Warschau/Berlin. Haben in Polen Hunderttausende Menschen aus Afrika und Asien Visa gegen Schmiergeld bekommen? Die Opposition spricht von Korruption.
Einen Monat vor den Parlamentswahlen in Polen gerät die polnische Regierung durch eine Visa-Affäre unter Druck. Während die regierende nationalkonservative PiS-Partei offiziell einen harten Anti-Migrationskurs fährt, sollen in großem Stil Visa für Arbeitsmigranten aus Asien und Afrika gegen Schmiergeld genehmigt oder beschleunigt ausgestellt worden sein. Gegen sieben Verdächtige wird ermittelt, drei wurden verhaftet. Die Opposition spricht von 250.000 Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen, die möglicherweise regelwidrig vergeben wurden. Es handele sich um „einen der größten Skandale des 21. Jahrhunderts in Polen“, sagt Oppositionsführer Donald Tusk.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte die Affäre eigentlich kleinkochen wollen. Ende August feuerte er Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk mit der Begründung, man sei „nicht zufrieden“ mit ihm. Erst jetzt wird der wahre Grund bekannt: Wawrzyk soll die politische Verantwortung für ein System tragen, bei dem Zwischenfirmen in Afrika und Asien für hohe Geldsummen polnische Visa anboten. Wawrzyk vertraute auf politischen Rückhalt, denn die polnische Wirtschaft sucht händeringend nach Arbeitskräften, etwa im Baugewerbe oder der Gastronomie: Wawrzyk machte Druck bei der Visa-Erteilung – und regelte bis ins Detail, wie die Konsulate bestimmten Personengruppen Einreisegenehmigungen zu erteilen hatten.
US-Behörden wurden misstrauisch: So kam die Visa-Affäre ans Licht
Teilweise soll der Vizeminister persönlich Listen mit Hunderten Namen an Konsulate geschickt haben mit der Maßgabe, den Personen schnellstens Visa zu erteilen. Offenbar wurden Migranten ohne Sicherheitsüberprüfung beschleunigt ins Land gelassen, wenn sie über private Firmen zunächst bis zu 800 Euro für die Antragstellung und später Tausende Euro für das Visum hinblätterten; in Indien sollen sogar bis zu 40.000 Euro gezahlt worden sein. Einwanderer aus Indien wurden etwa als Filmcrew für eine Bollywood-Produktion getarnt. In Kenia waren bereits im Mai Berichte aufgetaucht, nach denen Antragsteller um Tausende Dollar erleichtert wurden.
Ein Teil der Migranten hatte nach Mexiko und von dort in die USA weiterreisen können. US-Behörden wurden misstrauisch. Daraufhin ermittelte die polnische Anti-Korruptionsbehörde CBA, auch im Außenministerium. Ermittlungen richten sich unter anderem gegen Ministeriumsbeamte, aber offenbar nicht gegen Wawrzyk. Zu den inzwischen Inhaftierten zählt der in Warschau lebende indische Geschäftsmann Saikat B., der Bestechungsgelder für die Visa verteilt haben soll. Hinweise darauf, dass die Arbeitsmigranten nach Deutschland weiterreisten, gibt es bisher nicht.
Unklar ist das Ausmaß der Affäre – und wer alles von den Schmiergeldern profitierte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mehrerer Hundert Arbeitsvisa in arabischen Ländern, Indien oder den Philippinen. Außenminister Zbigniew Rau erklärte am Montag, es sei „bei der Ausstellung von rund 200 Dokumenten zu Unregelmäßigkeiten gekommen“. Die Ermittlungen der Anti-Korruptionsbehörde sind allerdings umfassender. In Zeitungsberichten ist von 350.000 oder sogar 600.000 verkauften Visa die Rede. Es gebe, warnt Tusks Bürgerplattform, im Außenministerium mit großer Wahrscheinlichkeit Korruption auf höchster Ebene.