. Trump sähe ihn im Falle einer zweiten Amtszeit gern als seinen Finanzminister. Auch Wagenknecht hat solvente Gönner. Lotte Salingré und Thomas Stanger aus Wismar überwiesen dem BSW insgesamt fünf Millionen Euro – ein Betrag, von dem selbst etablierte Parteien nur träumen können.
Trump entkernt seine Partei, Wagenknecht macht Auslese
Natürlich sind Großspenden von Millionären nichts Neues – weder in den USA noch in Deutschland. Doch wer heute solche Summen spendet, der tut das für Trump und Wagenknecht, nicht für die Republikaner oder das BSW. Beide dominieren ihre Parteien nach innen und außen. Während Trump seine parteiinternen Kritiker weitgehend entmachtet oder mundtot gemacht hat, umgibt sich Wagenknecht im BSW ausschließlich mit Gefolgsleuten. Und daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern. Neumitglieder werden ausgewählt. Allzu viel inhaltliche Reibung ist unerwünscht.
Programm und Partei sind ganz bewusst auf Wagenknecht zugeschnitten. Ebenso wie Trump erfüllt auch sie die Sehnsucht einiger Wählerinnen und Wähler nach einer Führungsfigur. Das erklärt zum Teil auch die größere Sympathie für beide Politiker in Ost- als in Westdeutschland, wo sich laut einer Studie der Uni Leipzig aus dem vergangenen Jahr fast jeder Dritte „eine starke Führung wünscht, der er sich unterordnen und an deren Stärke er durch Identifikation teilhaben kann“.
Über Inhalte sprechen – lieber mit den Medien als der Partei
Den Erfolg von Trump und Wagenknecht ganz entscheidend geprägt hat allerdings ihr Umgang mit den Medien. Während der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten bis zu seiner Sperre 2021 vor allem Twitter nutzte, um sich seinem Publikum ungefiltert mitzuteilen, hat Wagenknecht über die Jahre eine stattliche Zahl an Talkshow-Auftritten absolviert. Ihren YouTube-Kanal abonnieren inzwischen 665.000 Nutzer, der Kanal der Bundesregierung bringt es gerade einmal auf rund 60.000.
Auch nach seiner Abwahl hat Trump ein mediales Grundrauschen, um seine Person aufrechterhalten – wohlgemerkt ohne in irgendeiner Form konstruktive Oppositionsarbeit zu leisten. In den Augen vieler Wählerinnen und Wähler blieb er dennoch eine Konstante (allein wegen seiner diversen Justizverfahren). Davon profitiert er jetzt in den Umfragen. Sichtbar zu bleiben, ist ein hohes Gut im politischen Geschäft. Auch Wagenknecht hat das über einen langen Zeitraum geschafft. Viele ihrer Anhänger sind ihr loyal verbunden, oft seit Jahren schon. Nun können sie „die Sahra“ erstmals auch wählen.
Für Jäger ist die „personenzentrierte Partei als Medienereignis“ ein neues Phänomen im deutschen Parteiensystem – und eines, das mit Blick auf die USA nicht unproblematisch werden könnte. Zwar führt Wagenknecht das BSW weit weniger erratisch als Trump seine Republikaner. Doch Parteien aus Gefolgsleuten, die sich bereitwillig um ihre Führungsfigur scharen, bergen das Risiko, nicht mehr als Korrektiv, sondern als Multiplikator einer Spitze zu wirken, der die Bodenhaftung entgleitet.
Name | Sahra Wagenknecht |
Geburtsdatum | 16. Juli 1969 |
Partei | ehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht |
Parteimitglied seit | 1989 (SED) bis 2023 (Die Linke) |
Familienstand | verheiratet, keine Kinder |
Ehemann | Oskar Lafontaine |
Wohnort | Merzig (Saarland) |