Berlin. CDU-Generalsekretär Linnemann kritisiert die Ampel. Deutschland sei wirtschaftlich “der kranke Mann Europas“. Das steckt dahinter.
Noch keine drei Wochen ist Carsten Linnemann der Generalsekretär der CDU und schon muss er eine Krise moderieren: CDU-Chef Friedrich Merz hatte in einem Sommerinterview den Eindruck erweckt, auf kommunaler Ebene Kooperationen mit der AfD zu billigen. Der Aufschrei in Teilen der Partei war daraufhin groß. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Linnemann, wie er mit der AfD umgehen will.
Herr Linnemann, wir verstehen die CDU nicht mehr. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern bitte exakt definieren, wie es Ihre Partei mit der AfD hält?
Carsten Linnemann: Es gibt einen glasklaren Beschluss, dass wir auf allen Ebenen eine Zusammenarbeit entschieden ablehnen.
Gilt das auch noch nach den Kommunalwahlen und drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im nächsten Jahr?
Linnemann: Ja.
Warum fällt diese einfache Aussage dem Parteichef so schwer?
Linnemann: Friedrich Merz hat doch ganz klar gesagt, dass wir nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Und ich habe immer mehr den Eindruck, dass einige ihn bewusst missverstehen wollen.
Gleichzeitig hat Friedrich Merz eine Realität beschrieben, mit der alle Parteien umgehen müssen. Es gibt beispielsweise einen AfD-Landrat in Thüringen und gleichzeitig Bürgermeister anderer Parteien. Wenn der Landrat wegen einer Schulsanierung anruft, hebt der Bürgermeister natürlich ab. Es ist nur ehrlich, wenn Friedrich Merz diese Fakten benennt. Denn sie betreffen nicht nur uns, sondern auch SPD, Grüne und FDP.
Ist Merz kanzlerfähig, wenn er solche Schwierigkeiten hat, seine Botschaft klar rüberzubringen?
Linnemann: Die Kanzlerfrage wird im Spätsommer nächsten Jahres geklärt. Und wissen Sie, ich war gerade in meinem Wahlkreis: Die Leute sprechen mich auf diese Frage nicht an, die haben andere Sorgen.
CSU-Chef Markus Söder hatte sich nach dem Sommerinterview von Merz schnell kritisch geäußert. Können Sie sich auf die CSU verlassen?
Linnemann: Das Zusammenspiel mit der CSU läuft sehr gut.
Gesagt hatte Merz, es müsse „nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“. Wie gestaltet man gemeinsam mit der AfD?
Linnemann: Die CDU muss so stark sein, dass sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Wir schielen nicht auf andere Parteien, sondern müssen darüber reden, was uns ausmacht. Wenn wir die ganze Zeit über die AfD reden, ist das nur Wasser auf ihre Mühlen.
Können Sie sich vorstellen, im Osten mit der Linken zu koalieren?
Linnemann: Nein. Auch da gibt es einen glasklaren Beschluss.
In der Regierung sieht die CDU die Grünen als „Hauptgegner“. Bleiben nur SPD und FDP als mögliche Koalitionspartner.
Linnemann: Die Frage nach Koalitionen auf Bundesebene stellt sich zurzeit nicht, deshalb mache ich mir darüber auch keine Gedanken. Und von den Ampel-Parteien sind die Grünen inhaltlich tatsächlich am weitesten von uns weg. Mein Ziel ist aber CDU pur.
Was heißt das?
Linnemann: Wir dürfen nicht immer von vorneherein in Kompromissen denken. Die Menschen sollen wissen, wofür die CDU steht. Wir müssen die Partei wieder erkennbar, sichtbar und unterscheidbar machen. Wir brauchen Köpfe, die für unsere Themen stehen. Und wir brauchen Geschlossenheit. Deswegen habe ich mich darüber geärgert, dass manche in der Partei die Debatte über die Äußerungen aus dem Sommerinterview auf Twitter geführt haben. Das schadet nur der CDU.
Was sind Ihre Themen?
Linnemann: Wir wollen für die leise, aber klare bürgerliche Mehrheit da sein, die sich an die Regeln hält, arbeiten geht und sich abends vielleicht noch ehrenamtlich engagiert. Drei Themen treiben diese Menschen um: Erstens, Leistung wird zu wenig honoriert. Deswegen habe ich zum Beispiel vorgeschlagen, dass Überstunden nicht besteuert werden. Zweitens muss das Prinzip Fördern und Fordern gelten. Fordern findet kaum noch statt, das Bürgergeld hat da etwas ins Rutschen gebracht, schon der Begriff ist irreführend. Drittens brauchen wir einen funktionsfähigen Staat, von der Bildung über das Gesundheitssystem bis hin zu einem Rechtsstaat, der Recht auch wirklich durchsetzt.
Sie fordern Schnellurteile gegen Gewalttäter im Freibad. Deutschland hat aber viel zu wenig Justizpersonal.
Linnemann: Es stimmt, wir haben mittlerweile fast in allen Bereichen Fachkräftemangel, auch in der Justiz. Aber hier ist es auch eine Frage des politischen Willens. Das sehen Sie am Beispiel von Heilbronn, wo Schnellverfahren erfolgreich angewendet werden. Innerhalb von wenigen Wochen sind Dutzende Urteile in beschleunigten Verfahren gefällt worden. Dann sehen die Menschen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Wenn wir solche Themen benennen und anpacken, wählen die Menschen auch weniger Populisten an den politischen Rändern.
Aus der CDU kommt der Vorstoß, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen. Unterstützen Sie das?
Linnemann: Wir müssen in der Migrationspolitik zwischen kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen unterscheiden. Wir müssen wissen, wer im Land ist, deshalb brauchen wir kurzfristig auch Kontrollen an den deutschen Grenzen, da gebe ich Markus Söder und Boris Rhein recht. Die Debatte um die Zukunft des Asylrechts ist richtig und wichtig auch vor dem Hintergrund der inneren Sicherheit.
Langfristig sollten nur noch Flüchtlinge in die EU einreisen dürfen, deren Schutzbedarf bereits vorher geprüft worden ist. Der Vorschlag von Thorsten Frei sieht vor, dass wir ganz gezielt den wirklich schutzbedürftigen Menschen helfen – und nicht einfach die Stärksten und Schnellsten aufnehmen, die es irgendwie nach Deutschland schaffen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck wünscht sich eine „funktionierende konservative Partei in Deutschland“, um die AfD einzudämmen. Ist die CDU das?
Linnemann: An seiner Stelle würde ich mir weniger Sorgen um die CDU machen, sondern mehr um die Wirtschaft in Deutschland. Herr Habeck unterschätzt die Dramatik der Lage und tut so, als gäbe es kein Problem. Dabei ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas.
Die großen Firmen hauen ab, die kleinen sterben leise. Ebenso wie die Bürger weiß der Mittelstand nicht, was morgen ist. Es gibt keine Planungssicherheit mehr! Ich erwarte von einem Wirtschaftsminister Konzepte, dass er sich darum kümmert. Stattdessen redet die Regierung ein halbes Jahr über das Heizungsgesetz und verunsichert das gesamte Land.
Was macht Ihnen am meisten Sorgen?
Linnemann: Wir haben eine Kerninflationsrate von mehr als fünf Prozent. Die kriegt man so schnell nicht wieder runter. Das ist Diebstahl im Portemonnaie der kleinen Leute. Der Mangel an Fachkräften hat bereits eine bedrohliche Dimension. Noch härter wird uns dieses Problem treffen, wenn die Babyboomer ab 2025 in Rente gehen. Der industrielle Kern unseres Landes schmilzt, damit brechen die Grundlagen unserer Volkswirtschaft für die nächsten Jahrzehnte weg. Ich will von der Regierung hören, was sie dagegen tut. Die Ampel verspielt gerade unsere wirtschaftliche Zukunft und unseren Wohlstand.
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Was würden Sie tun?
Linnemann: Die Firmen brauchen am dringendsten weniger Bürokratie und niedrigere Energiekosten. Bei der Energie ist der Staat der größte Kostentreiber. Anstatt über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis nachzudenken, sollten wir Abgaben und Steuern senken. Ich würde mit der Stromsteuer anfangen und diese auf das europäische Mindestmaß senken.
Und für die Bürger?
Linnemann: Hilfen gegen die Inflation müssen sich auf diejenigen konzentrieren, die auch wirklich Unterstützung brauchen. Diese Gesellschaft bricht sonst auseinander. Dagegen kann übrigens auch die Politik ein Zeichen setzen: In den Ministerien und in den Ministerialbehörden werden immer neue Stellen geschaffen, während überall im Land gespart werden muss.
Oder nehmen Sie den Ausbau des Kanzleramts. Bundeskanzler Scholz sollte jetzt den teuren Erweiterungsbau stoppen. Zugegeben: Die große Koalition aus Union und SPD hat das vor Corona beschlossen, aber viele Mitarbeiter sind auch jetzt noch häufig im Homeoffice. Das Kanzleramt ist groß genug.
Kommt Deutschland als Industrienation mit Erneuerbaren Energien aus oder brauchen wir neue Atomkraftwerke?
Linnemann: Zunächst sollte die Bundesregierung die abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz bringen, damit wir grundlastfähiger sind und weniger abhängig von Stromimporten. Wir müssen auch eine offene Debatte über den Bau neuer Kernkraftwerke mit modernster Technik führen. Ich denke da etwa an eine Technologie, bei der alte Brennstäbe wiederverwertet werden. Daran wird zum Beispiel in Liverpool intensiv geforscht.
Wie wollen Sie das Fachkräfteproblem lösen?
Linnemann: Die Bundesregierung macht den Fehler, sich vor allem auf die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu fokussieren. Das Potenzial ist aber gering: Pro Jahr wandern ungefähr 40.000 bis 60.000 Menschen aus Drittstaaten in den Arbeitsmarkt ein, das löst unsere Probleme nicht. Die Regierung ignoriert sträflich das Potenzial im Inland.
Mein Vorschlag: Wer in Rente geht und freiwillig weiterarbeitet, soll 2000 Euro im Monat steuerfrei verdienen dürfen. Außerdem gibt es allein 600.000 Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, die weder arbeiten noch eine Ausbildung haben. Diese jungen Leute können wir doch nicht einfach verloren geben!
Was wollen Sie mit denen machen?
Linnemann: Das bisherige Bürgergeld-System ist nicht gerecht. Ich will im Bürgergeld eine Pflicht zur Leistung: Wer arbeiten kann und Geld vom Sozialstaat bekommt, soll auch arbeiten müssen. Wer wiederum mit 16 eine Maurerlehre anfängt und nach 45 Jahren nicht mehr kann, muss natürlich unsere volle Unterstützung bekommen. Das ist für mich Fördern und Fordern. Dieses Modell wäre gerecht und würde in der arbeitenden Bevölkerung akzeptiert, die ja mit ihren Steuern und Abgaben den Sozialstaat bezahlt.
Außerdem fordern Sie für jungen Menschen ein allgemeines Pflichtjahr…
Linnemann: Ich bin aus voller Überzeugung für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr. Das würde den Zusammenhalt im Land stärken. Ich möchte, dass wir das Thema parteiübergreifend anpacken. Ich bin offen für Kompromisse, wir sollten das ausprobieren. Ich bin mir sicher, dass 90 Prozent nach einem Jahr sagen würden: Das war eine super Zeit.
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