Berlin. Der Militärexperte hält einen Zwei-Fronten-Krieg für „nicht unwahrscheinlich“. An die Bundesregierung richtet er eine klare Empfehlung.
Nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala könnte der Krieg im Nahen Osten auch eine Beteiligung Deutschlands erfordern. „Wenn die Israelis Deutschland um militärische Hilfe bitten, sollten wir dies auch anbieten“, sagte Masala unserer Redaktion. Er rechnet beim Kampf gegen die radikalislamische Terrororganisation Hamas mit einer „langen und sehr gefährlichen Intervention“ Israels im Gazastreifen. Ein Zwei-Fronten-Krieg sei „nicht unwahrscheinlich“, prognostiziert der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.
Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet stand im Ruf, eine der bestinformierten Spionage-Organisationen der Welt zu sein. Haben Sie eine Erklärung, warum der Dienst keinen Schimmer von den unvorstellbaren Terrorplänen der Hamas hatte?
Carlo Masala: Die Frage ist, ob der Geheimdienst wirklich keinen Schimmer hatte oder ob er Informationen über einen bevorstehenden Anschlag bekommen hat, diese aber falsch interpretiert hat. Das alles können wir derzeit nicht wissen. Allerdings ist es relativ unwahrscheinlich, dass eine derart massive Operation dem Geheimdienst komplett entgangen ist. Die Hamas hat ja betont, dass sie ein Jahr für die Vorbereitungen gebraucht hat. Sollte Schin Bet die Regierung vor einem Terroranschlag gewarnt und diese das ignoriert haben, läge die Verantwortung natürlich auf der politischen Ebene. Das werden wir aber erst nach dem Krieg wissen.
Israel galt international als Goldstandard für Sicherheit. Wie kann es sein, dass Geheimdienste, Grenzpolizei, Armee und Regierung beim Terroranschlag total versagten?
Masala: Alle Einheiten der Armee, die eigentlich für den Schutz des Gazastreifens zuständig waren, sind ins Westjordanland verlegt worden. Die Hamas hat es geschafft, an einigen Abschnitten den Grenzzaun zu durchzubrechen: Sie hat die Funksignale der Sensoren gejammt – also gestört – und die Kameras kaputtgeschossen. Das ist schon ein krasses Versagen des israelischen Grenzschutzes.
Die Anzeichen für eine israelische Bodenoffensive im Gazastreifen mehren sich. Kann eine solche Intervention gelingen?
Masala: Die Frage ist, worin das Ziel der Bodenoffensive besteht. Die israelische Regierung hat die Marschroute ausgegeben, der Hamas politisch und militärisch das Rückgrat zu brechen. Eine Bodenoffensive in Gaza würde in urbanem Gelände stattfinden. Das gehört mit zu den schwierigsten und kompliziertesten Operationsarten. Es würde eine lange und sehr gefährliche Intervention. Natürlich steht es in den Sternen, ob das am Ende gelingt. Aber die Israelis sind wild entschlossen, ihr politisches Ziel umzusetzen.
Wie riskant wäre eine Bodenoffensive für die verschleppten Geiseln?
Masala: Die Hamas hat bereits sehr deutlich erklärt: Wenn bei einer israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen Zivilisten ums Leben kommen, werden Geiseln exekutiert. Die Situation für die Geiseln ist generell hochgefährlich. Bei einer laufenden Bodenoffensive wird sie noch gefährlicher.
Gäbe es militärtechnisch noch intelligentere Optionen als eine große Bodenoffensive?
Masala: Es gäbe noch die Option, Gaza aus der Luft zu zerstören. Das würde aber zu noch mehr Toten und zivilen Opfern führen. Nein, es gibt keine militärische Alternative für eine Bodenoffensive.
Israel hat Ziele im Libanon angegriffen. Die schiitische Hisbollah-Miliz hat mit Raketen zurückgeschossen. Wie wahrscheinlich ist es, dass Israel in einen Zwei-Fronten-Krieg mit der Hamas und der Hisbollah gerät?
Masala: Das ist nicht unwahrscheinlich. Wir sehen den Versuch der Hisbollah, einen Zwei-Fronten-Krieg zu eröffnen. Die Frage ist, ob die Entsendung des Flugzeugträgers USS „Ford“ sowie weiterer amerikanischer Kriegsschiffe abschreckend genug auf den Iran und die Hisbollah wirkt, genau diese zweite Front nicht aufzumachen.
Könnte Israel einen Zwei-Fronten-Krieg gewinnen?
Masala: Das kann man nicht voraussagen. Wir wissen nicht, in welchem Umfang ein Zwei-Fronten-Krieg geführt würde. Offiziell hat Israel mit der Doktrin der entschiedenen Siege genau ein solches Szenario im Blick. Aber ob diese Doktrin auch vernünftig umgesetzt werden kann, steht völlig in den Sternen. Wir wissen: Jeder Plan scheitert beim ersten Feindkontakt.
Sollte Deutschland den Israelis militärische Hilfe anbieten?
Masala: Die Frage ist, ob Israel militärische Hilfe will. Wenn die Israelis Deutschland um militärische Hilfe bitten, sollten wir dies auch anbieten.
In welcher Form?
Masala: Das ist die Entscheidung der Israelis. Deutschland wird sicherlich keine Bodentruppen entsenden. Deutschland könnte den Sanitätsdienst schicken, vielleicht bei der maritimen Seite helfen oder durch ABC-Schutz. Die Frage ist, was die Israelis von Deutschland fordern könnten.
Der Iran hat eine Waffenbrüderschaft mit Russland. Die USA fühlen sich als Schutzmacht Israels der Verteidigung des Landes verpflichtet. Sehen Sie das Risiko, dass der aktuelle Konflikt in einen großen Krieg mündet?
Masala: Nein. Die Russen haben kein Interesse an einer absoluten Eskalation des Konflikts. Im Übrigen ist die Waffenbrüderschaft zwischen Russland und dem Iran keine Allianz, die sich gegenseitig Beistand versichert. Aber klar: Russland hat im Nahen Osten Interessen. Aber genau deshalb ist Moskau nicht daran gelegen, dass es zu einer maximalen Eskalation kommt.
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