Moskau. Putin legt neue Erkenntnisse zum Prigoschin-Absturz vor, aber keinen Abschlussbericht. Doch die Zukunft der Wagner-Truppe klärt sich.
Für Wladimir Putin ist alles klar: An Bord des Privatjets, mit dem Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und seine Führungsriege am 23. August abstürzte, sei eine Handgranate explodiert. Der russische Präsident beruft sich auf den Leiter der Untersuchungskommission, der ihn informiert habe. Demnach seien in den sterblichen Überresten der Absturzopfer Granatsplitter entdeckt worden.
Es seien Fragmente von Handgranaten in den Leichen der Absturzopfer gefunden worden, eine „äußere Einwirkung auf das Flugzeug“ habe es nicht gegeben. Der Schönheitsfehler der Erklärung: Ein offizieller Abschlussbericht wird nicht dazu geliefert. Zumindest nicht öffentlich. Das Rätselraten geht also weiter.
Klar ist nur: Kremlchef Putin braucht weder Prigoschin noch seine Gegner und Kritiker. Er braucht aber sehr wohl Prigoschins kampferprobte Wagner-Truppe. In Afrika und auch in der Ukraine. Im Krieg war Wagner in der Vergangenheit der Garant für militärische Erfolge.
Manche Wagner-Soldaten werden wohl in Kampfeinheiten zusammenbleiben, allerdings nicht als selbständige Privatarmee wie unter Jewgeni Prigoschin, sondern als Teil der Rosgwardija, der Putin-loyalen russischen Nationalgarde, berichten russische Medien. Wagner sei „endlich aufgelöst worden“, so Andrej Kartapolow, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des russischen Parlaments. Der Abgeordnete Alexander Chinstein ergänzt: „Ehemalige Kämpfer können nur auf individueller Basis Verträge als Freiwillige abschließen.“
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Wagner-Söldner ja, aber unter seiner Kontrolle, so hatte es Putin nach Prigoschins gescheitertem Marsch auf Moskau wohl geplant. Wenige Tage nach der Rebellion trafen sich Jewgeni Prigoschin und seine Wagner-Kommandeure zur Überraschung vieler mit dem Kremlchef. Prigoschin hatte die Eingliederung seiner Kämpfer in die regulären russischen Streitkräfte abgelehnt.
Putin sagte laut der Zeitung Kommersant: „Sie hätten sich alle an einem Ort versammeln und ihren Dienst fortsetzen können und nichts hätte sich geändert.“ Viele der Wagner-Kämpfer hätten zustimmend genickt. Prigoschin hingegen habe geantwortet: „Nein, die Jungs werden mit einer solchen Entscheidung nicht einverstanden sein.“
Prigoschins Sohn Pawel: „Ich habe das Kommando über Wagner übernommen“
Nun also soll Wagner nicht als Teil der russischen Armee, sondern der Nationalgarde und wohl auch anderer militärischer Gruppierungen tätig sein. Als Chef bringt sich Prigoschins Sohn Pawel in Stellung. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt er: „Außer mir gibt es niemanden, der die Arbeit meines Vaters fortführen kann. Es gibt keine Zeit mehr zum Trauern und Trauern. Ich habe das Kommando über Wagner übernommen, und sehr bald werden die Wagner-Kämpfer in die Zone des nördlichen Militärbezirks zurückkehren und mit der Vernichtung der Nazis fortfahren.“
Sprich: Weitere Kampfeinsätze in der Ukraine sind geplant. Dort drohen die Kämpfe zum Stellungskrieg zu werden. Größere militärische Erfolge gelingen zurzeit weder Russland noch der Ukraine. Und wirkliche Friedensverhandlungen sind nicht in Sicht. Der Krieg wird wohl auch im kommenden Jahr weitergehen.
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Laut einer Mitteilung eines Prigoschin-nahen Telegram-Kanals seien alle Wagner-Kämpfer aufgefordert worden, Einzelverträge zu unterzeichnen. Allerdings blieben Struktur der Kampfeinheiten und, besonders wichtig, die Kommandeure gleich. Und auch rekrutiert werde wieder. „Wir akzeptieren Kandidaten im Alter zwischen 20 und 55 Jahren.“
Nach Angaben von zwei russischen Online-Portalen werden in Perm, rund 1.100 Kilometer nordöstlich von Moskau, und im sibirischen Nowosibirsk bereits wieder neue Soldaten angeworben. Gesucht seien Leute, „die bereits Kampferfahrung haben.“ Sechs Monate würden die Verträge laufen, die Gehälter lägen zwischen umgerechnet 800 und 2.400 Euro. Ähnliches bietet auch die russische Armee neuen Vertragssoldaten für den Einsatz in der Ukraine.
Die Wagner-Truppe ist nach wie vor in Afrika aktiv
Wagner wird auch weiterhin gebraucht. Zuvorderst in Afrika. In Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik. Wagner-Strategen helfen lokalen Machthabern, die russische Interessen unterstützen, Wahlen zu gewinnen. Im vom Bürgerkrieg geschundenen Mali sind Wagner-Truppen bereits seit Ende 2021 im Einsatz, unterstützen die dortige Militärjunta, die blutig um ihre Macht kämpft.
Jüngst wurde bekannt, dass Wagner mit einem chinesischen Unternehmen einen Vertrag über den Kauf von Bildern zweier Beobachtungssatelliten unterzeichnet hat. Dies schafft der Truppe wichtige Aufklärungskapazitäten. In Afrika – und auch in der Ukraine. Wagner-Chef Prigoschin hatte sich im April während der Kämpfe um die Stadt Bachmut im Osten der Ukraine vor seinen eigenen Leuten gerühmt, er verfüge über Satellitenbilder aus der Region. „Wer außer uns hat in diesem Land Aufklärungssatelliten?“, fragte er damals im Online-Dienst Telegram.
In der Ukraine werden Wagner-Söldner wohl bald wieder auftreten. Zumindest diejenigen, die sich den Achmat-Kämpfern angeschlossen haben, der Privatarmee von Ramsan Kadyrow, dem Anführer der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Für Kampfeinsätze in der Ukraine würde bereits geübt, berichtet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Es ginge um „Kampfkoordination“ und Panzerangriffe, zitiert RIA einen Kommandeur. „Die Besatzungen der Panzergruppen bestehen zu hundert Prozent aus ehemaligen Mitarbeitern von Wagner.“ Geübt würde viel, Munitionsprobleme gebe es nicht.
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