Berlin. 17 Milliarden Euro fehlen im Haushalt für 2024. Im Interview sagt der FDP-Finanzminister, wie er das Loch schließen will.
Es sind harte Zeiten für Christian Lindner. Die Rüge aus Karlsruhe, das Milliardenloch im Haushalt – und die ungelöste Frage, wo das Geld jetzt herkommen soll. Noch mal die Schuldenbremse lockern? Eine Horrorvorstellung für den FDP-Chef. Gänzlich ausschließen will er es nicht.
Herr Lindner, das Verfassungsgericht hat die Finanzplanung der Ampel zunichtegemacht. Was war Ihr erster Reflex? Alles hinwerfen?
Christian Lindner: Nein, im Gegenteil. Jetzt muss man Verantwortung übernehmen und reinen Tisch machen. Das Verfassungsgericht hat sich erstmals umfassend zur Schuldenbremse geäußert, daraus ziehen wir die Konsequenz. Dass sich Karlsruhe so grundsätzlich mit der bisherigen Staatspraxis in Bund und Ländern befassen würde, war eine Überraschung.
Warum hat es so lange gedauert, bis die Regierung die gesamten Folgen dieses Urteil überblickte? Bis zur Sperre des Sonderfonds WSF, aus dem bisher die Energiepreisbremsen bezahlt werden, vergingen sechs Tage.
Wir mussten jedes Sondervermögen prüfen, das diese und die früheren Regierungen gebildet hatten. Dabei hat sich unter anderem gezeigt, dass auch der von der Vorgängerregierung gebildete Hilfsfonds für die Flutopfer des Jahres 2021 verfassungswidrig ist und neu aufgesetzt werden muss. Das zeigt: Beklagt wurde in Karlsruhe der Klima- und Transformationsfonds dieser Regierung. Geurteilt wurde über die Staatspraxis dieser und früherer Regierungen sowie der Länder.
Die vom Gericht untersagte Umwidmung nicht genutzter Corona-Kredite zugunsten des Klimaschutzes hatten SPD, Grüne und FDP 2021 in ihren Koalitionsverhandlungen beschlossen. Fühlen Sie sich nachträglich schlecht beraten?
Nein. Hätte es die heutige Rechtsklarheit gegeben, wäre anders entschieden worden. Das war ein Koalitionskompromiss, der noch von meinem Vorgänger konzipiert wurde. Nach meinem Amtsantritt haben wir das in einer Weise umgesetzt, wie wir es verfassungsrechtlich für verantwortbar gehalten hatten. Wir wissen nun, dass wir andere Wege finden müssen. Als Gegner uferloser Staatsverschuldung sehe ich eine Chance darin, dass die Schuldenbremse präzisiert wurde.
Übernehmen Sie die Verantwortung für den Schaden, der nun eingetreten ist?
Natürlich. Allerdings will ich darauf hinweisen, dass die Zahlen unserer Finanzpolitik trotz des Urteils in die richtige Richtung weisen. Die Schuldenquote dieses Staats wird von 69 Prozent im Jahr 2021 auf gut 64 Prozent im kommenden Jahr sinken. Wir haben die fiskalische Trendwende erreicht.
Ihren Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer haben Sie gerade in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Ist Gatzer der Sündenbock?
Werner Gatzer ist ein Beamter. Die politische Verantwortung für Entscheidungen trägt er nicht. Meine persönliche Wertschätzung hat er ohnehin.
Warum musste er gehen?
In der Haushaltspolitik geht es nun um eine ordnungspolitische Orientierung für die kommenden Jahre. Deshalb ein Generationenwechsel.
Für 2023 wird die Ampel noch einmal die Schuldenbremse außer Kraft setzen. Der Haushalt 2024 ist noch Gegenstand von Beratungen. Wie groß ist hier die Lücke?
Wir hatten im Oktober 2022 für die ganze Zeit von 2022 bis 2024 einen Notlagenbeschluss gefasst für die Energiepreisbremsen. Wir wissen nun, dass wir für 2023 einen eigenen Beschluss benötigen. Es ist untechnisch gesprochen eine andere Verbuchung, neue Kredite sind damit nicht verbunden. Im Bundeshaushalt 2024 fehlen 17 Milliarden Euro. Der Klima- und Transformationsfonds kann mit den Mitteln, die er trotz des Karlsruher Urteils hat, im kommenden Jahr alle Verpflichtungen erfüllen. Wer Zusätzliches finanzieren will, der muss woanders reduzieren.
Wie wollen Sie die 17 Milliarden Euro zusammenkratzen?
Wir werden uns mit drei großen Kostenblöcken beschäftigen müssen. Für Soziales setzt der Bund 45 Prozent seiner Ausgaben ein. Da werden wir schauen, wie man treffsicherer werden kann. Es geht beispielsweise darum, Menschen schneller in Arbeit zu bringen. Das nützt den Menschen und das nützt dem Bundeshaushalt. Für die Geflüchteten aus der Ukraine kommt zum Beispiel ein Jobturbo.
Kommt die Erhöhung des Bürgergelds um zwölf Prozent wie geplant?
Das ist geltende Rechtslage. Allerdings entwickelt sich die Inflationsrate wesentlich besser, als bei der Festlegung des Regelsatzes für 2024 prognostiziert wurde. Bei der anstehenden Prüfung des Abstands zwischen Löhnen und Sozialleistungen wird man sich daher das Anpassungsverfahren ansehen müssen. Denn es muss immer einen spürbaren Unterschied machen, ob jemand arbeitet oder nicht arbeitet.
Wo wollen Sie noch sparen?
Wir müssen prüfen, wie wir uns international engagieren. Wir tun sehr viel für die Unterstützung der Ukraine. Wir sind zugleich aber auch bei der Entwicklungszusammenarbeit und der internationalen Klimafinanzierung vorne. Hier sind die Fragen zu stellen, ob es nicht eine fairere internationale Lastenteilung geben und ob unser eigenes Engagement treffsicherer werden kann. Wir können gerne auf Platz eins bleiben. Aber vielleicht lässt sich der Abstand zu Platz zwei reduzieren.
Der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt ist der des Verteidigungsministeriums. Wollen Sie hier ebenfalls ran?
Nein. Der Verteidigungshaushalt bleibt unangetastet. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato werden wir im kommenden Jahr übererfüllen. Ich nenne aber noch einen dritten Bereich, bei dem Einsparungen möglich sind: Es gibt zahlreiche Subventionen, bei denen zu fragen ist, ob sie ihre Ziele tatsächlich erfüllen oder nicht aus der Zeit gefallen sind.
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Können Sie Beispiele nennen?
Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich öffentlich noch keine Beispiele nenne. Das führt sonst zu einem Run auf Förderprogramme auf den letzten Metern. Wichtig ist mir zu betonen, dass es nicht um ein Streichkonzert geht. Sondern um eine Umschichtung von Geld, um wichtige Zukunftsaufgaben finanzieren zu können – etwa die Digitalisierung des Landes und die Sanierung der Bahn. Auch darin liegt eine Chance.
Ist es denkbar, dass die Ampel bereits zugesagte Steuerentlastungen zurücknimmt?
Was bereits gesetzlich beschlossen ist, bleibt. Es ist geltendes Recht, dass die arbeitenden Menschen kommendes Jahr um 15 Milliarden Euro bei der Lohn- und Einkommensteuer entlastet werden. Ich werbe daher auch im Bundesrat dafür, dass das Wachstumschancengesetz kommt. Es enthält steuerliche Anreize für private Investitionen und Forschungsausgaben der Wirtschaft. Die brauchen wir, um auf den Wachstumspfad zurückzukehren.
Ihre Koalitionspartner SPD und Grüne würden am liebsten 2024 noch einmal die Schuldenbremse aussetzen. Schließen Sie das aus?
Notlagen kann man nicht anknipsen wie einen Lichtschalter. Ich höre mir Argumente gerne an. Aber ich bin noch nicht davon überzeugt, dass man eine neuerliche Aussetzung verfassungsmäßig tragfähig begründen kann.
Die Begründung für das Aussetzen im Jahr 2023 sollen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dadurch verursachten Energiepreisschocks im vergangenen Winter sein. Trägt das für 2024 nicht mehr?
Die Energiemärkte begründen keine Notlage mehr. Deshalb können die Strom- und die Gaspreisbremse ja auch zusammen mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zum 31. Dezember auslaufen.
Was wird aus dem FDP-Lieblingsprojekt des Generationenkapitals, auch bekannt als Aktienrente?
Das kommt. Für das kommende Jahr sind zwölf Milliarden Euro dafür vorgesehen, sie fließen in den Aufbau des geplanten Kapitalstocks. Für die Schuldenbremse ist das nicht relevant, weil der Zahlung ein Vermögenswert gegenübersteht. Die zehn Milliarden Euro, die für das laufende Jahr eingeplant waren, können wir nicht nutzen. Aber nur deshalb, weil die Stiftung Generationenkapital noch nicht errichtet ist.
Wie sieht der Zeitplan für die Anpassung des Haushalts 2024 aus?
Wir arbeiten intensiv miteinander. Ziel ist es, schnellstmöglich Einigungen zu erzielen und umzusetzen.
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Und wenn das nicht gelingt?
Ich gehe davon aus, dass es gelingen kann. In keinem Fall aber stürzt Deutschland in eine Krise. Niemand muss sich Sorgen machen, dass die Rente nicht mehr gezahlt wird oder die Behörden nicht mehr arbeiten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck rechnet damit, dass wegen des nun anstehenden Sparkurses das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr um 0,5 Prozent geringer ausfallen wird. Teilen Sie den Pessimismus?
Nein, das muss so nicht kommen. Wir investieren weiter auf einem Rekordniveau aus dem Staatshaushalt. Das Verhältnis von staatlichen zu privaten Investitionen liegt zudem bei eins zu neun. Es liegt in unserer Hand, durch marktwirtschaftliche Politik Impulse zu setzen, sodass in Mittelstand und Industrie auch wieder Zutrauen entsteht. Wir brauchen neue Impulse, die nichts kosten – etwa der Abbau von Bürokratie, schnellere Planungsverfahren, Mobilisierung am Arbeitsmarkt, Berechenbarkeit der Klima- und Energiepolitik.
Die Union hat Sehnsucht nach Neuwahlen. Teilen Sie die oder wollen sie die Ampel bis 2025 am Leben erhalten?
Das ist keine Zeit für Hasardeure. Wer mit Regierungskrisen aus Parteitaktik liebäugelt, dem empfehle ich, den Blick in die Niederlande zu richten …
… wo bei den Parlamentswahlen gerade die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden sind und wo eine komplizierte Regierungsbildung bevorsteht.
Die Koalition hat eine Aufgabe zu lösen. Jeder von uns hat seine eigenen Vorstellungen davon, was nötig ist. Aber uns verbindet die Verantwortung, Schaden von diesem Land abzuwenden und seine Modernisierung voranzubringen.
Würden Sie lieber mit Friedrich Merz und seiner Union regieren? Immerhin stellt Merz die Schuldenbreme nicht infrage.
Friedrich Merz flirtet doch längst mit Steuererhöhungen. Und wie die Position der Union insgesamt zur Schuldenbremse ist, wird man noch sehen müssen. Ich habe den Eindruck, dass die selbstbewussten CDU-Ministerpräsidenten ihrem Parteichef in dieser Frage ganz schön auf der Nase herumtanzen.
Lesen Sie eigentlich noch Umfragen – oder ignorieren Sie die, weil Sie keine Lust mehr haben auf die schlechten FDP-Werte?
Ich lese noch Umfragen. Aber ich lese diese Umfragen mit der Erfahrung von zehn Jahren Parteivorsitz. Zur Hälfte der vergangenen Legislaturperiode standen wir bei vier Prozent, bei der Wahl waren es dann elf. Jetzt stehen wir als Regierungspartei bei sechs. 2025 werden die Menschen urteilen.
Also sind Sie zufrieden?
Nie. Aber das Auf und Ab gehört zum Leben des Liberalen.