Berlin. Wagner-Chef Prigoschin ist weg, doch der Militärexperte Masala hält es für möglich, dass Putin die „Büchse der Pandora geöffnet“ hat.
Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.
Haben Sie Zweifel daran, dass der russische Präsident Wladimir Putin Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin aus dem Weg geräumt hat?
Carlo Masala: Zunächst einmal ist der Tod Prigoschins noch nicht bestätigt. Aber die Bilder des abstürzenden Flugzeugs deuten darauf hin: Die Maschine wurde entweder abgeschossen, oder es gab eine Explosion an Bord. Das ist kein technischer Fehler, bei dem eine Maschine zufällig abstürzt. Man muss zudem darauf hinweisen, dass das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch die Ablösung von Luftwaffen-Chef Sergej Surowikin verkündet hat. Der Mittwoch war auch der zweite Monatstag von Prigoschins Meuterei. Von daher spricht vieles dafür, dass das Flugzeug – mit oder ohne Prigoschin an Bord – abgeschossen beziehungsweise zum Absturz gebracht wurde.
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Was bedeutet Prigoschins Tod für Putin?
Masala: Für Putin ist das die Demonstration seiner Macht-Konsolidierung nach der Meuterei vor zwei Monaten. Die Revolte hatte deutliche Risse im Fundament des Systems Putin gezeigt. Der Aufstand ging darum, wie der Krieg in der Ukraine geführt wird. Der Ultranationalist Igor Girkin, der 2014 eine ganz entscheidende Rolle bei der Organisation des Krieges im Osten der Ukraine gespielt hat, wurde vor zwei Wochen verhaftet. Surowikin wurde abgesetzt. Ein Teil der Wagner-Führung kam beim Flugzeugabsturz sehr wahrscheinlich ums Leben. Es gab in den letzten Wochen Amtsenthebungen auf der Oberst-Ebene. All dies ist der Versuch Putins, die ultra-nationalistische Gruppe kaltzustellen.
Welche Auswirkungen hat dies auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den Westen?
Masala: Der Tod Prigoschins bedeutet für Selenskyj und den Westen überhaupt nichts. Die Armee Wagner hat nach der Eroberung der Stadt Bachmut keinerlei Rolle im Ukraine-Krieg gespielt. Nach der gescheiterten Meuterei wurden die Wagner-Söldner in der Ukraine dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt. Von daher wird das keine Auswirkungen auf den Verlauf des Krieges in der Ukraine haben.
Ist Prigoschins Tod ein Zeichen von Nervosität, Unsicherheit oder gar Angst von Putin?
Masala: Angst und Unsicherheit hat man bei Putin in den 24 Stunden nach der Meuterei gesehen. Jetzt will er die Kritiker an seiner militärischen Strategie in der Ukraine kaltstellen. Das tut er gerade.
Sitzt Putin jetzt fester im Sattel?
Masala: Das ist noch nicht absehbar. Es kann sein, dass die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Möglicherweise gibt es in den nächsten Wochen und Monaten weitere Mitglieder des extrem nationalistischen Flügels, die sich gegen die russische Kriegsführung stellen. Das hängt davon ab, wie der Krieg in der Ukraine verläuft.
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Könnten die Wagner-Söldner Rache üben?
Masala: Ich halte das für rhetorisches Säbelrasseln der Milizionäre. Die Wagner-Leute, die sich an der Meuterei beteiligt hatten, habe ihre schweren Waffen verloren. Die Söldner, die nach Belarus gingen, verfügen über kein schweres Gerät mehr. Es fehlt schlicht am militärischen Material für eine zweite Meuterei oder einen weiteren Putschversuch.
Welche Rolle wird die Wagner-Armee nun spielen?
Masala: „Das lässt sich momentan schwer sagen. In Mali oder in der Demokratischen Republik Kongo sind die Wagner-Leute bereits dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt. Es gibt andere private Militärfirmen in Russland, die die Aufgabe von Wagner übernehmen könnten. Vielleicht wird ein neuer Chef bei der Rumpf-Wagnertruppe installiert. Aber das ist alles offen.“
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