Berlin. Die Zahl der Geier in Indien ist enorm gesunken – von 50 Millionen auf einige Tausend. Warum das Hunderttausende Menschen das Leben kostet.

Sterben die Bienen, liegen die Felder brach. Und ohne Ameisen läuft im Wald gar nichts mehr. Für eine gesunde Umwelt ist der Mensch auf gesunde Tierarten angewiesen. Doch die Wichtigkeit einer besonderen Gruppe wird oft übersehen: die der Vögel. Als in Indien in den 90er Jahren Millionen Geier verendeten, hatte das laut einer neuen Studie auch dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen.

Bis zu eine halbe Million Menschen könnten zwischen 2000 und 2005 an den Folgen des Rückgangs der indischen Geier-Population gestorben sein, berechnet eine noch nicht veröffentlichte Untersuchung. Dem Massensterben vorausgegangen war die Einführung eines Schmerzmittels für Viehtiere, das für die Geier toxisch ist. Doch woran starben die vielen Menschen?

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Geier verhindern die Ausbreitung von Krankheiten – Hunde und Katzen fördern sie

Der auf dem indischen Subkontinent heimische Indiengeier kann eine Flügelspanne von bis zu 2,38 Meter erreichen und ist damit etwas kleiner als der auch in Südeuropa vorkommende Gänsegeier. Als Aasfresser ernährt er sich von Tierkadavern, die er bis auf den letzten Muskel abnagt. Eine große Gruppe von Geiern kann eine tote Kuh innerhalb von 40 Minuten bis auf die Knochen verzehren, berichtet „Science Alert“.

Ein Indiengeier frisst den Kadaver eines Wasserbüffels.
Ein Indiengeier frisst den Kadaver eines Wasserbüffels. © picture alliance / WILDLIFE | WILDLIFE/P.Oxford

Damit kommt Geiern eine wichtige hygienische Rolle in der Umwelt zu. Die vielen Viren und Erreger in den toten Tieren sind für den Indiengeier ungefährlich, während streunende Haustiere wie Hunde oder Katzen sie mitunter aufnehmen und die Erreger so sogar weitertragen. Ohne die Geier werden die Tierleichen zur Gesundheitsgefahr – auch für Menschen.

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Schmerzmittel Diclofenac führte zum Sterben von Millionen Geier

Dementsprechend katastrophal war die Einführung des Tiermedikaments Diclofenac, das 1994 auf dem indischen Markt eingeführt wurde. Kadaver der mit dem Schmerzmittel behandelten Weidetiere entwickelten sich zur tödlichen Falle für die Indiengeier, die das Medikament nicht vertragen. Die Population sank innerhalb weniger Jahre von rund 50 Millionen auf nur noch einige Tausende Exemplare ab. Eine Katastrophe für das Ökosystem.

Ohne die Geier führte das verrottende Fleisch zu einer Verbreitung von Krankheiten, die wahrscheinlich Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Das Forschungsteam von der Universität Chicago berechnete in der Studie anhand von Sterbe- und Viehstatistiken den genauen Verlust menschlichen Lebens.

Geier-Sterben: Hunderttausende Toten und Hunderte Milliarden Euro Schaden

So konnten die Wissenschaftler in den betroffenen Gebieten für die Jahre 2000 bis 2005 einen Anstieg der menschlichen Sterblichkeitsrate von durchschnittlich 4,7 Prozent feststellen. Das entspricht etwa 100.000 Tote pro Jahr. Dadurch sei ein ökonomischer Schaden von rund 64 Milliarden Euro entstanden – für jedes der fünf untersuchten Jahre.

Obwohl Geier nicht die beliebtesten Tiere seien, verrichten sie doch einen wichtigen Beitrag zur menschlichen Gesundheit, schreiben die Forscher in einem Statement. Noch immer haben sich die Bestände der Indiengeier nicht erholt. Sie drängen deshalb auf Maßnahmen, die wieder zu einem deutlichen Anstieg der Aasfresser führen sollen.

Die bereits geprüfte Studie wird voraussichtlich in einer Ausgabe des Fachjournals „American Economic Review“ erscheinen.

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