Moskau. Putin trifft am Montag in Sotschi auf Erdogan. Der Kreml-Chef will die Türkei von einem Getreide-Deal ohne die Ukraine überzeugen.
Der Plan, über den Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan sprach, dürfte der Ukraine ganz und gar nicht gefallen. Russland will mit finanzieller Unterstützung aus Katar eine Million Tonnen Getreide zu einem ermäßigten Preis in die Türkei liefern, dort könnte das Getreide verarbeitet und an die bedürftigsten Länder weitergeleitet werden. Russland und die Türkei könnten davon profitieren. Unklar ist, welchen Anreiz Katar hätte, sich an der von Russland vorgeschlagenen Vereinbarung zu beteiligen.
Am heutigen Montag (4.9.) reist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Moskau. Beim Treffen mit Wladimir Putin wird es vor allem um das Getreideabkommen gehen. Das Treffen der beiden Außenminister diente zur Vorbereitung. Russlands Position zum Abkommen ist altbekannt:
Lawrow verlangte vom Westen Garantien, dass sein Land Getreide und Dünger ungehindert ausführen dürfe. Dann sei Russland bereit zum Getreideabkommen zurückzukehren. Fikan verwies auf neue Vorschläge von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, die die russischen Interessen berücksichtigen würden. Und Lawrow erwiderte, die Vorschläge von Guterres seien weiterhin nur Versprechungen, keine harten Garantien.
„Leuchtfeuer der Hoffnung“ bald Geschichte?
Von einem „Leuchtfeuer der Hoffnung“ sprach dereinst Guterres. Das Getreideabkommen war einer der wenigen diplomatischen Erfolge seit Beginn der Kämpfe in der Ukraine. Die Vereinbarung, nachdem die Ukraine aus den belagerten Schwarzmeer-Häfen Getreide exportieren konnte, war im Juli vergangenen Jahres unter Vermittlung der UN und der Türkei zustande gekommen. Russland hat es ausgesetzt und beschießt seitdem ukrainische Hafen- und Verladeanlagen, etwa die von Odessa. Gewinnt Russland die Türkei für den neuen Plan, wäre das Abkommen wohl endgültig Geschichte.
Nicht nur finanziell, auch politisch wäre das für Russland einträglich. Denn das international zunehmend isolierte Land wirbt insbesondere um die Staaten Afrikas. Und die brauchen nichts dringender als Getreide. Viele Länder im Globalen Süden sind nicht in der Lage, sich selbst zu ernähren. Russlands Pläne wurden auf dem Afrika-Gipfel Ende Juli in Sankt Petersburg deutlich.
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Kremlchef Putin hatte den Vertretern des Kontinents verlässliche Lebensmittellieferungen zugesichert. „Russland bleibt ein zuverlässiger Lieferant von Nahrung für Afrika.“ Russland sei „ohne jeden Zweifel“ in der Lage, „ukrainisches Getreide auf kommerzieller Basis und kostenfrei zu ersetzen, zumal wir dieses Jahr eine weitere Rekordernte erwarten“, erklärte Putin.
Putin: Wiederaufnahme des Abkommens nicht ausgeschlossen – unter russischen Bedingungen
Ganz eine Rekordernte wird es in diesem Jahr wohl nicht werden. Laut dem Landwirtschaftsministerium würden in diesem Jahr voraussichtlich 123 Millionen Tonnen Getreide geerntet. Im vergangenen Jahr seien es laut der Statistikbehörde Rosstat fast 158 Millionen gewesen. Doch nach der Aussetzung des Abkommens hat Russland seine Getreideexporte extrem steigern können. Im August verschiffte man 6,4 Millionen Tonnen Getreide. Das sind 27 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Elena Türina vom Russischen Getreideverband. Die Weizenlieferungen seien um 29 Prozent auf fast 5,4 Millionen Tonnen, gestiegen.
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„Die Nachfrage nach russischem Weizen ist sehr hoch. Die Zahl der Abnehmerländer blieb im August auf dem Niveau vom August letzten Jahres, aber die Geographie der Exporte hat sich ziemlich stark verändert“, so Türina. Spitzenreiter sei Ägypten. Dorthin sei doppelt so viel exportiert worden wie im August 2022. Insgesamt 600.000 Tonnen. Auf Platz zwei läge Algerien. Neu seien auch Lieferungen nach Brasilien, Mexiko, Venezuela und Peru. Im letzten Jahr gehörten diese Länder noch nicht zu den Abnehmern von russischem Getreide, so der Getreideverband.
Bei derart guten Exportzahlen ist es kein Wunder, dass Russland die Messlatte für eine mögliche Wiederaufnahme des Getreideabkommens mit der Ukraine extrem hoch hängt. Eine Wiederaufnahme der Vereinbarung sei nicht ausgeschlossen, sagt Präsident Putin. Allerdings nur unter den russischen Bedingungen. Es gehe um die Wiederaufnahme der Lieferungen von Ersatzteilen und Komponenten für Landmaschinen und die Düngemittelindustrie an Russland. Die Logistik der russischen Agrarindustrie dürfe nicht behindert werden, Vermögenswerte aus diesem Sektor müssten freigegeben werden.
Bisheriges Abkommen: Nicht nur finanziell, sondern auch politisch wenig interessant für Russland
Wichtigste Bedingung allerdings ist, dass die russische Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Bankenabwicklungssystem SWIFT angeschlossen wird, über das russische Im- und Exporte von Agrarprodukten abgewickelt werden könnten. Viele russische Banken sind im Zuge der Sanktionen des Westens von SWIFT abgekoppelt worden. Würde der Westen dieser Forderung entsprechen, wäre das ein Aufweichen der Bankensanktionen.
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In Wirklichkeit aber hat Kremlchef Putin nur wenig Interesse an der Wiederbelebung des Getreideabkommens. Geld kommt in die Staatskasse durch glänzende Getreideexporte ohne den lästigen Konkurrenten Ukraine. Russlands Einfluss in Afrika steigt durch Hilfslieferungen. Und die Türkei könnte man durch den neuen Plan enger binden. Für Russland ist die Türkei ein wichtiges Land. Viele sanktionierte Waren kommen über diesen Umweg ins Land. Schon vor dem Treffen mit Erdogan kann Putin zufrieden sein.
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