Tokio. Die Japaner sind schlanker und ernähren sich gesünder als die Deutschen. Doch woran liegt das? Das zeigt schon ein Blick in die Schulen.

Wüsste man es nicht besser, würde man Rika Shimoyama in einer Kochshow vermuten. An ihrem Hinterkopf ist ein Mikrofon befestigt, das direkt vor ihren Mund ragt. So kann sie durch den Raum gehen, während sie die Zutaten des heutigen Gerichts erklärt und die Köche beaufsichtigt. Was sie sagt, hören alle durch Lautsprecher. Aber auch, wenn es so wirken mag: Shimoyamas Worte richten sich weder an ein TV-Publikum noch an die Gäste einer Lebensmittelmesse. Sie spricht zu ihren Schülern.

Rika Shimoyama ist Lehrerin an der Seikei-Schule im Westen von Tokio und unterrichtet das Fach katei-ka: Hauswirtschaft. In vielen Ländern der Welt – auch in den reichsten – hat Kochen in der Schule kaum Stellenwert. In Japan aber ist Kochunterricht ein Fach wie jedes andere, ja sogar ein wichtiges. Rika Shimoyama sagt: „Wir nehmen dieses Fach schon sehr ernst. Meine Klasse hier ist voller 17-Jähriger, aber schon in der Grundschule wird angefangen, den Kindern das Grundlegende beizubringen.“

Kochunterricht in Japan
An der Seikei-Schule in Tokio steht Kochen auf dem Stundenplan. Anders als in Deutschland ist das Fach schon lange etabliert. © Felix Lill | Felix Lill

Kochunterricht in Japan: „Viele sind erstaunt, wie ungesund manche Produkte sind!“

Dies betreffe nicht nur das Kochen selbst, sondern auch Informationen darüber, was gesund ist und was eher nicht: „Die meisten Schülerinnen und Schüler interessieren sich für Ernährung, aber wissen oft noch nicht, was sie essen sollten“, erklärt die Lehrerin. Dann kauften sie in ihrer Freizeit manchmal Fertiggerichte und geben sich damit zufrieden. „Im Unterricht wollen wir ihnen nahebringen, dass es viel Gemüse braucht, Ballaststoffe, wenig Zucker, möglichst wenig Fett. Und viele sind erstaunt, wie ungesund manche Produkte sind!“

Im Kochklassenzimmer stehen Nährwerttabellen an die Tafel geschrieben. Die Schülerinnen und Schüler sind in Gruppen um Kücheninseln versammelt. Heute gibt es Reis, eine Misosuppe, mit Sesam garnierten Spinat. Außerdem Chawanmushi, eine japanische Version eines Eierstichs mit Garnelen und Petersilie. Dazu etwa Karaage, also frittiertes Hühnchen. Der 17-jährige Ryuki Umeda schwenkt Hühnchenstückchen in brodelndem Fett. „Wir haben gelernt, dass man lieber frisch kochen sollte, weil die Zusatzstoffe in Fertiggerichten oft nicht gesund sind“, berichtet er. „Ich mache hier gerade das Karaage für die ganze Klasse.“

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Ist das nun gesund? „Es ist zwar fettig. Aber wenn man es nur selten isst, ist es okay“, meint Ryuki Umeda. Im Unterricht werden auch traditionelle Gerichte aufgegriffen und diskutiert. Nicht immer wird klassisch Japanisch gekocht. Die am Tokioter Stadtrand gelegene Seikei-Schule erntet sogar teilweise aus dem eigenen Schulgarten – ein Luxus, den gerade in der dicht besiedelten Metropole nicht jede Lehranstalt hat.

Experte: Das haben japanische Schulen den deutschen voraus

Insgesamt lernen die Schülerinnen durch Anbau, Geschmacksschulung und dem Hantieren mit verschiedenen Zutaten hautnah, was gesund ist und was nicht. Auch dies mache Japan zum Vorbild für andere Länder, findet Vincent Lesch, Japanologe an der Universität Heidelberg und Bildungsexperte: „In Japan wird ja sogar über die korrekte Zubereitung geredet und: Welche Aminosäuren in den Lebensmitteln selbst bei welcher Zubereitungsart für den guten Geschmack verantwortlich sind.“

An Tagen ohne Kochunterricht wird ebenso gemeinsam in der Schule gegessen. Auch dies helfe dabei, Ernährungsbildung zu betreiben: „In Japan ist das Schulessen, das ‚kyushoku‘, integraler Bestandteil des Schulalltags. Die Mahlzeiten werden je nach Schulstufe zentral in der Schule zubereitet und dann wird da auch gemeinsam in den Klassenräumen gegessen.“ Andere Schulstufen kochen zusammen oder treffen sich zum Mittagessen in der Mensa. Der Leitgedanke dahinter: Man isst zusammen.

Seit 2005 ist dies sogar in einem Gesetz manifestiert, mit Leitbegriff „shokuiku“ – Ernährungserziehung. In Artikel 2 heißt es: „Shokuiku muss unter dem Grundsatz vermittelt werden, dass es zur Förderung der körperlichen und geistigen Gesundheit der Bürger und zur Entwicklung der Menschlichkeit beiträgt, indem es ihnen hilft, die Fähigkeit zu entwickeln, angemessene Entscheidungen hinsichtlich ihrer Ernährung zu treffen und ihr Leben lang gesunde Ernährungsgewohnheiten beizubehalten.“

Austauschschülerin: „Habe in Deutschland zehn Kilo zugenommen“

All dies soll auch dazu beitragen, die Ernährung weniger von den finanziellen Mitteln des Einzelnen abhängig zu machen. Im von Privatschulen geprägten Japan ist sozialer Ausgleich durch Bildung zwar eine Herausforderung. Aber die Zahlen geben dem Ansatz zumindest auf der Gesundheitsebene recht, wie Vincent Lesch betont: „Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in Japan sehr gering. Wir sind in Japan je nach Studie bei zwischen fünf und 14 Prozent, wohingegen das in Deutschland jedes vierte Kind ist. Tendenz steigend.“

Kochunterricht in Japan
Im Kochunterricht lernen japanische Schüler, wie gesunde Ernährung funktioniert. © Felix Lill | Felix Lill

Wie Japan im Vergleich zu Deutschland abschneidet? Die Schülerin Sakura Tanabe, die die Seikei Schule in Tokio besucht, hat ein paar Eindrücke gesammelt. „In Deutschland gibt es das Fach gar nicht. In der Schule gab es auch nicht so viele Essensangebote“, sagt die 16-jährige, die das letzte Jahr als Austauschschülerin in Heidelberg verbrachte. „In meiner Austauschzeit hab‘ ich zehn Kilo zugenommen. Und als ich dann wieder nach Japan kam, meine normale Ernährungsweise hatte, verschwanden die Kilos wieder.“

Im Kochunterricht wird jetzt gegessen. Und was meint die Lehrerin? Rika Shimoyama nickt: „Insgesamt bin ich zufrieden. Das karaage war an einigen Stellen etwas zu sehr gebraten. Dann wird es zu fettig. Dann war das Chawanmushi manchmal noch etwas zu flüssig.“ Aber um das zu lernen, steht ja Kochen auf dem Stundenplan.