Düsseldorf. Wurde das Cannabis-Gesetz mit heißer Nadel gestrickt? Der Schutz von Kitas und Schulen scheint offenbar kaum möglich zu sein.
In NRW reißt die Kritik am Cannabis-Gesetz nicht ab. Viele Städte kritisieren die Teil-Legalisierung der Droge scharf, denn sie halten die neuen Vorschriften für unkontrollierbar.
„Das jetzt in Kraft getretene Cannabis-Gesetz mit seinen Detailregeln ist eine enorme Herausausforderung für die Sicherheitsbehörden. Das Land muss jetzt schnellstmöglich für Klarheit sorgen, wie die Sperrkreise um Kitas, Schulen und Spielplätze in NRW anzuwenden sind und sich dafür mit den Kommunen abstimmen“, sagte Stefan Hahn, Beigeordneter des Städtetages NRW, dieser Redaktion. Hahn befürchtet, der Jugendschutz könne im Zuge des Cannabis-Gesetzes unter die Räder kommen.
Cannabis-Gesetz: Kommunen sehen noch viele Fragezeichen
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund erwartet von den Ländern Informationen über die Anwendung der Vorschriften. „Für das Vertrauen in den Staat ist es wichtig, dass gesetzliche Regelungen stets so ausgestaltet werden, dass sie kontrollierbar und nachvollziehbar sind. Hier sehen wir beim Cannabis-Gesetz noch deutliche Defizite, kritisierte Verbands-Hauptgeschäftsführer André Berghegger.
Die Städte wüssten zum Beispiel nicht, wie sie die Einhaltung der Abstandregeln zu Schulen, Kitas oder Sportstätten kontrollieren sollen, oder die Regeln für die ab dem 1. Juli gestatteten Anbauvereine. Berghegger befürchtet eine Überlastung der Ordnungsämter. Die seien personell heute schon am Limit.
Gewerkschaft der Polizei NRW hält Cannabisgesetz für „praktisch unkontrollierbar“
Nicht nur in den Stadtverwaltungen, auch in den Polizeiwachen ist die Irritation über das Gesetz groß. „Die Regeln aus dem Cannabisgesetz sind aus polizeilicher Sicht praktisch unkontrollierbar. Bei diesem Gesetz ging Schnelligkeit vor Gründlichkeit, daher gibt es im Moment viel mehr Fragen als Antworten“, sagte der NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, dieser Redaktion. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen den Bund: „Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Unkontrollierbarkeit des Gesetzes politisch gewollt ist“, sagte er.
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Für die Verkehrssicherheit sei das Cannabisgesetz auf jeden Fall ein „Schlag ins Gesicht“, warnt der GdP-Landeschef. Es sei damit zu rechnen, dass die Hemmschwelle, Cannabis zu konsumieren, bei Verkehrsteilnehmern weiter sinke. Zum Thema Cannabis am Steuer hatte sich schon die Bochumer Verkehrspolizei prägnant geäußert: „Wir gehen vom Schlimmsten aus“, sagte Polizeidirektor Frank Nows, und er kündigte an: „Wir werden verstärkt kontrollieren, definitiv.“
Freigabe, aber mit Einschränkungen
Seit dem 1. April ist der Besitz, private Anbau und Konsum von Cannabis für Erwachsene erlaubt. Es dürfen aber nicht mehr als 25 Gramm in der Öffentlichkeit mitgeführt oder mehr als 50 Gramm zu Hause aufbewahrt werden. Drei Pflanzen im Wohnbereich sind gestattet. Für den Konsum in der Öffentlichkeit gilt: Nicht in der Nähe von Kindern und Jugendlichen, Schulen, Kitas, Spiel- und Sportplätzen und tagsüber nicht in Fußgängerzonen.
Cannabis-Legalisierung: Wo bleibt das Regelwerk für die Städte und Gemeinden?
Seit Ostermontag ist Kiffen in Deutschland also teilweise legal. In Rathäusern und Polizeiwachen in NRW wächst aber die Kritik an dem, wie es dort oft heißt, „unausgereiften“ Cannabis-Gesetz. Denn die Vorschriften des Bundes für den Konsum seien nur auf den ersten Blick klar und logisch, und die Länder hätten noch keine Regeln, an denen sich die Städte orientieren könnten.
„Im Moment gibt es viel mehr Fragen als Antworten“, sagte der NRW-Vorsitzende der Polizeigewerschaft GdP, Michael Mertens dieser Redaktion. Einige der offenen Fragen, die er nennt, klingen kurios oder amüsant, aber dahinter verbergen sich ernste rechtliche Unklarheiten, die noch viele Polizistinnen und Polizisten, Anwältinnen und Anwälte sowie Gerichte beschäftigen dürften.
Michael Mertens (GdP): „Wir werden keinen Schutzkreis um Schulen und Kitas ziehen können“
„Wie sollen die Abstandsregeln kontrolliert und sanktioniert werden?“, fragt Mertens. Anwohner wüssten, ob eine Schule oder eine Kita in der Nähe ist, Gäste aus anderen Städten oder Ländern wüssten das nicht. „Wie ist ihre Unwissenheit rechtlich zu bewerten, wenn sie mit Cannabis erwischt werden? Und: Muss Cannabis dann sichergestellt werden oder nicht?“, fragt der Gewerkschafter weiter.
Die Polizei werde jedenfalls keinen Schutzkreis um alle Schulen und Kitas in NRW ziehen können. Sie wisse nicht einmal, ob sie im Umfeld einer Schule ohne konkreten Anlass auf Cannabisbesitz kontrollieren dürfe, so wie in einer Waffenverbotszone das Mitführen von Waffen.
Offen sei auch, ob das Cannabis-Verbot in der Nähe von Schulen auch in den Ferien und nachts gelte. „Und was ist mit dem Anwohner, der neben einer Schule wohnt und in seinem Garten einen Joint raucht oder Cannabis-Pflanzen kultiviert? Macht der sich strafbar oder nicht?“
Konsum und Anbau von Cannabis sind in Deutschland nun zwar legal, es gelten aber viele Einschränkungen. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen darf etwa nur im Privatbereich oder außerhalb der Sichtweite von Schulen, Kitas und Kinderspielplätzen gekifft werden. Anstelle von Coffeeshops wie in den Niederlanden, Kanada und einzelnen US-Staaten ist der Vertrieb hierzulande sogenannten „Anbauvereinigungen“ vorbehalten.
Fußball-Europameisterschaft: Kommen die Fans aus dem Ausland auch zum Kiffen nach Deutschland?
Der Verkauf und der Kauf von Cannabis bleiben also in Deutschland weitgehend illegal. Viele Cannabis-Konsumenten dürften weiter beim Dealer an der Ecke kaufen oder Cannabis aus dem Ausland mitbringen, glaubt die GdP. Noch etwas treibt Mertens um: „Im Sommer werden zur Fußball-Europameisterschaft Fans aus 23 Nationen nach Deutschland einreisen und einige von ihnen werden hier Cannabis konsumieren, weil sie erfahren haben, dass das nun legal sei. Wie sollen Polizisten das kontrollieren?“ Die wenigsten kiffenden Fußballfans dürften sich in die Feinheiten der deutschen Cannabis-Vorschriften einlesen, so die Prognose.
Im Grunde, erklärt der GdP-Landesvorsitzende, müsste jetzt jeder Streifenwagen mit einer Feinwaage ausgestattet werden, um Cannabis-Mengen zu prüfen. Was aber ist, wenn jemand mehr Cannabis dabeihat als erlaubt? Die Polizei wisse nicht, ob sie dann nur die Menge über dem Grenzwert sicherstellen solle, die gesamte Menge, oder ob eine Anzeige reiche?
Im Falle einer Verkehrskontrolle gäben die Testgeräte der Polizei nur Aufschluss darüber, dass ein Verkehrsteilnehmer Cannabis konsumiert habe, aber nicht, wie viel. Dazu sei eine Blutprobe nötig, aber hier stelle sich wiederum die Frage nach der Verhältnismäßigkeit.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) platzte vor der Verabschiedung des Gesetzes der Kragen, weil er ahnte, dass die Sicherheitskräfte Probleme mit den Kontrollen haben würden. „Ich habe keine Lust, meine Polizisten mit so einem Scheiß zu beschäftigen“, sagte er in der ARD.
Cannabis-Legalisierung: Die Unsicherheit der Städte
Auch in den Stadtverwaltungen im Ruhrgebiet herrscht noch Ratlosigkeit beim Thema Cannabis. Ihnen fehlt die eine Anleitung zum Umgang mit der neuen Freiheit.
„Wir müssen noch Regelungen des Landes abwarten, bevor in Gänze klar ist, wer in welchen Fällen bei Verstößen gegen die Cannabis-Vorschriften zuständig ist“, erklärt ein Sprecher der Stadt Gelsenkirchen. Das Cannabis-Gesetz sei zwar schon in Kraft, seine Auswirkungen auf die Verwaltung aber noch nicht absehbar, und die Handlungsmöglichkeiten der Stadt seien noch stark eingeschränkt.
Dortmund erinnert auf ihrer Homepage daran, dass sich die Stadt schon früh für einen „liberaleren Umgang mit Cannabis“ eingesetzt habe. Dass sie bei Verstößen gegen das Gesetz durchgreifen werde, deutet sie aber auch an: Ordnungsamt und Polizei würden auf die „Respektierung der Verbotszonen achten“, aufklären und – bei Bedarf – Ordnungswidrigkeiten verfolgen.
Auch die Justiz hat noch viele Fragen rund um das Gesetz. Der Bochumer Staatsanwalt Gabriel Klus sagte, vieles sei zwar noch nicht absehbar. Allerdings gehe man davon aus, dass künftig wegen kleiner Mengen Cannabis weniger Anklagen erhoben und Strafbefehle verhängt würden als bisher.
Weniger Arbeit durch das neue Gesetz sieht diese Staatsanwaltschaft allerdings nicht auf sich zukommen. Denn nach wie vor müssten alle Einzelfälle geprüft werden, ob sie von der Teil-Legalisierung betroffen seien . (mit dpa)