Berlin/Brüssel. Das Ende der PiS-Regierung steht wohl bevor. Aber auf eine Tusk-Regierung warten vier Hürden – und Konflikte mit Berlin und Brüssel.
Es ist eine gute Nachricht für Polen, Deutschland, das vereinte Europa – und sogar für die Ukraine: Bei den Parlamentswahlen in Polen hat die rechtsnationale PiS-Partei zwar ihre Position als stärkste Kraft verteidigt, ihre Mehrheit aber offenbar verloren. Selbst mit der rechtsextremen Konföderationspartei als einzig möglichem Koalitionspartner reicht es wohl nicht mehr für die Regierung. Der PiS haben unsägliche Kampagnen vor allem gegen Migranten, eine extreme Polarisierung und die unfaire Behandlung der Opposition nicht geholfen – sie hat damit nur so viele Bürger an die Wahlurnen getrieben wie noch nie in der Geschichte der polnischen Demokratie seit 1989.
Stimmen die Prognosen, waren die Wähler der PiS-Regierung und ihrer Affären mehrheitlich müde angesichts einer sich verschlechternden Wirtschaftslage, hoher Inflation und einer Krise des unterfinanzierten Bildungs- und Gesundheitssektors. Das erklärt, warum der Machtwechsel nun zum Greifen nah ist – und warum Europa aufatmen kann. Mit einer liberalen Regierung aus drei Oppositionsparteien unter Führung von Ex-Premier Donald Tusk, die jetzt eine Mehrheit zu haben scheint, wäre nach acht Jahren der Abbau des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung in Polen gestoppt.
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Die Einschränkung der Medienfreiheit und die Schwächung der Demokratie fänden ein Ende. Auch die schlimmen, deutschlandfeindlichen Parolen der Rechtspopulisten wären Geschichte. Der europafeindliche Destruktions- und Blockadekurs der PiS in der EU, die Verachtung für Grundprinzipien der Union: endlich vorbei. Und für die Ukraine ist die Drohung vom Tisch, dass eine polnische Rechtsregierung die Unterstützung im Krieg zurückfährt. Es ist auch höchste Zeit: Denn eine dritte Legislaturperiode mit den Rechtsnationalen an der Macht, die das vereinte Europa vor allem als Geldautomaten missverstehen und es von innen aushöhlen wollen, könnte Polen, aber auch die EU nicht mehr ohne dauerhaften Schaden wegstecken.
Warum eine Tusk-Regierung noch warten muss
Tusk und seine vermutlichen Koalitionspartner stehen für eine grundlegende Neuausrichtung der polnischen Innen- und Europapolitik. Eines der wichtigsten Versprechen der Liberalen ist es, mit einer Revision der Justizreformen die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, den Streit mit Brüssel zu beenden und damit auch die Freigabe der gesperrten EU-Milliarden so schnell wie möglich zu erreichen. Aber auch wenn Tusk schon triumphiert, noch ist er nicht am Ziel. Mindestens vier Hürden liegen vor ihm: Erstens steht das finale Wahlergebnis erst am Dienstag fest – die jetzt vorliegenden Prognosen gelten nach früheren Erfahrungen allerdings als zuverlässig, erwartet werden nur noch kleinere Änderungen.
Zweitens dürfte die PiS trotz allem als stärkste Partei zunächst den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Erst wenn sie wie absehbar keine Mehrheit im Parlament findet, wären die Liberalen an der Reihe. So wird die PiS als Übergangsregierung mit voller Kontrolle über die staatlichen Institutionen mindestens bis Mitte Dezember an der Macht bleiben. Ob die Rechtsnationalen den Machtwechsel ohne Widerstände akzeptieren und die Regierungsgewalt übergeben, wäre erst Ende des Jahres klar; die Signale der PiS-Partei aus der Wahlnacht lassen aber immerhin auf ein korrektes Verfahren hoffen.
Drittens könnte der bis 2025 gewählte Präsident Duda, auch er ursprünglich ein PiS-Funktionär, Gesetzesbeschlüsse blockieren; ohnehin werden sich nicht alle von der PiS durchgesetzten Reformen ohne Weiteres rückgängig machen lassen. Dass die PiS die staatlichen Institutionen, Rundfunk und Fernsehen eingeschlossen, mit Gefolgsleuten besetzt hat, dürfte die Regierungsarbeit nicht leichter machen. Und schließlich viertens: Die PiS und die rechtsextreme Konföderation werden als starke Opposition im Parlament ihren europafeindlichen, bewusst polarisierenden Kurs fortsetzen. Das wird den Spielraum einer Tusk-Regierung eingrenzen.
Wo es Konflikte mit Berlin und Brüssel geben kann
Schon jetzt ist klar, dass auch eine liberale Koalition in der Migrationspolitik keine Kehrtwende einleiten wird. Auch Tusk wird die geplante EU-Asylreform mit einer Lastenteilung bei der Flüchtlingsaufnahme in dieser Form nicht mittragen – das ist eine schlechte Botschaft gerade für den Nachbarn Deutschland. Und sicher wird Tusk versuchen, Polen als selbstbewussten, ehrgeizigen Akteur in der EU zu positionieren – und damit die seit dem Ukraine-Krieg gestiegene strategische Bedeutung des fünftgrößten EU-Landes in stärkeren Einfluss in Brüssel umzusetzen, auch gegen deutsche Führungsansprüche.
Durchweg harmonisch wird es nicht werden in den Beziehungen zur Europäischen Union und Deutschland. Aber sicher darf man sein, dass eine liberale Regierung einen strikt proeuropäischen Kurs verfolgen und die europäischen Spielregeln wieder einhalten würde. Darauf kommt es an. Für die europäische Ebene wäre viel gewonnen, wenn es gelänge, dass Deutschland und Frankreich bei wichtigen Fragen gemeinsam mit Polen an einem Strang ziehen. Und für eine Besserung des angespannten Verhältnisses zwischen Berlin und Warschau wird wichtig sein, dass sich die Bundesregierung bei trennenden Themen auf Polen zubewegt.
Nach dem Scheitern der deutschen Russland- und Energiepolitik, die in Polen parteiübergreifend großes Misstrauen verursacht hatte, wartet das Nachbarland auf Signale, dass Deutschland es ernst meint mit der Zeitenwende. Da gibt es noch einiges zu klären – aber bitte auf Augenhöhe, was in Warschau zu oft bei den Deutschen vermisst wird. Der Erleichterung in Berlin über den Wahlausgang müssen Taten folgen: Die Bundesregierung sollte zügig die Hand reichen für eine Neubelebung der Beziehungen zum wichtigen Nachbarn im Osten.
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