Berlin. Nur 20 Prozent der Menschen, die vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind, arbeiten. Die geringe Quote hat mehr als einen Grund.
Alina B. ist jung, gebildet, motiviert – und spricht fast perfekt Deutsch. Eigentlich die besten Voraussetzungen, um in Deutschland einen Job zu finden. Die Arbeitssuche der Ukrainerin, die im März 2022 wegen des Krieges aus ihrem Heimatland fliehen musste, gestaltete sich dennoch schwierig. „Ich habe bestimmt über 40 Bewerbungen geschrieben, aber nur Absagen bekommen“, erzählt die junge Frau. Oftmals gab es nicht einmal eine Begründung. „Das hat mich irgendwann sehr belastet, weil ich gerne etwas tun und Geld verdienen wollte, aber eben einfach nicht konnte“, erinnert sie sich.
In der Ukraine hatte die 21-Jährige begonnen, ihren Bachelor in Psychologie zu machen. Nebenbei arbeitete sie bei einem Projekt zur Leseförderung. Doch dann schlugen russischen Raketen in ihrer Heimatstadt Charkiw ein und B. beschloss, die Ukraine zu verlassen. Ihr Studium konnte sie in Deutschland zwar online fortsetzen, bei ihrem Job sah die Sache allerdings anders aus. Zunächst hatte die junge Ukrainerin noch Glück: Ein Kontakt ihres Vaters, der schon vor dem russischen Überfall auf die in Deutschland gearbeitet hatte, vermittelte ihr einen Job in der Produktion eines Geräteherstellers.
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Das war zwar nicht das, was B. eigentlich machen wollte – aber sie habe etwas Geld verdient, ihre Deutschkenntnisse verbessern und Kontakte knüpfen können, erzählt sie. Das sei zunächst die Hauptsache gewesen. Nach ein paar Monaten machte sich die Ukrainerin auf die Suche nach einer Stelle, die ihr mehr lag – und fand eine bei einem Berliner Hilfsprojekt für Geflüchtete aus der Ukraine. Dort arbeitete sie als Beraterin und Übersetzerin. Doch Ende 2022 endete die Förderung des Projekts – und sie stand wieder ohne Job da. „Ich bin dann zum Jobcenter gegangen und habe mich arbeitslos gemeldet“, erinnert sich die 21-Jährige. Aber eine neue Stelle fand sie nicht.
Geflüchtete aus Ukraine: Knapp ein Fünftel hat einen Job
„Ich hatte Sprachkenntnisse, zumindest B1 zu dem Zeitpunkt, einen deutschen Lebenslauf und alle notwendigen Unterlagen“, sagt die junge Frau. Diese schickte sie an zahlreiche Unternehmen – jedoch ohne Erfolg. Laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie weiterer Behörden gingen in diesem Frühjahr lediglich 18 Prozent der erwerbsfähigen ukrainischen Geflüchteten einer Tätigkeit in Deutschland nach. Nach neueren Zahlen der Bundesagentur für Arbeit stieg die Zahl bis September auf rund 20 Prozent. Der größte Teil der Menschen arbeitete laut der IAB-Studie in Vollzeit (39 Prozent), etwas weniger (37 Prozent) in Teilzeit und 18 Prozent in geringfügigen Beschäftigungen.
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„Wir sehen aber, dass die Quote steigt, je länger die Personen in Deutschland sind“, erklärt Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs Migration und Arbeitsmarktforschung am IAB. Nach 12 Monaten in Deutschland liege die Beschäftigungsquote bereits bei 28 Prozent. Unter denjenigen, die bei der Befragung Anfang des Jahres noch keinen Job hatten, wollten zudem 69 Prozent sicher zukünftig eine Tätigkeit aufnehmen, weitere 24 Prozent wahrscheinlich.
Beim Blick auf diese Zahlen müsse bedacht werden, dass Menschen, die aus humanitären Gründen flüchten, nicht mit dem primären Ziel nach Deutschland kämen, einen Job zu finden, sagt Kosyakova. „Oftmals müssen Geflüchtete ihre Herkunftsländer von einem auf den anderen Tag verlassen, ohne zu wissen, wo sie am Ende landen“, so die Migrationsforscherin. Dementsprechend würden ihnen zunächst die notwendigen Ressourcen – wie etwa Sprachkenntnisse, Informationen oder Dokumente – fehlen.
Arbeitsminister Heil will Geflüchtete schneller in Jobs bringen
Aus Sicht von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht die Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten dennoch zu langsam voran. Er kündigte im Oktober eine Initiative zum „Jobturbo“ für die Ukrainerinnen und Ukrainer an, mit der diese schneller in Jobs vermittelt werden sollen. Prinzipiell sei es sinnvoll, nach der ersten Phase der Sprach- und Integrationskurse, den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu fördern, sagt Kosyakova dazu: „Wichtig ist jedoch, dass wir die Leute nachhaltig integrieren und adäquat anstellen. Wenn wir jetzt aber Lehrerinnen in die Verpackungsjobs schicken, würde sich das langfristig negativ auswirken.“
Für Aufsehen sorgte kürzlich eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die ergab, dass in Deutschland deutlich weniger ukrainische Geflüchtete arbeiteten als in anderen EU-Ländern. So lag die Erwerbstätigkeitsquote laut der Analyse in Großbritannien, Dänemark, und Tschechien bei mehr als 50 Prozent, in Polen sogar bei 66 und in den Niederlanden bei 70 Prozent. Daraus den Schluss zu ziehen, dass Geflüchtete in Deutschland nicht arbeiten wollten, sei allerdings falsch, sagt Kosyakova. Für die großen Differenzen gäbe es andere Gründe.
Zum einen seien die Daten in den verschiedenen EU-Ländern kaum vergleichbar, weil es unter anderem keine einheitliche Definition von „Erwerbstätigkeit“ gebe, sagt sie. Zum anderen hätten die Staaten sehr unterschiedliche migrationspolitische Ansätze. „In Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark wird beispielsweise der Fokus darauf gelegt, dass Menschen möglichst schnell arbeiten – egal in welchem Job. Der Spracherwerb wird hingegen hinten angestellt“, erklärt die Migrationsforscherin. Oftmals seien das jedoch prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Fehlende Kinderbetreuung und zähe Bürokratie als Hürden
Wenn allerdings, wie in Deutschland, auf eine nachhaltige Integration gesetzt werde, dauere es entsprechend länger, bis die Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten könnten. Das zeige auch der Vergleich zu Ländern mit einem ähnlichen System, wie etwa Norwegen. Hier sei die Quote vergleichbar, wenn nicht sogar niedriger, sagt Kosyakova. „Aus vorherigen Fluchtbewegungen wissen wir, dass eine nachhaltige Integration zwar länger dauert, langfristig aber zu deutlich besseren Erwerbsquoten führt.“
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Laut der IAB-Befragung befanden sich in Deutschland Anfang des Jahres noch 65 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Sprach- und Integrationskursen – wodurch sie dem Arbeitsmarkt entsprechend gar nicht oder nur bedingt zur Verfügung standen. Ein weiterer Faktor: Bei einem Großteil der Geflüchteten handelt es sich um Frauen, rund die Hälfte von ihnen mit minderjährigen Kindern. Oftmals fehle es an Betreuungsmöglichkeiten, sagt Kosyakova. Frauen mit Kleinkindern hätten daher die geringste Erwerbstätigkeitsquote.
Experten: Bürgergeld kein Einflussfaktor für Arbeitsaufnahme
Probleme macht außerdem die deutsche Bürokratie. Alina B. beispielsweise wartet noch immer auf die Anerkennung ihres Bachelor-Studiums, das sie im Juli abgeschlossen hat. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die langsame administrative Verwaltung einer der Hauptgründe für die Differenz bei der Erwerbstätigkeit in Deutschland und anderen EU-Ländern ist. Während Geflüchtete in Staaten wie Tschechien direkt eine Arbeitserlaubnis erhielten, seien dafür in Deutschland mehrere Schritte notwendig, heißt es darin. Dafür, dass das Bürgergeld eine Einfluss auf den Willen zur Arbeitsaufnahme habe – eine Kritik, die unter anderem von Seiten der Union angebracht worden war – gebe es hingegen keine Hinweise.
„Diesen Schluss halte ich für falsch“, sagt der Autor der Studie, Dietrich Tränhardt. Das zeige sich auch im Vergleich zu den deutschen Nachbarländern Österreich und der Schweiz, wo die Sozialleistungen deutlich niedriger ausfallen als hierzulande – die Erwerbstätigkeitsquote jedoch ähnlich hoch ist. Auch IAB-Forscherin Kosyakova sieht keine Belege für die Annahme, dass das Bürgergeld die Geflücheteten von der Arbeitaufnahme abhält. Weder seien nach dem Start der Regelung im Sommer 2022 mehr Menschen nach Deutschland gekommen, noch hätte sie zu einem Verlassen des Arbeitsmarkts geführt.
Alina B. hatte nach ein paar Monaten schließlich Glück bei der Jobsuche. Eine Bekannte meldete sich bei ihr und bot ihr an, bei einem anderen Projekt für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer zu arbeiten – als Beraterin für Menschen, die neu in die EU kommen. Dort hilft die 21-Jährige nun Ukrainerinnen und Ukrainer, denen es ganz ähnlich geht wie ihr – auch bei Suche nach einem Job. Langfristig möchte sie gerne ihren Master in Deutschland machen, um irgendwann dann mal als Psychologin arbeiten zu können. Dafür muss sie jetzt aber erstmal die nächste Deutschprüfung schaffen.
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Hinweis der Redaktion: Auf Wunsch der Protagonistin wurde ihr Name abgekürzt.