Wien. Sexualisierte Gewalt durch russische Soldaten gehört zur Kriegsführung in der Ukraine. Menschenrechtler wollen das System durchbrechen.

Sexualisierte Gewalt, besonders Vergewaltigung, ist fester Bestandteil der Kriegsführung in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine. Die Opfer sind Zivilisten, Kriegsgefangene, Männer, Frauen, Kinder. Über den komplizierten Umgang mit einem schwierigen Thema.

Es war ein knapper Mitschnitt eines Telefonats aus den ersten Monaten nach der russischen Invasion 2022: Ein russischer Soldat berichtet vom Armee-Alltag in der Ukraine. Von den Plünderungen und den „Schwachköpfen“, mit denen man seinen Spaß haben könne. Und er erzählt von seiner Freundin: Die habe ihm „viel Spaß“ gewünscht – und ihn ermahnt, bloß nicht ungeschützt zu vergewaltigen. „Ja, freilich“, sei seine Antwort darauf gewesen. Als ginge es darum, einen Sicherheitsgurt im Auto anzulegen. Die „Schwachköpfe“, das sind die Bürger der Ukraine. Und die Vergewaltigungen, sie gehören zur russischen Armee wie das Plündern und Morden.

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Vergewaltigungen in der Ukraine: „Die Menschen sind noch nicht bereit, solche Fälle zu melden“

Sexualisierte Gewalt hatte innerhalb des russischen Unterdrückungsapparats in den besetzten Gebieten von Anfang an Methode. „Wir gehen nicht davon aus, dass es sich hier um isolierte Fälle handelt“, so Khrystyna Kit von JurFem. Die Hilfsorganisation kümmert sich vor allem um Rechtsbeistand für Opfer sexualisierter Gewalt.

Aktuell betreut JurFem 30 Fälle. Vor den ukrainischen Gerichten laufen 292 Verfahren. Doch das ist nur die Spitze eines riesigen Eisberges. Denn damit die Fälle überhaupt bekannt werden, müssen die Opfer überleben und auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet gelangen. Zudem müssen die Täter identifiziert werden können und die Opfer bereit sein, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn sie überhaupt in der Lage sind, ein Verfahren durchzustehen.

Khrystyna Kit
Khrystyna Kit von JurFem unterstützt Opfer von sexualisierter Gewalt. © jurfem.ua | jurfem.ua

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„Die Menschen sind noch nicht bereit, solche Fälle zu melden“, sagt Khrystyna Kit. Die Gründe liegen auf der Hand: Es sei die Angst um ihr Leben und das Leben der Angehörigen, die in den besetzten Gebieten leben. „Sie befürchten, dass die russischen Soldaten zurückkommen und sich rächen werden.“ Hinzu komme die Scham. „Das ist generell ein sehr kompliziertes Thema“, sagt Khrystyna Kit. Das Thema an sich sei ein großes Tabu. „Viele machen sich Sorgen, dass man letztlich als Opfer beschuldigt wird.“

Ukraine: Auch die UN haben massive Menschenrechtsverstöße beobachtet

Die Helferin beobachtet viele Parallelen in den Fällen – für sie ein Zeichen, dass Gewalt und Missbrauch gegenüber der Zivilbevölkerung zur Kriegsführung gehören. So komme es bei Hausdurchsuchungen zu Vergewaltigungen, denen andere Familienmitglieder zusehen müssten. Auch bei Verhören würden sexuelle Gewalt und Folter eingesetzt. Khrystyna Kit beschreibt, wie grausam dabei vorgegangen werde: Elektroschocks an Genitalien und Vergewaltigungen – auch mit Gegenständen. Priorität hätten ehemalige Angehörige der ukrainischen Armee und Familien aktiver Soldaten.

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Auch die UN haben massive Menschenrechtsverstöße beobachtet. So werden im „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine“ Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt als fester Bestandteil der russischen Vorgehensweise und Foltermethoden geschildert. „In einigen Fällen kamen Vorfälle sexueller Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, ebenfalls der Folter gleich“, erklärt Kommissionsvorsitzender Erik Mose auf Anfrage.

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Im Krisenmodus

Geschildert werden im UN-Bericht Fälle wie dieser: Zwei russische Soldaten brechen in ein Haus ein und vergewaltigen abwechselnd eine 42-jährige, im dritten Monat schwangere Frau sowie die 17-jährige Freundin ihres Sohnes. Anschließend kehren die Soldaten mit dem Sohn der Frau zurück, bringen alle drei in ein Zimmer und vergewaltigen erneut abwechselnd die Frau und das Mädchen, während der Sohn gezwungen wird, den Vergewaltigungen beizuwohnen. Dann geben sie zwei Schüsse in der Nähe des Kopfes des jungen Mannes ab. Später bringen die Täter die drei Opfer in ein leeres Haus, bedrohen den jungen Mann mit einem Messer und vergewaltigen die Frau und das Mädchen erneut.

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Experte über Gewalt durch russische Soldaten: Die Angst ist begründet

Die Opfer dieser „Hausdurchsuchungen“ seien Frauen und Mädchen im Alter von 4 bis 83 Jahren, sagt der UN-Menschenrechtsexperte. Oft seien die Täter alkoholisiert. Besonders gefährdet seien sehr alte, sehr junge oder behinderte Personen sowie alleinerziehende Mütter. Aber laut UN-Erkenntnissen sind auch immer wieder Männer und Jungen direkt betroffen. Die Berichte hätten sich noch nicht verifizieren lassen, sagte Pramila Patten, die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt im Krieg. Für männliche Überlebende, sagte Patten, könne es besonders schwierig sein, die Verbrechen anzuzeigen. Es müsse sichere Anlaufstellen für die Opfer geben, um die Taten anzuzeigen.

Das zweite Standardszenario für sexualisierte Taten sind Verhöre. Meist sind Kriegsgefangene die Opfer, aber auch Zivilisten, die ohne jede rechtliche Grundlage festgehalten würden. Laut Mose geht es vor allem darum, sie mit sexualisierter Gewalt zu erniedrigen, sie gefügig zu machen, ihnen Informationen zu entlocken oder sie zu bestrafen. Oft seien die Opfer den Tätern über einen langen Zeitraum komplett ausgeliefert – ohne Rechtsbeistand. Unabhängige Beobachter hätten keinen Zugang. Wo die Menschen festgehalten werden, sei unbekannt: Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) hat zu russischen Einrichtungen anscheinend so gut wie keinen oder nur sehr beschränkten Zugang. OSZE-Experten gehen von 30.000 bis 40.000 Betroffenen aus.

Bei der juristischen Aufarbeitung der Fälle macht Menschenrechtsanwalt Erik Mose ähnliche Erfahrungen wie Khrystyna Kit von der Hilfsorganisation JurFem. Die Angst vor Stigmata, Scham und vor allem schlicht die Angst ums eigene Leben und das der Angehörigen hielten die Opfer davon ab, die Gewalt, die sie erfahren haben, zu melden. Die Angst sei begründet, sagt Mose: „In einem Fall, den die Kommission dokumentierte, wurden das Opfer und ihr Ehemann von russischen Soldaten erschossen, nachdem sie das Verbrechen angezeigt hatten.“

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Russische Soldaten in der Region Cherson: Die Armeeangehörigen Putins foltern, missbrauchen und vergewaltigen Frauen in den besetzten Gebieten der Ukraine. © picture alliance/dpa/TASS | Alexei Konovalov

Ukraine im Krieg: Die Opfer brauchen massive Unterstützung

Aber auch das ukrainische Rechtssystem erschwere den Umgang mit dem Thema, sagt Khrystyna Kit. Bisher seien solche Taten als ganz normale Kriminalfälle behandelt worden, mit all den damit einhergehenden Verfahrensrichtlinien. Also: Befragungen, Kreuzverhöre, Aussagen im Zeugenstand. JurFem versucht jetzt, den Opferschutz voranzutreiben. Das zeigt erste Erfolge: Mittlerweile gelten neue Richtlinien für solche Fälle für Polizei- und Ermittlungsbeamte. Ermittler wurden im Umgang mit Opfern solcher Taten geschult. Und auch die Verfahrensrichtlinien wurden erst unlängst abgeändert. So kann das Gericht mittlerweile anonymisierte Videoaussagen von Opfern anerkennen.

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Doch abgesehen von der juristischen Aufarbeitung: Die Opfer brauchen massive Unterstützung wie eine neue Unterkunft, da sie ja aus den besetzten Gebieten geflohen sind, und medizinische sowie psychologische Versorgung. Oft seien die Opfer daher gar nicht arbeitsfähig. Aktuell würden die Kosten für Leistungen von internationalen Geldgebern gedeckt. Was Khrystyna Kit aber anmahnt, ist ein Rechtsanspruch auf solche Unterstützungen.

Immerhin aber, sagt sie, sei es inzwischen leichter, über sexualisierte Gewalt zu sprechen, als zu Beginn des Krieges. Zugleich habe sich auch das ukrainische Rechtssystem reformbereit gezeigt. Khrystyna Kit fasst zusammen: „Unter dem Strich ist ein Prozess im Gange.“