Rom. Um der wachsenden Zahl an Flüchtlingen Herr zu werden, setzt Italiens Regierung auf einen Deal. Doch der ging schon woanders schief.
Shëngjin ist eine kleine Hafenstadt und ein Badeort im Nordwesten Albaniens an der Adria. Julius Cäsar soll hier im Krieg gegen Pompeji gelandet sein, damals hieß der Ort Nimphaeum. 1313 wurde er erstmals mit dem italienischen Namen San Giovanni di Medua schriftlich erwähnt. Die Beziehungen zwischen Shëngjin und Italien haben eine lange Tradition. Jetzt soll diese auf spektakuläre Art und Weise wiederbelebt werden.
Die italienische Regierung der Rechtspopulistin Giorgia Meloni plant in dem Küstenort eines der beiden Asylzentren, die sie im kommenden Jahr in Albanien einrichten will. Damit will Italien Flüchtlinge auslagern und die eigenen Inseln Lampedusa und Sizilien entlasten. Der Vorgang hat Signalwirkung auch für Deutschland.
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Hierzulande häufen sich in der aktuellen Flüchtlingsdebatte bekanntlich die Forderungen, die aufwändigen Asylverfahren in Ländern außerhalb der Europäischen Union abzuwickeln – zum Beispiel in Afrika. Entsprechende Vorstöße kommen aus der Opposition und auch aus Teilen der Ampel-Koalition. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist aber ausgesprochen skeptisch.
Asylzentren werden nach italienischem Recht geführt
Italiens Regierungschefin Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama haben konkret vereinbart, dass Italien auf albanischem Boden zwei große Asylzentren mit insgesamt 3000 Plätzen bauen und betreiben kann. In die beiden Lager sollen ausschließlich Migranten gebracht werden, die im Mittelmeer von der italienischen Küstenwache gerettet wurden. Minderjährige, Asylsuchende, schwangere Frauen und verletzliche Personen sollen weiterhin nach Italien gebracht werden.
Shëngjin wird als Erstaufnahmezentrum dienen, in dem italienische Beamte die Flüchtlinge identifizieren und registrieren. Das zweite Lager soll in der etwa 20 Kilometer entfernten Stadt Gjader entstehen. In dieser Einrichtung sollen die Migranten ihr Asylgesuch stellen können und im Fall einer Ablehnung bis zu ihrer Abschiebung festgehalten werden. Die Zentren in Albanien werden nach italienischem Recht geführt, Rom kommt vollständig für die Einrichtungs- und Betriebskosten auf. Insgesamt werden dafür in den nächsten fünf Jahren 16,5 Millionen Euro veranschlagt.
Vorbild ist Ruanda-Modell der britischen Regierung
Giorgia Meloni erhofft sich von dem Abkommen eine Entlastung für Italien, an dessen Küsten zwischen Januar und Oktober 2023 mehr als 140.000 Migranten angelandet sind. Vorbild ist das britische Ruanda-Modell. Die Idee dahinter: Migranten sollen von der Flucht nach Europa abgeschreckt werden, indem man ihnen klar macht, dass sie zur Abwicklung ihrer Asylverfahren in einen Drittstaat gebracht werden. Die Briten wollten irreguläre Asylbewerber für die Verfahren nach Ruanda ausfliegen und den ostafrikanischen Staat dafür bezahlen, dass er auch die Anerkannten danach integriert. In dieser Woche kippte das Oberste Gericht in London jedoch den gesamten Plan mit der Begründung, dass Ruanda für Asylsuchende kein sicherer Drittstaat sei.
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Die Entstehung des Abkommens zwischen Italien und Albanien ist ungewöhnlich: Die Rechtsaußen-Politikerin Meloni und der Sozialist Rama haben das Projekt offensichtlich bei einem privaten Treffen im Sommer erwogen und seitdem stillschweigend ausgearbeitet. Warum Albanien Meloni in ihrem Kampf gegen die illegale Migration, die sie bisher allen Wahlversprechen zum Trotz nicht in den Griff bekommt, so großzügig zur Seite stehen will, ist Beobachtern in Rom ein Rätsel.
Flüchtlings-Deal: Albanien nennt als Grund „Dankbarkeit“
Dass Rama sich mit Meloni gut versteht und sich regelmäßig mit Begeisterung über die Rechtspopulistin äußert, gilt nicht als hinreichender Grund für die Hilfe zur Errichtung der Migrantenzentren, die jährlich bis zu 36.000 Menschen aufnehmen sollen. „Wenn Italien ruft, sind wir da. Wir helfen, weil Italien uns geholfen hat“, erklärte Rama nach der Vertragsunterzeichnung.
Eine finanzielle Gegenleistung Roms an Albanien für die Bereitstellung seines Territoriums sei nicht vorgesehen, versicherte der Regierungschef. Er tue dies einzig aus Dankbarkeit und Freundschaft gegenüber Italien, das Albanien in den Neunzigerjahren, als Zehntausende albanische Staatsangehörige vor der Armut in ihrem Land über die Adria nach Apulien flüchteten, ebenfalls großzügig unterstützt und nie eine Gegenleistung dafür verlangt habe.
Europarat hat einige Fragen in Bezug auf die Menschenrechte
Doch Experten zweifeln an der Wirksamkeit der Vereinbarung – unter anderem deshalb, weil das Problem der Abschiebungen in die Herkunftsländer bestehen bleibt. Der Pakt werde Italien auch kaum eine echte Entlastung bei der Bewältigung des Ansturms der Migranten bringen. Die italienischen Oppositionsparteien kritisieren Melonis Albanien-Pläne scharf. Die Mittepartei Piu Europa sprach von einem „italienischen Guantanamo“ – in Anspielung auf das umstrittene US-Straflager Kuba.
Und auch in Albanien gibt es heftige Kritik. Ein Sprecher der Brüsseler EU-Kommission erklärte, dass die Kommission zwar von Italien über die Pläne informiert worden sei, dass aber Einzelheiten noch fehlten. Dafür hat sich bereits der Europarat in Straßburg in Stellung gebracht, der unabhängig von der Europäischen Union arbeitet.
Das geplante Abkommen werfe Fragen in Bezug auf die Menschenrechte auf und trage zu einem „besorgniserregenden europäischen Trend“ zur Auslagerung der Asylverantwortung bei, sagte die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Dunja Mijatović. Sie befürchte, dass es in der Praxis künftig zu einer unterschiedlichen Behandlung kommen wird zwischen denjenigen, deren Asylanträge in Albanien geprüft werden, und jenen, deren Anträge in Italien geprüft werden.
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