Eslohe. Wie der CDU-Chef Weihnachten feiert, warum sein Enkel öfter Ärger kriegt – und wie es in der K-Frage in der Union weitergehen soll.

Vier Grad und Regen, das Sauerland zeigt sich kurz vor Heiligabend von seiner lausigsten Seite. Friedrich Merz hat den karierten Schal eng um den Hals gewickelt. „Schnee wäre schön“, sagt er und streift durch die Reihen mit den Weihnachtsbäumen. „2,20 Meter brauche ich.“ Der Baum soll ins Wohnzimmer in Arnsberg, und Ehefrau Charlotte hat sehr präzise Vorstellungen davon, wie das Ganze am Ende aussehen soll. Da darf jetzt nichts schiefgehen.

Matthias Mertens schaut seinem Kunden geduldig beim Aussuchen zu. Der Forstwirt ist noch mal einen halben Kopf größer als der Zwei-Meter-Mann der CDU. Für Merz keine ungewohnte Begegnung: Bei ihm laufen im Grunde ständig andere baumlange Kerle durchs Bild. Hendrik Wüst zum Beispiel. Oder Markus Söder. Auch Jens Spahn ist nicht gerade klein. Merz mag gegen Olaf Scholz groß wirken – innerhalb seiner eigenen Truppe hat er jede Menge Leute auf Augenhöhe.

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Jetzt, am Ende dieses turbulenten Jahres, ist Merz die Nummer eins in der Unionsriege. Aber ob das nächstes Jahr an Weihnachten immer noch so ist? Im Moment heißt sein Auftrag: Oppositionsführer. Er hat die CDU aus dem Tief der Bundestagswahl von 2021 herausgeholt, auf heute 32 Prozent. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Ampel macht es ihm nicht gerade schwer.

Merz‘ Weihnachtsbaum: „Immer mit echten Kerzen, meistens rot“

Im Forstbetrieb Mertens, zwei Kilometer entfernt von der Bundesstraße 55, die quer durchs Sauerland führt, kostet ein Meter Nordmanntanne dieses Jahr 18 Euro. „Wir werden nächstes Jahr die Preise anheben müssen“, sagt der Juniorchef. Jetzt, wo die Ampel die Steuererleichterungen für Traktoren abschaffen will. Matthias Mertens ist kein Hitzkopf, der gleich vors Brandenburger Tor ziehen würde, aber dass da in Berlin was schiefläuft, da ist er sich mit Merz einig.

Echte Kerzen und obendrauf ein Stern: Friedrich Merz mag traditionellen Baumschmuck.
Echte Kerzen und obendrauf ein Stern: Friedrich Merz mag traditionellen Baumschmuck. © Funke Foto Services | Ralf Rottmann

Der Ehemann von Charlotte Merz hat inzwischen seinen Baum gefunden und schmückt ihn schon mal in Gedanken: „Immer mit echten Kerzen, meistens rot.“ Was natürlich kein politisches Signal sei, sondern Tradition, witzelt er und freut sich über die Frage, ob er sich nach Neuwahlen eine Große Koalition mit den Roten vorstellen könne. Schon wegen der Pointe: „Nein“, sagt Merz. Eine Große Koalition, Betonung auf groß, könne es nicht geben, die 14-Prozent-SPD sei ja nun genauso ein kleiner Koalitionspartner wie die Grünen.

Kirchgang am späten Nachmittag, dann Geflügel und ein Glas Wein – und ganz oben auf dem Baum ein Stern oder ein Engel. So läuft das bei Familie Merz alle Jahre wieder. „Dieses Mal wird es wohl ein Stern“, überlegt Merz und schaut nachdenklich auf seinen fertig verschnürten Baum. Das letzte Wort, ahnt man, hat am Ende dann wohl doch seine Frau.

Merz steht zu Aussagen über „kleine Paschas“ und Zahnarzt-Besuche

Kurz vor Weihnachten hat die CDU ihr neues Grundsatzprogramm öffentlich gemacht – und die deutsche Leitkultur wieder ins politische Schaufenster gestellt. Gehört denn auch der Weihnachtbaum dazu, Herr Merz? Der 68-Jährige sitzt jetzt in einer Gaststätte in Eslohe, wärmt die Finger an einem Tee. „Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen“, sagt Merz. „Es ist die Art von christlich-abendländisch geprägter kultureller Identität, die sich über Generationen überträgt, von der unsere Kinder geprägt sind, und die sie dann so oder so ähnlich selbst weitertragen.“ Für ihn, das schiebt er sogleich nach, gehöre dazu aber auch Religionsfreiheit im umfassenden Sinn. Und: „Ich wundere mich ein bisschen, dass es offenbar für viele ein Problem ist, wenn wir das so sagen.“

NameFriedrich Merz
Geburtsdatum11. November 1955
AmtCDU-Vorsitzender
ParteiCDU
Parteimitglied seit1972
FamilienstandVerheiratet, drei Kinder
Größe1,98 Meter
WohnortArnsberg

Merz provoziert Widerspruch – immer wieder. Und zum Teil auch ganz bewusst: Gleich zu Beginn des Jahres, wenige Tage nach den Silvesterkrawallen wirft sich Merz mit Schmackes in die neu aufgeflammte Integrationsdebatte: Wo Angela Merkel allenfalls von sozialen Schieflagen gesprochen hätte, haut Merz den Satz von den „kleinen Paschas“ raus, die den Lehrerinnen auf der Nase herumtanzen und von ihren Vätern dafür auch noch verteidigt werden.

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„Das, was ich zu den kleinen Paschas gesagt habe, war mehr als richtig“, sagt Merz heute. „Viele haben nachher gesagt, es sei sogar noch schlimmer. Und was ich zu den Zahnärzten gesagt habe, war auch richtig. 80 Prozent der Bevölkerung haben dadurch erstmals realisiert, dass wir das einzige Land sind, das abgelehnten Asylbewerbern nach 18 Monaten nicht weniger, sondern sogar noch mehr zahlt.“ Mit Blick auf abgelehnte Asylbewerber hatte Merz im September behauptet: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Die Bundeszahnärztekammer schüttelte den Kopf: stimmt so nicht. Merz‘ Parteifreund, CDU-Urgestein Karl-Josef Laumann, versuchte, seinem Chef beizustehen und gleichzeitig die Sache geradezurücken: Überforderung der Sozialsysteme ja – aber bei den Zahnärzten? Nö, da gebe es kein großes Problem.

Merz: Ampel „kann doch nicht einen soften Oppositionsführer haben“

Es gibt Parteichefs, die überlassen ihren Generalsekretären die Abteilung Attacke. Merz braucht das nicht, er macht das selbst. „Manchmal muss man auch zuspitzen dürfen. Ich weiß, dass man das nicht jeden Tag machen kann, und das tue ich auch nicht.“ Aber manchmal sei das eben nötig, um Debatten über konkrete Probleme anzustoßen. „Eine solche Regierung kann doch nicht einen soften Oppositionsführer haben.“

CDU-Chef Friedrich Merz auf dem Hof der Familie Mertens bei Eslohe im Sauerland.
CDU-Chef Friedrich Merz auf dem Hof der Familie Mertens bei Eslohe im Sauerland. © Funke Foto Services | Ralf Rottmann

In der Union fragen sich in diesem Jahr allerdings viele, ob man mit Merz Wahlen gewinnen kann. Oder ob es nicht eher die jungen Milden, NRW-Chef Wüst, der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther und neuerdings auch Boris Rhein in Hessen sind, die zeigen, wie man die breite Mitte holt und stabile Koalitionen bildet. „Von Boris lernen“, ist ein Satz, der nach der erfolgreichen Hessenwahl öfter fällt. Keinem der drei wäre es eingefallen, wie Merz die CDU mit dem zweifelhaften Titel „Alternative für Deutschland mit Substanz“ zu etikettieren.

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Noch ist die K-Frage nicht entschieden. Noch ist nicht mal klar, wann genau das passieren soll. Vor oder nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September? „Ich rechne damit“, sagt Merz am Abend in Eslohe, „dass wir bis zum Bundesparteitag im Mai wissen, wann genau wir im Spätsommer die Frage der Kanzlerkandidatur entscheiden – ob vor oder nach den drei Landtagswahlen.“

Auf dem Nachttisch liegt das Illies-Buch über Caspar David Friedrich

Es ist maximal unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen, dass Merz am Ende sogar verzichtet. Ein starkes Argument wäre seine Familie, wäre mehr Zeit für seine ganz private Leitkultur. Im Moment, erzählt Merz, lese er „Zauber der Stille“, das Buch von Florian Illies über den Maler Caspar David Friedrich. Er sei ein schneller Leser, schaffe in der Regel sechzig Seiten pro Stunde. „Aber im Moment komme ich erst abends im Bett dazu. Da bin ich dann häufig zu müde, bei fünfzig Seiten ist dann meistens schon Schluss.“

Die nächste Merz-Generation steht im Übrigen schon bereit: Einer der Enkel ist Schülersprecher. Er wohnt in Süddeutschland, aber die beiden telefonieren häufig. „Er wird wegen seines Namens öfter mal angesprochen, ob er mit mir verwandt sei“, erzählt Merz und trinkt den letzten Schluck Tee. „Er kriegt auch deswegen schon mal Ärger ab. Aber das hält er aus – und kontert dann auch gut. Das gefällt mir.“

NameChristlich-Soziale Union in Bayern (CSU)
Gründung13. Oktober 1945
IdeologieChristdemokratie, Konservatismus, Regionalismus, Europäische Integration
VorsitzenderMarkus Söder (Stand: Dezember 2023)
Fraktionsstärke45 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Dezember 2023)
Bekannte MitgliederAlexander Dobrindt, Andreas Scheuer, Horst Seehofer