Seoul. Feinde verfolgen, Kritiker diffamieren, Hass sähen. In dem ostasiatischen Land vollzieht sich, was schon in den USA zu beobachten war.
Es sollte ein Tag voller Stolz werden: Als die Absolventinnen und Absolventen der südkoreanischen Elite-Hochschule Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) ihre Abschlusszeugnisse erhielten, sprach der Präsident persönlich zu ihnen. Yoon Suk-yeol, der seit knapp zwei Jahren Südkorea regiert, lobte das Talent der Studenten, beglückwünschte sie für ihren Fleiß, wünschte ihnen Erfolg für eine Zukunft, die das ganze Land prägen soll. Dann schlug die Feststimmung in Unruhe und Gewalt um.
Einer der Studenten hatte den Präsidenten unterbrochen, war ihm laut rufend ins Wort gefallen – mit der Forderung, Yoon solle eine im Dezember beschlossene Kürzung öffentlicher Forschungsausgaben zurücknehmen. Ein inhaltlicher Austausch entstand daraus nicht. Das Sicherheitspersonal des Präsidenten griff sich den Studenten, hielt ihm den Mund zu, packte ihn an Armen und Beinen und trug ihn aus dem Saal. Inzwischen wurde Anzeige gegen die Bodyguards erstattet. Und das ostasiatische Land diskutiert: Kann der Präsident nicht mit Kritik umgehen? Ist gar die Demokratie in Gefahr?
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Schon bevor Yoon Suk-yeol im Mai 2022 Südkoreas Präsident wurde, war über seinen Führungsstil und Demokratieverhältnis gesprochen worden. Der 63-jährige Rechtspopulist war im Wahlkampf als Hardliner aufgefallen: Beifall holte sich Yoon aus anti-feministischen Kreisen, indem er mit der Abschaffung des Ministeriums für Geschlechtergleichheit warb. Seinen liberalen Kontrahenten Lee Jae-myung, den er letztlich hauchdünn besiegen sollte, hatte Yoon in die Nähe von Hitler und Mussolini gestellt und ihm mit rechtlicher Verfolgung gedroht.
Südkorea: Präsident versucht, Kritiker mundtot zu machen
Und als Yoon dann Präsident wurde, zeigte sich, dass ihn die Realität des Amtes kaum gemäßigt hat. Gegen den Oppositionsführer Lee Jae-myung hat Yoon, der zuvor als Generalstaatsanwalt gearbeitet hatte, ein Verfahren eingeleitet, das seinen ärgsten innenpolitischen Kontrahenten hinter Gitter bringen sollte. Einer der Vorwürfe lautete auf Korruption. Kritische Beobachter weisen aber darauf hin, dass dem Präsidenten nahestehende Personen, denen ähnliche Vorwürfe gemacht werden, von Verfolgung verschont geblieben sind. Die Strafverfolgung sei selektiv und politisch motiviert, betont der kritische TV-Sender Newstapa.
Die von der liberalen Demokratischen Partei (DP) angeführte Opposition hat Yoon vor diesem Hintergrund schon wiederholt als Diktator bezeichnet. Interessanter ist aber, dass die DP mit dieser deutlichen Formulierung nicht allein ist. Denn sie kommt auch aus den eigenen Reihen, etwa von Yoons Parteikollege Lee Jun-seok, den Yoon in der konservativen People’s Power Party (PPP) als Vorsitzenden verdrängt hat. Der inhaltliche Vorwurf lautet immer wieder: Wer Widerworte liefert, den sehe der Präsident als Gegner, den es zu bekämpfen gelte. Auch deshalb gilt Yoon als „Südkoreas Trump.“
So populistisch dieser Vergleich scheint, aus der Luft gegriffen ist er nicht. So hat Yoon – ähnlich wie der ehemalige US-Präsident – einen Kampf gegen kritische Berichterstattung erklärt, die er ebenso wie Trump „Fake News“ nennt. Wiederholt sind Redaktionen und Wohnungen kritischer Journalisten durchsucht worden. „Ich sehe ihn bis heute nicht wie einen Politiker“, sagt der Journalist In-bo von Newstapa, der über Yoon schon aus dessen Zeit als Staatsanwalt berichtet hat. Yoon verhalte sich kaum präsidial, so Shim, eher wie ein Scharfmacher.
Gesellschaftliches Klima: Hass und Hetze im Netz nehmen zu
Zusehends erkennen Beobachter auch einen Zusammenhang zwischen Yoons Art zu regieren und dem rauer werdenden politischen Klima im 55-Millionen-Einwohner-Land. Anfang des Jahres wurde Südkorea von zwei Angriffen auf führende Personen aus dem Politiksektor erschüttert: Kurz nach Neujahr ging ein Mann auf Oppositionsführer Lee Jae-myung mit einem Messer los, woraufhin der in die Notaufnahme eingeliefert werden musste. Drei Wochen später erlitt die PPP-Abgeordnete Bae Hyun-jin Verletzungen bei einem Angriff mit einem Stein durch einen Teenager.
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Im Netz hat die Zahl der Morddrohungen zugenommen. Und hier ist auch ein wichtiger Grund für die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft zu finden, glaubt die Journalistin Jeong Ji-hye. In Südkoreas von harschem Wettbewerb geprägter Gesellschaft, wo die Konkurrenz auf einem prekären Arbeitsmarkt zunimmt, kursieren im Internet misogyne und gewalttätige Narrative. „Hass und Internet sind hier die Stichwörter bei den jüngsten Vorfällen“, glaubt Jeong. Allerdings werde das brandgefährliche Klima im Netz durch Polemik in der Politik oft noch verschärft.
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Die Attentate im Januar hat Yoon Suk-yeol verurteilt, auch jenes auf seinen Gegner Lee. Zugleich fällt Yoon weniger dadurch auf, Gewalt im digitalen Raum zu bekämpfen als Kritik an seiner Person. So verklagte die Regierung auch schon den TV-Sender MBC, als dieser im Jahr 2022 darüber berichtet hatte, dass Yoon auf einem Besuch in den USA dortige Abgeordnete als Idioten bezeichnet hatte. Yoon hatte nicht bemerkt, dass die Mikrofone noch eingeschaltet waren. Doch anstatt kleinlaut zu werden, ging er in die Offensive. „Fake News gefährden die Demokratie“, hat er mehrmals betont.
Präsident Yoon zeigt fragwürdiges Verhältnis zur Demokratie
Was Fake News sind, will der Präsident am liebsten selbst entscheiden. Der Bericht der US-Regierung über Menschenrechte in Südkorea befand vor diesem Hintergrund: „Die Regierung und Personen der Öffentlichkeit nutzten Gesetze gegen Verleumdung, die auf allgemeine Weise Rufmord kriminalisieren, um die öffentliche Diskussion zu beschneiden und private sowie mediale Äußerungen zu unterbinden, einzuschüchtern oder zu zensieren.“
Den Eindruck, dass sein Verhältnis zur Demokratie fragwürdig ist, hat Yoon auch schon auf höchst symbolische Weise gemacht. Im vergangenen Jahr besuchte der Konservative das Grab von Park Chung-hee, der in Südkorea bis zu seinem Tod 1979 rund 18 Jahre als Militärdiktator herrschte. Ins Gästebuch trug sich Yoon Medienberichten zufolge mit Worten ein: „Eine große Zukunft, herbeigeführt von einem großen Anführer. Ich, gemeinsam mit dem Volk, werde nicht vergessen und das Erbe befolgen.“
Ob sich Yoon mit seinen Worten auf das hohe Wirtschaftswachstum unter Park bezieht oder die krassen Menschenrechtsverletzungen, ist unklar. Allerdings hat der Präsident wohl auch damit zur Spaltung der südkoreanischen Gesellschaft beigetragen. Jüngste Umfragen zeigen, dass noch 39 Prozent der Menschen mit seiner Arbeit zufrieden sind.
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