Rom. Auch in Italien gehen die Landwirte auf die Straße: für höhere Subventionen und weniger Bürokratie. Was ihnen am meisten stinkt.
Blockierte Autobahnen, Kolonnen von Traktoren und wütende Bauern: Auch in Italien bringen Landwirte ihren Frust lautstark zum Ausdruck. Motiviert von ihren Kollegen in Deutschland und Frankreich protestieren sie von der Lombardei bis Sizilien gegen Bürokratie, Umweltauflagen und hohe Treibstoffkosten. Die EU-Agrarpolitik mit unzureichenden Subventionen, der Verpflichtung, Flächen brach liegen zu lassen, geringe Großhandelspreise, hohe Zinsen und Energiekosten treiben sie auf die Barrikaden.
Hunderte Traktoren stationieren seit Tagen vor der Autobahn-Mautstelle Melegnano bei Mailand, einem Knotenpunkt für den Autobahnverkehr der ganzen Lombardei. Wegen des Protests musste vorübergehend die „Autostrada del Sole“ (A1), die Hauptverkehrsachse zwischen Nord- und Süditalien, geschlossen werden, mit erheblichen Problemen für den Verkehr.
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Bei Nacht und Nebel sind die lombardischen Bauern von ihren Feldern aufgebrochen, um sich in Melegnano zu versammeln. Bei niedrigen Temperaturen schlagen sie Zelte auf und zünden Lagerfeuer an, sie verteilen Brötchen mit Käse und Wurst. Viele Demonstranten besitzen Kleinbetriebe, die wegen des Klimawandels und überbordender Bürokratie Mitarbeiter entlassen mussten. Die Stimmung ist trüb, die Wut steigt, vor allem gegen Europa. „Wir fordern eine Überprüfung des Green Deals der Europäischen Union, denn dieses Maßnahmenpaket ist für unseren Sektor katastrophal“, sagen sie.
Landwirt aus Lombardei: „Sollen unsere Felder unbewirtschaftet lassen“
Filippo Goglio ist Bauer aus der lombardischen Provinz Lodi und organisiert den Protest. Er ist mit Kollegen in ganz Italien in Kontakt. „Die Verpflichtung, vier Prozent der Produktionsflächen stillzulegen, ist inakzeptabel“, sagt Goglio. Die jüngeren Generationen animiert der 30-Jährige, sich für ihre Zukunft zu engagieren. „Ich arbeite auf dem Bauernhof meiner Familie. Innerhalb der letzten zehn Jahren habe ich mitansehen müssen, wie unsere Arbeit abgewertet wurde. Wir müssen immer strengere Vorschriften einhalten und sind gezwungen, immer weniger zu produzieren.“
Zugleich importiere Italien Produkte wie Getreide, Reis und Tomaten aus Ländern, die Pestizide verwenden, klagt Goglio – und zwar solche, die im eigenen Land schon seit Jahren verboten seien. Der Landwirt produziert auf den Feldern seiner Familie Getreide. „Europa will uns zwingen, vier Prozent unserer Felder unbewirtschaftet zu lassen, indem man uns dafür bezahlt, dass wir sie nicht bebauen“, sagt er. Für seine Zukunft sieht er schwarz. „Die europäischen Vorschriften sind dazu gedacht, uns zu verarmen und unsere Produkte aus Ländern zu kaufen, die Tausende von Kilometern entfernt sind.“ Der Bauer sagt, es sei ganz so, „als wolle Europa einen Plan zur Zerstörung der italienischen Landwirtschaft durchsetzen“.
Jeder Traktor in Melegnano trägt eine italienische Flagge. „Keine Bauern, keine Lebensmittel, keine Zukunft“, ist auf Transparenten zu lesen. Die Demonstranten rufen die Regierung der rechts stehenden Premierministerin Giorgia Meloni auf, die Interessen italienischer Landwirte in Brüssel besser zu verteidigen. Themen sind, wie auch in Deutschland, der Preis des Agrardiesels, Energiekosten im Allgemeinen und die Einkommenssituation der Landwirte. Unter dem Druck des zunehmenden Protests traf der italienische Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida Vertreter der Landwirte. Der Minister versicherte, die Regierung sei sich der Forderungen des Sektors bewusst und versprach Gespräche.
Italien ist europaweit der drittgrößte Produzent von Agrarprodukten
Der stellvertretende Ministerpräsident und Lega-Chef Matteo Salvini macht EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für die Bauernproteste verantwortlich. „Die EU-Kommission unter von der Leyens Führung ist in Sachen Landwirtschaft katastrophal. Die meisten Probleme sind auf die verrückte, pseudo-grüne europäische Politik zurückzuführen, die Landwirte und Fischer schwer belastet“, meint Salvini.
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Die italienische Landwirtschaft zählt deutlich mehr Betriebe als die französische und deutsche, erhält insgesamt dennoch viel weniger Subventionen durch die EU. Denn die italienischen Betriebe sind im Durchschnitt kleiner als in Frankreich, dem größten EU-Subventionsempfänger. 621 Milliarden Euro beträgt Italiens Landwirtschafts- und Lebensmittelproduktion, das sind 15 Prozent des italienischen Bruttoinlandprodukts. Nach Frankreich und Deutschland ist Italien europaweit der drittgrößte Produzent von Agrarprodukten. Zu den Sorgen der Bauern in Melegnano zählen deshalb vor allem die gestiegenen Produktionskosten.
„Die Herstellung von 100 Kilo Weizen kostet uns 35 bis 40 Euro, der Ertrag, den wir auf dem Markt erzielen, beträgt nur 30 Euro. Das ist unannehmbar“, betont Goglio. „Wir erwarten von den italienischen und europäischen Politikern Antworten, und zwar schnell.“ Auf einige Forderungen der Bauern ist die Regierung von Meloni bereits eingegangen, etwa beim Verbot der Produktion von Laborfleisch. Doch das ist den italienischen Landwirten noch viel zu wenig.
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