Berlin. Mehr Kita-Plätze, mehr Bahnverkehr, mehr E-Mobilität: Viele Prestige-Projekte der Ampel sind in Gefahr, weil überall Personal fehlt.
Die Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP könnte nach Einschätzung des Prognos-Instituts wesentliche Ziele ihres Koalitionsvertrags verfehlen, weil es an Fachkräften mangelt. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, die dieser Redaktion vorliegt.
Demnach ist es fraglich, ob sich die Energiewende, die Mobilitätswende, der Wohnungsbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung wie geplant realisiert lassen. "Wir sehen in allen Bereichen deutliche Risiken, dass die Zielerreichung durch personelle Engpässe gefährdet ist", schreiben die Forscher.
Studienleiter Oliver Ehrentraut sagte: "Die Ampel-Regierung sollte ihre Ziele neu bewerten. Es ist zwar richtig, sich ambitionierte Ziele zu setzen. Aber sie müssen auch umsetzbar sein." Deutschland leidet schon jetzt unter einem erheblichen Mangel an Fachkräften, der sich in Zukunft noch verschärfen dürfte. Für ihre Analyse betrachteten die Prognos-Forscher konkret bezifferte Ziele aus dem Koalitionsvertrag. Sie schauten sich überdies an, wie sich die Personalsituation in den betroffenen Sektoren entwickelt.
Fachkräftemangel: Düster sieht es in der Baubranche aus
Besonders ernüchternd fiel die Analyse für den Wohnungsbau aus: Die Ampel will pro Jahr 400.000 Wohnungen bauen lassen, verfehlt das Ziel aber schon jetzt deutlich – unter anderem wegen des bereits gegenwärtig bestehenden Mangels an Personal. Im Bauhauptgewerbe arbeiten zurzeit rund 930.000 Menschen. Die Forscher gehen davon aus, dass das Arbeitskräfteangebot bis zum Ende des Jahrzehnts weiter schrumpfen wird. "Das Ziel, eine deutliche Steigerung des Wohnungsbaus zu erreichen, ist demnach kaum erreichbar."
Auch die Energiewende könnte ausgebremst werden: Die Ampel will unter anderem bis 2030 die Kapazitäten für Windkraft auf See auf mindestens 30 Gigawatt ausbauen, bei der Solarenergie sollen bis dahin sogar rund 200 Gigawatt installiert sein. In der Windkraft arbeiten laut Prognos heute rund 130.000 Menschen, in der Solarenergie knapp 60.000.
In relevanten Berufsgruppen der Energietechnik sei die Fachkräftesituation bereits heute angespannt, betonen die Forscher. "Gleichzeitig rechnen wir in diesen Bereichen mit einer sinkenden Zahl an Arbeitskräften bis 2030, Gründe dafür sind die Altersstruktur der Beschäftigten sowie das Ausbildungsverhalten der nachkommenden Arbeitskräfte."
Personalnot: Weniger Teilzeit hilft nur bedingt
Schwierig dürfte es für die Ampel demnach auch werden, die Kinderbetreuung zu verbessern, bis 2030 die Verkehrsleistung im Bahn-Personenverkehr zu verdoppeln und bis dahin mindestens 15 Millionen Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu bringen.
Die von der Politik propagierte Strategie, Teilzeitbeschäftigte zu längeren Arbeitszeiten zu bewegen und die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen, halten die Forscher für mäßig erfolgversprechend: In den betrachteten Industrie- und Bauberufen arbeiteten heute relativ wenige Frauen und Teilzeitbeschäftigte. Zudem könnten Berufswahl und Arbeitszeitentscheidungen nicht verordnet werden, sie seien unter anderem das Ergebnis langjährig geprägter Rollenbilder.
Das Thema Fachkräftezuwanderung spielt in der Analyse keine Rolle. Studienleiter Ehrentraut sagte: "Die Zuwanderung kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Deutschlands Fachkräfte-Problem zu mindern. Aber ob es gelingt, bereits in den kommenden fünf bis zehn Jahren eine ausreichend große Zahl von passgenau qualifizierten Kräften ins Land zu holen, sei einmal dahingestellt."