Berlin. Am Freitag kamen die ersten Geiseln frei. Doch der Preis ist hoch und der Druck auf Netanjahus Kriegskabinett wird weiter steigen.
Die Geschichte der Geiselnahme ist so lang wie widerwärtig. Schon in der Antike waren Geiseln die blutige Währung im Machtkampf großer Reiche und dieses Geschäft dauert bis heute an. Britische Soldaten nahmen während des arabischen Aufstands 1936 Moslems in Palästina gefangen und spannten sie als menschliche Schutzschilde vor ihre Züge, um Angriffe zu verhindern.
Der sogenannte „Sühnebefehl“ von Wilhelm Keitel, wonach 50 bis 100 unschuldige Zivilisten für jeden getöteten Soldaten hinzurichten waren, war in seiner unfassbaren Dimension Teil des Holocaust und brachte Hitlers Generalfeldmarschall nach dem Prozess von Nürnberg an den Strang.
In der Geschichte des Staates Israels haben sich Geiselnahmen tief in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft gebrannt. 1974 überfiel ein Terrorkommando der „Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas“ nach dem Eindringen in Nordisrael die Grundschule von Ma’alot und tötete 35 Erwachsene und Kinder mit einem perfiden System aus Sprengfallen, die nach einem missglückten Befreiungsversuch gezündet wurden.
Seitdem starben noch viele israelische Geiseln und palästinensische Terroristen kennen diese weiche Flanke des Staates. Daher war es keine spontane, sondern eine eiskalt geplante Aktion, Männer, Frauen und Kinder nach dem Überfall vom 7. Oktober zu verschleppen. Die Ermordung der jungen Partygänger und der Familien in den Kibbuzen war unmittelbarer Terror gegen Israels Bevölkerung. Die Verschleppung dagegen diente dem Freipressen gefangener Terroristen und dieser Plan geht jetzt auf.
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Erste Freilassung ist ein großes Glück – aber der Preis ist hoch
Es ist ein großes Glück für die Verschleppten und ihre Angehörigen, dass 50 Tage nach dem Überfall die ersten Geiseln, darunter auch vier deutsche Staatsbürger, wieder in Freiheit sind. Eine internationale, erstaunlich stille Diplomatie hat zu dazu geführt und die Bundesregierung kann in diesen chaotischen Tagen zurecht stolz auf diesen Erfolg sein.
Aber der Preis ist hoch. Die Zahl der freigelassenen palästinensischen Kämpfer wird am Ende des Deals mit 300 dreimal so hoch sein wie die Zahl der freigelassenen Geiseln – und sie verstärken die geschwächten Reihen der Hamas. Diese wird die auch die Feuerpause nutzen, um sich militärisch zu restrukturieren. Und es sind noch viele Geiseln in der Hand der Hamas, so dass der Druck auf Israel beliebig fortgesetzt werden kann.
Die Proteste der Angehörigen haben Netanjahus Kriegskabinett tief beeindruckt und dieser Druck wird nach der Freilassung eines Teils der Geiseln weiter zunehmen. Das ist die politische Dimension der Freilassung. Die menschliche Dimension kann man als Unbeteiligter gar nicht erfassen. Weder das unfassbare Glück der Wiedervereinigten noch die Depression der Enttäuschten
Man will sich nicht vorstellen, was Eltern aushalten müssen, deren Kinder von Terroristen verschleppt sind und die nicht unter denen sind, die am Freitag nach Hause gebracht wurden.
Dass es zu dem Austausch kam, dokumentiert den großen Unterschied zwischen den Gegnern in diesem furchtbaren Krieg. Israel riskiert strategische Nachteile im Kampf gegen den Terror, um das Leben Unschuldiger zu retten. Die Hamas ist bereit, die eigene Bevölkerung zu opfern, indem sie sich in Schulen und Krankenhäusern verschanzt oder auf Flüchtlinge schießt, die sich im Süden Gazas in Sicherheit bringen wollen.
Daher müssen ihre Anführer dieses Mal zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist die Welt den Israelis und den Palästinensern schuldig.
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