Manila. Der Bundesrepublik gehen die Pflegekräfte aus. Philippiner könnten die Lösung sein. Doch Rassismus und die AfD vermiesen das Image.
Jason Heinen gerät in letzter Zeit häufiger in Bedrängnis. Zum Beispiel vor gut zwei Wochen, als der Unternehmer eine Infoveranstaltung vor 120 Pflegekräften machte, die es sich grundsätzlich vorstellen konnten, für einen Job in Deutschland zu ziehen. Nur wollten die Interessierten verblüffend wenig über Arbeitsbedingungen, Vertragsrecht oder die Pünktlichkeit der Gehaltsauszahlung wissen. „70 Prozent der Fragen drehten sich um Rassismus“, erinnert sich Heinen. „Ich versuche dann natürlich, Deutschland möglichst positiv darzustellen.“ Aber das werde zusehends schwierig.
Jason Heinen ist Vermittler von Pflegekräften und arbeitet für das Unternehmen Saisy Germany. Als er vor sechs Jahren in diesem Job anfing, schien das Geschäft wie eine Goldgrube: In Deutschlands alternder Bevölkerung mangelt es akut an Arbeitskräften, insbesondere solchen, die in der Pflege arbeiten können. Bis 2030 dürfte eine halbe Million solcher Fachkräfte fehlen. Und Heinens Heimat Philippinen, dessen Bevölkerung von derzeit 114 Millionen jährlich um 1,5 Prozent wächst, bildet massiv Pflegekräfte aus. Die zwei Staaten haben einen Vertrag: Deutschland will mehr Filipinos.
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Aber wollen das auch die Deutschen? In den Philippinen ist man sich nicht mehr so sicher. Deutschland wird zusehends als migrationsfeindlich wahrgenommen. Nationale Medien berichteten zuletzt groß über die Demonstrationen gegen Rechts in Deutschland: So schrieb der führende „Inquirer“ Anfang Februar „Die Proteste folgten auf einen Bericht im vergangenen Monat, dass zwei hohe AfD-Mitglieder an einem Treffen teilgenommen hatten, um Pläne zur massenhaften Deportation von Bürgern ausländischen Ursprungs zu diskutieren.“ Das preisgekrönte Onlineportal „Rappler“ titelte schon 2021 mit Verweis auf die AfD: „Die Verbreitung des Faschismus ist real.“
Rassismus in Deutschland: Massiver Image-Schaden fürs Land
Solche Eindrücke haben offenbar auch fern von Deutschland reale Folgen. Heinen etwa berichtet: „Uns springt jeden Tag eine interessierte Person ab.“ Die Sorge davor, man würde in Deutschland schlecht behandelt, steige rapide. „Den Bedarf, den Krankenhäuser und andere Einrichtungen bei uns melden, können wir decken. Wir rekrutieren umso mehr.“ Aber wie lange lässt sich das noch leisten, wenn der Reputationsschaden, den Deutschland gerade erleidet, weiter wächst? „Wenn es so weitergeht, wird bald niemand mehr nach Deutschland wollen“, glaubt Heinen.
Weltweit gehören die Philippinen seit Jahrzehnten zu jenen Ländern, die am meisten Landsleute zum Arbeiten ins Ausland schicken. Seit den 1980er Jahren ist dies ein Teil der Regierungspolitik des Schwellenstaats: Matrosen, Haushaltshilfen oder Pflegekräfte arbeiten in reicheren Ländern, von wo aus sie einen Teil ihrer Löhne zurück in die Heimat schicken. Diese Geldrücksendungen machen ungefähr ein Zehntel des philippinischen Bruttoinlandsprodukts aus. Doch nach Deutschland zieht es bisher eher wenige. Derzeit sind es etwa 12.600 Filipinos, die meisten davon arbeiten in der Pflege.
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Denn Hürden gab es bisher reichlich: Zur Schwierigkeit, die deutsche Sprache zu erlernen, kommen bürokratische Probleme bei der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen. Schon deshalb hat Deutschland im Wettbewerb um ausländische Arbeitskräfte ein Problem, wenn Interessierte das Land mit anderen Industriestaaten vergleichen, in denen nicht nur Englisch Geschäftssprache ist, sondern auch die Bewerbungsprozesse schneller gehen. Der Großteil der Filipinos und Filipinas ziehen daher nach Saudi-Arabien, in die USA, die Vereinigten Arabische Emirate, Australien oder Hongkong.
Filipinos nach Deutschland? Drastische Berichte lassen aufhorchen
Was man außerdem über Deutschland hört? Zum Beispiel, dass sich die Landsleute dort oft nicht wohlfühlen. Das berichtet jedenfalls die interkulturelle Beraterin Grace Lugert-Jose, die sich auf die Integration ausländischer Pflegefachkräfte spezialisiert hat. 2023 hat sie eine Befragung unter 224 in Deutschland arbeitenden Filipinos und Filipinas durchgeführt. Ergebnis: „Die Mehrheit der hier arbeitenden philippinischen Pflegefachkräfte würde befreundeten Kolleginnen die Arbeit in Deutschland nicht empfehlen.“ Zwei Drittel haben demnach Diskriminierung oder Rassismus erlebt.
„Oft kommen die neu eingereisten Pflegefachkräfte in Teams mit schlechtem Arbeitsklima, in denen Mobbing bereits an der Tagesordnung ist“, so Lugert-Jose. „Dann werden sie natürlich als die Neuen mit meist zurückhaltendem Auftreten und Unsicherheiten in der deutschen Sprache zum Opfer von Mobbing.“ Der Befund scheint zu einer kürzlichen Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte zu passen: In Deutschland gaben demnach 65 Prozent der Befragten mit afrikanischen Wurzeln an, Erfahrungen mit Rassismus gemacht zu haben – der zweihöchste Wert hinter Österreich.
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Solche Informationen wirken auch auf Menschen aus Asien kaum einladend. Zumal selbst die deutsche Willkommenskultur oft zweischneidig ist. Gerade auf Konservative, die sich darüber im Klaren sind, dass sich Deutschland dringend um Pflegekräfte aus dem Ausland bemühen muss, üben gerade die Philippinen zwar eine kleine Faszination aus. Allerdings nicht zuletzt deshalb, weil rund 90 Prozent der Bevölkerung christlich sind. Und wer in Deutschland Wert auf eine christlich geprägte Leitkultur legt, hat an Patientenbetten oft lieber Filipinos als zum Beispiel Ägypterinnen oder Syrer.
Pflege-Agentur auf Philippinen: Fachkräfte ziehen ihre Konsequenzen
Aber so eine Präferenz für Menschen aus den Philippinen lässt sich auch als latente Fremdenfeindlichkeit lesen. Denn willkommen wären die Menschen nicht, weil sie sich in Deutschland in die Gesellschaft einbringen wollen, sondern weil sie christlich sind, also vermeintlich nicht allzu fremd. Zudem: An die zehn Prozent der eingereisten Fachkräfte aus den Philippinen sind muslimisch. „In Deutschland gibt es wohl Rassismus gegen Muslime“, erklärt eine Pflegekraft, die von Jason Heinens Programm wieder abgesprungen ist und ihren Namen nicht nennen möchte. „Ich will damit nichts zu tun haben.“
Saisy Germany, das bis jetzt Pflegekräfte in der deutschen Sprache ausgebildet und nach Deutschland vermittelt hat, bietet seine Vermittlungsdienste seit kurzem auch in englischsprachige Länder an. „Immer mehr Interessierte fragen gezielt danach“, berichtet Jason Heinen. Man müsse sich eben nach dem Marktpotenzial richten.