Berlin. Die Taurus-Debatte tobt weiter. Experte Masala zerlegt die Logik des Bundeskanzlers – und geht hart mit einem SPD-Mann ins Gericht.

Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München – und beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.

Herr Masala, der Papst hat der Ukraine geraten, die „weiße Flagge“ zu hissen. Was würden Sie ihm dazu sagen, wenn Sie ihn jetzt treffen würden?

Carlo Masala: Ich würde ihn fragen, ob er die Lehre vom gerechten Krieg von Thomas von Aquin vergessen hat.

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Darin ist unter anderem ein gerechter Grund für den Krieg verlangt – die mit Krieg Überzogenen müssen eine Schuld auf sich geladen haben, und die Kriegführenden müssen die Absicht haben, „das Gute zu mehren“ …

Ja. Eine Antwort würde ich vom Papst nicht erwarten.

Die Ukraine hat am Dienstag einen der bisher folgenschwersten Drohnenangriffe auf russisches Territorium geflogen. Wie bewerten Sie die Angriffe?

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    Das ist die Fortsetzung dessen, was wir schon seit einigen Monaten beobachten können: Angriffe auf kritische Infrastruktur in Russland, insbesondere Öl-Infrastruktur. Die Angriffe werden deshalb jetzt intensiviert, weil die Ukraine mehr Drohnen im eigenen Land produziert und damit mehr zur Verfügung hat. Ein neues Element ist das allerdings nicht. Was erstaunlich ist: Man trifft dabei Ziele, die 700 Kilometer von der Grenze entfernt sind. Das deutet darauf hin, dass die technische Entwicklung bei den Drohnen sehr gut vorankommt.

    Wie blicken Sie in den vergangenen Tagen auf die Lage an der Front?

    Im Osten ist sie weiterhin kritisch, bedingt durch Munitionsmangel und personelle Probleme. Die Ukrainer versuchen zwar, den Raum zu halten, aber bei einer Artillerie-Überlegenheit von 1 zu 8, je nachdem wie man zählt, werden die Ukrainer etliche Stellungen aufgeben müssen, um Personal zu schonen. Wir wissen, dass ihre Brigaden teilweise personell entkernt sind. Die Ukrainer müssen versuchen, befestigte Verteidigungsanlagen zu bauen, aus denen heraus sie die Verteidigung dann weiter betreiben können. Ansonsten werden sie gezwungen sein, immer mehr Territorium im Donbass aufzugeben.

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    Putin hat seinen Marine-Chef entlassen, die Lage rund ums Schwarze Meer ist schlecht.

    In der Tat ist es der Ukraine gelungen, den Russen die Kontrolle über das Schwarze Meer zu entreißen. Die ukrainische Getreideproduktion ist jetzt wieder auf dem Stand wie vor dem Krieg. Gleichzeitig sind viele Schiffe der Schwarzmeerflotte von den Ukrainern versenkt worden. Insofern kann ich nachvollziehen, dass Putin den Marine-Chef entlässt. Schließlich wurde Russland da aus russischer Sicht ein großer Schaden zugefügt.

    Für wie weit halten Sie die Ukraine bei der Entwicklung der Drohnen, aber auch bei militärischem Gerät allgemein?

    Schwer zu sagen. Was die Ukrainer noch immer nicht können, ist elektronische Kriegsführung. Da sind die Russen besser. Die Ukrainer intensivieren ihren Schwerpunkt mit Blick auf die Drohnen. Von der primitiven bis hin zur hoch entwickelten Drohne ist aber alles dabei.

    Am Freitag tagen Deutschland, Frankreich und Polen als „Weimarer Dreieck“ in Berlin. Welche Ergebnisse erwarten Sie?

    Am Donnerstag kommt zunächst einmal Macrons Rede an die Nation. Da wird es sicherlich auch um die Ukraine gehen. Keine Frage, es ist gut, dass das Weimarer Dreieck zusammenkommt. Aber natürlich sind die Unterschiede im Moment bei allen drei Staaten mit Blick auf die Ukraine relativ groß. Ob von dem Treffen jetzt ein Impuls für die weitere europäische Unterstützung der Ukraine ausgehen kann? Da bin ich skeptisch.

    Sie halten das scholzsche Verhalten mit Blick auf seine Taurus-Absage für in Teilen innenpolitisch begründet. Hat sich an Ihrer Einschätzung etwas geändert?

    Ich glaube weiterhin, dass ein großer Teil dieser ganzen Taurus-Debatte reine deutsche Innenpolitik ist – auch wenn Kevin Kühnert sagt, das sei zynisch. Dann muss er sich nur mal seine eigene Partei angucken und wie sie reagiert. Wir sehen, wie sich in der SPD dieser Spin vom Friedenskanzler verstärkt, der uns nicht in den Krieg hineinzieht. Dieses Argument – wenn jemand anders Kanzler wäre, wären wir schon längst Kriegspartei –, das zielt natürlich auf die CDU, die am Donnerstag erneut einen Antrag auf Taurus-Lieferung in den Bundestag einbringen wird. Das alles passiert mit Blick auf die kommenden Wahlkämpfe.

    Was denken Sie eigentlich über Rolf Mützenich?

    Ich möchte dazu nur eines sagen: Wenn Sie seine Doktorarbeit lesen, die etwa Ende der 1980er-Jahre verfasst wurde, stellen Sie fest, dass Rolf Mützenich eine unglaubliche Kontinuität in seinem Denken hat. Das können Sie jetzt positiv oder negativ bewerten.

    Großbritannien und Frankreich liefern schon seit vergangenem Sommer Marschflugkörper. Scholz argumentiert weiterhin mit der Sorge, Deutschland könne Kriegspartei werden. Haben die Briten und Franzosen weniger Angst als wir?

    Die brauchen zunächst einmal nicht die Zustimmung des Parlaments und können deshalb entsenden, was sie wollen. Scholz hat nach den Taurus-Leaks gesagt, es gehe ihm darum, die Kontrolle zu behalten. Wenn er das will, braucht er bei einem Einsatz in der Ukraine ein Bundestagsmandat, weil es ein Auslandseinsatz ist. Er hat die Befürchtung, dass irgendeine Partei vor das Bundesverfassungsgericht zieht, weil Deutschland mit dem Kontrollieren der Taurus von deutschem Boden aus als Kriegspartei gilt. Das will er nicht riskieren. Dabei ist selbst unter Staatsrechtlern umstritten, ob es ein Bundestagsmandat braucht, wenn die Kontrolle hier in Deutschland liegt. Natürlich: Wenn ein Bundeswehrsoldat in der Ukraine ist, braucht man ein Mandat. Das ist unstrittig. Scholz verweigert den Ukrainern die Taurus, weil er ihnen misstraut: Sie könnten die Geräte so verändern, dass sie doch gegen Ziele in Russland eingesetzt werden können. Es ist letztlich eine Risikoabwägung.

    Diese Ängste könnten Rishi Sunak und Emmanuel Macron genauso haben.

    Richtig. Aber in Scholz‘ Risikoabwägung geht die Sache anders aus.

    Warum hat Putin es dann nicht schon längst auf Frankreich und Großbritannien abgesehen?

    Ich versuche, den Kanzler aus seiner inneren Logik heraus zu erklären. Aber das ist schwer, weil es in dieser Logik sehr viele Brüche gibt. Eines muss man aber tatsächlich sagen: Bei einer entsprechend großen Lieferung ist der Taurus die beste Garantie dafür, dass die Brücke von Kertsch zerstört werden kann. Das kriegt man mit Storm Shadow und Scalp nicht so hin.

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    Das wäre völkerrechtlich völlig sauber, wie Sie schon einmal betont haben.

    Das wäre es. Aber wir befinden uns nicht in einem Krieg, in dem sich alle Kriegsparteien an völkerrechtliche Maßstäbe halten. Putin interessiert das Völkerrecht einen feuchten Kehricht.