Berlin. Erst nachdenken, dann reden – das ist nicht die Welt von Thomas Gottschalk. Aus der TV-Legende ist ein Mann voller Widersprüche geworden.

Eigentlich ist Thomas Gottschalk genau dort, wo er sich immer wohlfühlte: im Scheinwerferlicht. Jeder spricht über ihn. Doch etwas ist anders als früher. Aus einem Entertainer, auf den sich (fast) alle einigen konnten, der Fernsehen früher zum Gemeinschaftserlebnis verschiedener Generationen machte, ist ein 74 Jahre alter Mann geworden, der damit hadert, dass die Welt nicht mehr die gleiche ist wie vor 30 Jahren.

Der 2024er Gottschalk wankt zwischen Selbsterkenntnis und Selbstmitleid. Im „Spiegel“-Interview, das ihm seit Tagen um die Ohren fliegt, räumte der 74-Jährige ein, dass er „verunsichert“ und nicht mehr so „trittsicher“ wie früher sei.  Im WDR-Talk „Kölner Treff“ sagte er: „Heute ist es so, dass ich erst einmal nachdenke, bevor ich etwas sage.“

Gottschalk widerlegt sich selbst

Nichts daran ist schlimm. Es ist sogar mutig, diese Verunsicherung auszusprechen. So wie ihm geht es vielen Menschen, nicht nur jenen im fortgeschrittenen Alter. Schade ist, dass Gottschalk all diese Dinge als Last empfindet. Er möchte nicht erst nachdenken, bevor er etwas ausspricht. Er möchte sein Weltbild nicht infrage stellen, nicht dazulernen, nicht zuhören.

Stattdessen widerlegt sich Gottschalk selbst. Er sagt, er könne nicht mehr sagen, was er denke, tut aber genau das und hat gleich auch noch ein Buch darüber geschrieben, das praktisch eine Bestseller-Garantie hat. Was anders ist als früher: Der Intendant klopft einem nicht mehr auf die Schulter und sagt: „Tolle Einschaltquote, Thommy!“ Heute kann jeder Widerspruch äußern. Und der tut mitunter weh.

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Grapsch-Vorwürfe schmerzen Gottschalk

Gottschalk schmerzt es offensichtlich, von einigen als „Grapsch-Onkel“ gesehen zu werden, der weibliche Gäste in seinen Shows früher reihenweise betatscht habe. Das ist verständlich. Er sieht sich nicht als Mann, der sich Frauen gegenüber übergriffig verhalten habe, es sei immer nur um die Show gegangen. Alles sei „rein dienstlich“ gewesen.

Leider hat Gottschalk große Mühe, sein Verhalten zu reflektieren. Ja, er würde das heute so nicht mehr machen, räumt er ein. Doch der Grund, den er dafür nennt, lässt einen fragend zurück: Gewisse Dinge seien inzwischen einfach „politisch inkorrekt“. Was hat Politik damit zu tun, wenn es um die Frage geht, ob man eine Frau ungefragt anfassen sollte?

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Schlimmer ist die Tatsache, dass Gottschalk die #MeToo-Bewegung verhöhnt, indem er sagt, er würde nicht einmal mehr alleine mit einer Frau im Aufzug fahren. Am Ende hieße es noch, er habe sie angefasst. #MeToo hat in erster Linie etwas mit Fällen des systematischen Machtmissbrauchs von Männern gegenüber Frauen zu tun. Gottschalk denkt in diesem Zusammenhang offenbar zuerst an falsche Verdächtigungen gegenüber Männern. Er behauptet sogar, „jeder Mann“ würde merken, wenn seine Avancen gegenüber einer Frau unerwünscht sind und sich dann zurückhalten. Dass er das nach mehreren Jahrzehnten im TV-Geschäft glaubt, ist erstaunlich.

Früher war alles besser?

Ich habe Gottschalk als Kind immer bewundert. Als Zwölfjähriger habe ich mich nicht daran gestört, wenn der Mann mit der blonden Mähne der jungen Frau auf dem Sofa neben sich die Hand aufs Knie legte. Und auch heute halte ich ihn deswegen nicht für einen ungezügelten Triebtäter. Aber ich weiß inzwischen, warum man als Mann seine Hände bei sich behalten sollte. Und das hat nichts mit „politischer Korrektheit“ zu tun.

Ich bin halb so alt wie Gottschalk. Die Verunsicherung, die er spürt, spüre ich in manchen Dingen auch mit 37 Jahren schon. Aber ich habe kein Problem damit. Ich höre Menschen zu, die andere Ansichten oder andere Perspektiven haben. Ich hoffe, das ändert sich nicht. Ich will kein verbitterter „Früher war alles besser“-Mann werden. Ich will kein Mann wie Thomas Gottschalk werden.